Elemententstehung nach dem Urknall im Visier
Redaktion
/ Pressemitteilung des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf astronews.com
11. Dezember 2020
Die nukleare Astrophysik versucht, die Entstehung der
Elemente im Universum seit Anbeginn der Zeit zu erklären und entwickelt dazu
Modelle, die auf bestimmten Kenngrößen basieren. Eine wichtige Rolle spielen
hier die Reaktionen leichter Atomkerne miteinander - unmittelbar nach dem
Urknall. Forschende haben nun eine der zentralen Reaktionen mit bisher
unerreichter Genauigkeit untersucht.
Ionenquelle des LUNA-Beschleunigers während
einer Wartungsphase. Die Leuchterscheinung ist
das Wasserstoffplasma, aus dem Wasserstoffkerne
für die Fusionsreaktion gewonnen werden.
Bild: LUNA Collaboration / LNGS-INFN [Großansicht] |
Die Astrophysikerinnen und Astrophysiker aus Italien, Deutschland, Schottland
und Ungarn haben am Laboratory for Underground Nuclear Astrophysics
(LUNA) am Gran Sasso d’Italia eine Schlüsselreaktion der sogenannten
primordialen Nukleosynthese untersucht. "So bezeichnen wir die Abfolge von
Kernaufbaureaktionen, die zur Entstehung der leichtesten chemischen Elemente
geführt hat, nur Sekunden nach dem Urknall. Bei dem von uns konkret untersuchten
Prozess wird der Kern des Wasserstoffisotops Deuterium mit einem Proton
beschossen. Dabei entsteht Helium-3, ein stabiles Helium-Isotop, sowie ein
Gammaquant, das wir mit unserem Reinstgermanium-Detektor nachweisen können",
erläutert Doktorand Klaus Stöckel vom Institut für Strahlenphysik am
Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR) das experimentelle Vorgehen.
Die Forscherinnen und Forscher waren vor allem am sogenannten
Wirkungsquerschnitt der Reaktion interessiert, der Auskunft über die
Wahrscheinlichkeit ihres Auftretens gibt. Diesen Parameter haben sie nun mit
beispielloser Präzision bestimmt. Zuvor hatte es nur wenige Daten im Bereich der
Teilchenenergien gegeben, die für Reaktionen kurz nach dem Urknall relevant
sind. Außerdem war die dabei erzielte Messunsicherheit zu hoch, um bei der
Modellierung der Prozesse verlässlich genutzt werden zu können.
Protonen und Neutronen, die Bausteine aller chemischen Elemente, entstanden
in den ersten Sekundenbruchteilen nach dem Urknall. Als sich das Universum
weiter ausdehnte und dabei abkühlte, bildete sich zunächst Deuterium, schwerer
Wasserstoff. In weiteren Reaktionen entstanden andere Atomkerne wie Helium-3 und
Helium-4. Drei Minuten nach dem Urknall bestand das Universum aus rund 75
Prozent Wasserstoff und 25 Prozent Helium-4, mit Spuren anderer leichter
Elemente. An diesem Verhältnis hat sich im Wesentlichen bis heute nichts
geändert. Die erstaunlich genaue Vorhersage dieser Verteilung durch die Theorie
der primordialen Nukleosynthese ist gleichzeitig eines der stärksten Argumente
für ihre Richtigkeit: Sie bildet heute eins der Fundamente des Standardmodells
der Kosmologie, das unsere Vorstellungen von der Entwicklung des Universums
vereint.
Um Wirkungsquerschnitte von Urknall-relevanten Kernreaktionen genau messen zu
können, benötigen die Astrophysikerinnen und Astrophysiker eine effiziente
Abschirmung vor kosmischer Strahlung, deren Hintergrundsignale die Ergebnisse
verfälschen können. Das gelingt im unterirdischen LUNA-Labor am Gran Sasso. Das
sich 1400 Meter über der Einrichtung auftürmende Sedimentgestein der Abruzzen
bietet ideale Bedingungen für das Experiment: Hier lassen sich ungestört von
äußeren Strahlungseinflüssen Prozesse nachstellen, die während der ersten
Kernverschmelzungen des Universums abliefen.
Das LUNA-Team hat mit seinen Messungen die Uhr bis auf wenige Minuten nach
der Geburt unseres Universums zurückgedreht: "Die Menge des gebildeten
primordialen Deuteriums wird hauptsächlich durch die Fusionsreaktion bestimmt,
die wir hier in ausgedehnten Messkampagnen untersucht haben. Die ermittelte
Dichte der gewöhnlichen, aus Protonen und Neutronen bestehenden Materie stimmt
hervorragend mit Werten überein, die Astrophysikerinnen und Astrophysiker zuvor
aus ganz andersartigen Methoden ableiten konnten, wie etwa aus der Vermessung
der kosmischen Hintergrundstrahlung oder der Untersuchung der
Deuterium-Häufigkeit in bestimmten Wasserstoffgaswolken", fasst
HZDR-Projektleiter Dr. Daniel Bemmerer zusammen.
Die Ergebnisse der Studie ermöglichen es den Forscherinnen und Forschern nun,
eine genaue Bestimmung der Dichte der gewöhnlichen Materie im Universum
vorzunehmen, die alles umfasst, was wir kennen - einschließlich des Lebens auf
unserem Planeten. Laut aktuellem Wissensstand macht gewöhnliche Materie demnach
fünf Prozent des Gesamtuniversums aus – die verbleibenden 95 Prozent werden
unsichtbarer Dunkler Materie und Dunkler Energie zugerechnet.
Das Team wird seine wissenschaftliche Tätigkeit im nächsten Jahrzehnt mit dem
LUNA-MV-Projekt fortsetzen, das sich auf die Untersuchung von
Schlüsselreaktionen konzentriert, die für das Verständnis der chemischen
Zusammensetzung des Universums und der Nukleosynthese der schweren Elemente
wichtig sind. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler setzen dabei auch auf
komplementäre Experimente im Untertagelabor Felsenkeller, das vom HZDR und der
TU Dresden gemeinsam betrieben wird.
Über ihre Resultate berichtet das Team in einem Fachartikel, der in der
Zeitschrift Nature erschienen ist.
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