Neues Fallturm-Konzept erfolgreich getestet
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der Universität Hannover astronews.com
28. November 2019
Vier Sekunden lang in Schwerelosigkeit experimentieren – und
das 300 Mal pro Tag: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Hannover
Institutes of Technology der Leibniz Universität Hannover realisieren
Weltraumbedingungen auf der Erde, die neue Möglichkeiten für Forschende weltweit
eröffnen. Jetzt wurde der neue Einstein-Elevator erstmals erfolgreich getestet.
Der Einstein-Elevator in Betrieb: 5 g wirken
bei der Beschleunigung auf die Endgeschwindigkeit
von 72 km/h innerhalb von 0,5 s auf die Gondel,
die Antriebswagen und das Experiment.
Foto: Leibniz Universität
Hannover/Marie-Luise Kolb [Großansicht] |
"Three – two – one – Go" - die tonnenschwere Gondel schießt im
gelb-blau-roten Turmtragwerk in die Höhe – dann stürzt sie zurück und wird in
letzter Sekunde gebremst: Das jetzt präsentierte Video des Einstein-Elevators im
Betrieb wird nicht nur die beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
aus Quantenphysik und Produktionstechnik begeistern. Es zeigt Forschenden in
aller Welt, die unter Bedingungen der Schwerelosigkeit forschen, dass sich das
spezielle Antriebs- und Führungs-Konzept des Einstein-Elevators in den ersten
Testdurchläufen bewährt hat.
"Wir haben gezeigt", sagt Projektmanager und Ingenieurwissenschaftler
Christoph Lotz, "dass wir die verwendeten Linearmotoren aus dem Achterbahnbau so
präzise steuern können, dass sie den Luftwiderstand der Gondel für das
Freischweben des Experiments im Innern in unserem Fallturm präzise
kompensieren." Das bedeutet: In der Gondel, der Vakuumkammer der Anlage, in der
künftig die Experimente aufgebaut sind, befinden sich diese Experimente vier
Sekunden in Schwerelosigkeit – und das, weil die Bewegungswiderstände der Gondel
während ihres Fluges durch den Antrieb exakt kompensiert werden.
"Da wir, anders als konventionelle Falltürme, nicht für jedes Experiment
wieder den ganzen Turm evakuieren müssen, schaffen wir eine Wiederholrate für
Experimente von etwa 300 pro Tag", erklärt Professor Ludger Overmeyer, Leiter
des Instituts für Transport- und Automatisierungstechnik und einer der beiden
Initiatoren des Einstein-Elevators. "Das eröffnet künftigen Weltraummissionen
völlig neue Möglichkeiten. Da geht es beispielsweise darum zu testen, wie sich
etwa additive Fertigung in der Raumfahrt, also unter Schwerelosigkeit, einsetzen
lässt. Wir wollen am Ende verstehen, wie sich Materie ins Nichts schreiben
lässt."
Sein Kollege und Co-Initiator Professor Wolfgang Ertmer vom Institut für
Quantenoptik, teilt diese Begeisterung. Ihn interessieren aber vor allem
Experimente zu fundamentalphysikalischen Fragestellungen – und neue
Messgenauigkeiten: "Als Quantenphysiker erwarten wir sehnlichst neue
Möglichkeiten, Quantensensoren und neue quantentechnologische Anwendungen unter
Weltraumbedingungen testen zu können. Diese brauchen wir beispielsweise für die
Erforschung der Quantengravitation oder für eine hochaufgelöste Vermessung des
Erdschwerefeldes in Erdbeobachtungsmissionen zur Bestimmung der Veränderungen
des Grundwassers oder die Veränderung von Eisschichten."
Lotz, der das Projekt Einstein-Elevator von Beginn an begleitet, maßgeblich
vorantreibt und sich mittlerweile täglich in einer Art unterirdischer
Kommandozentrale mit den Feinheiten dieses ambitionierten Vorhabens beschäftigt,
schwärmt von dem, was noch alles möglich ist: "Wir werden in der Phase der
Schwerelosigkeit demnächst nur noch höchstens ein Millionstel der irdischen
Gravitation in den Experimenten haben, aber auch verschiedene
Beschleunigungsprofile und damit unterschiedliche Gravitationsbedingungen - wie
beispielsweise auf dem Mond oder dem Mars - nachstellen können."
Und was wird in der Gondel stecken? "Da sind der Phantasie fast keine Grenzen
gesetzt," sagt Alexander Wanner, Projektbeteiligter und Geschäftsführer des
HITec, "schließlich ist es sogar möglich, Experimente mit einem sogenannten
Bose-Einstein-Kondensat in Schwerelosigkeit durchzuführen – nahe dem absoluten
Nullpunkt. Solange ein Experiment 'technisch gekapselt' ist, können Forscher
darin auch mit Staub Bedingungen simulieren, wie sie auf dem Mond oder dem Mars
mit seiner Atmosphäre vorzufinden sein werden." Der Einstein-Elevator soll
Forschenden der ganzen Welt für ihre Experimente zur Verfügung stehen. Der
reguläre Betrieb beginnt im Frühjahr 2020.
Seit 2011 läuft die Planung am Forschungsbau des Hannover Institutes of
Technology (HITec). Im Rahmen dieses vom Institut für Quantenoptik und der
QUEST-LFS (QUEST-Leibniz Forschungsschule gegründet vom Exzellenzcluster QUEST)
vorangetriebenen Zentrums für die Forschung an quantenphysikalischen Vorgängen
wurde auch der Einstein-Elevator, ein Fallturm neuer Generation, beantragt und
unter der Koordination vom Institut für Transport- und Automatisierungstechnik
aufgebaut.
Im Frühjahr 2017 sind zunächst die 170 Tonnen schwere Stahlstrukturen zur
Führung der Gondel und der Antrieb eingebaut worden. Nach Fertigstellung der
Gebäudeklimatisierung sind die Führungsschienen hochpräzise ausgerichtet worden
(0,1 mm auf 33 Meter). Der Antrieb mit einer maximalen Leistung von 4,8 MW
(mittlerer Energiebedarf pro Flug 0,41 kWh) wurde gemeinsam mit der
dazugehörigen Energiespeicheranlage, den sogenannten SuperCaps (Spannung 1050 V,
max. Strom 5000 A), installiert. Die Gondel (465 kg schwere CFK-Struktur) wurde
schließlich am 22. November 2018 eingebracht. Seitdem wird intensiv am
Zusammenspiel der verschiedenen Steuerungssysteme gearbeitet und die Anlage
schrittweise in Betrieb genommen. Erstmals gestartet wurde der Elevator dann am
28. Oktober 2019.
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