Entstanden durch kosmische Kollision
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Radioastronomie astronews.com
2. Oktober 2019
Im Sommer des vergangenen Jahres war es erstmals gelungen,
die Herkunft eines kosmischen Neutrinos nachzuweisen: Es stammte aus der aktiven
Galaxie TXS 0506+56 in rund 3,8 Milliarden Lichtjahren Entfernung. Durch die
Auswertung detaillierter Radiobeobachtungen des fernen Systems glaubt man nun zu
wissen, durch welchen Prozess das Neutrino dort freigesetzt wurde.

Die aktive Galaxie TXS 0506+056 und der
vermutete Prozess, der zur Entstehung des
Neutrinos führte, das als Ereignis "IceCube
170922A" registriert wurde.
Bild: IceCube Collaboration, MOJAVE, S.
Britzen, & M. Zajaček [Großansicht] |
Am 12. Juli 2018 hat die IceCube-Kollaboration die Entdeckung des
ersten hochenergetischen Neutrinos, IceCube-170922A, bekanntgegeben, das auf
einen Ursprung in großer kosmischer Entfernung zurückgeführt werden konnte.
Während der Ursprung in größerer Entfernung im Kosmos für Neutrinos schon lange
Zeit vermutet wurde, war dies das erste Mal, das die Herkunft eines Neutrinos
aus einer fernen Galaxie bestätigt werden konnte. Die "Heimat" des Neutrinos ist
ein sogenannter aktiver galaktischer Kern ("Active Galactic Nucleus", kurz:
AGN), eine Galaxie mit einem supermassereichen Schwarzen Loch als Zentralquelle.
Ein internationales Forschungsteam konnte nun den Entstehungsprozess für dieses
Neutrino aufklären. Er ähnelt dem in einem Teilchenbeschleuniger auf der Erde:
ein kosmischer Zusammenstoß von Materie aus Teilchenstrahlen oder Jets.
Aktive galaktische Kerne sind die energiereichsten Objekte in unserem
Universum. Angetrieben durch supermassereiche Schwarze Löcher wird Materie auf
die Zentralquelle akkretiert und Teilchenstrahlen bzw. Plasmaströme (sogenannte
Jets) werden in den intergalaktischen Raum hinausgeschleudert.
BL-Lac-Objekte (benannt nach dem Prototyp BL Lacertae im Sternbild Eidechse)
bilden eine spezielle Klasse solcher AGN, bei denen der Jet zufällig in Richtung
Erde ausgerichtet ist und die beobachtete Strahlung dominiert. Das
Neutrino-Ereignis "IceCube-170922A" hat allem Anschein nach seinen Ursprung in
dem BL-Lac-Objekt TXS 0506+056, einer Galaxie mit einer Rotverschiebung von
z=0,34. Das entspricht einer Lichtlaufzeitentfernung von 3,8 Milliarden
Lichtjahren.
Untersuchungen der IceCube Collaboration von Archivdaten hatten zuvor
Hinweise auf erhöhte Neutrino-Aktivität aus derselben Galaxie für die Zeit
zwischen September 2014 und März 2015 ergeben. Andere BL-Lac-Objekte zeigen
Eigenschaften ganz ähnlich zu denen von TXS 0506+056. "Es war schon etwas
rätselhaft, warum gerade diese Galaxie als Quelle für ein Neutrino-Ereignis
identifiziert werden konnte", erklärt Silke Britzen vom Bonner
Max-Planck-Institut für Radioastronomie (MPIfR). "Wir wollten herausfinden, was
TXS 0506+056 so speziell macht, um den Entstehungsprozess für Neutrinos zu
verstehen und den Ort der Entstehung genauer zu lokalisieren. Dazu haben wir
hochaufgelöste Radiobilder des Jets in dieser Quelle untersucht."
Zu ihrer großen Überraschung fanden die Forscher eine nicht erwartete
Wechselwirkung im Jet-Material von TXS 0506+056. Während das Plasma im Jet
normalerweise gleichförmig in einer Art Strömungskanal fließt, scheint die
Situation in dieser Galaxie anders zu sein. Das Team geht davon aus, dass sowohl
die verstärkte Neutrinoaktivität während eines Neutrinoausbruchs in den Jahren
2014 und 2015 sowie das Einzelneutrino "IceCube-170922A" durch einen kosmischen
Zusammenstoß innerhalb der Galaxie TXS 0506+056 erklärt werden können. Diese
kosmische Kollision kann zurückgeführt werden auf neu erzeugtes Jetmaterial, das
auf einen älteren Jet auftrifft. Die stark gekrümmte Struktur des Jets in den
Beobachtungen ist ein Beleg für eine solche Annahme.
Eine weitere mögliche Erklärung ist die Kollision zweier Jets in der gleichen
Quelle. In beiden Szenarien ist es die Kollision von Jetmaterial, die das
Neutrino erzeugt. Markus Böttcher von der North-West-Universität in
Potchefstroom (Südafrika) hat die Modellrechnungen bzgl. Strahlung und
Teilchenemission durchgeführt: "Die Kollision von Jetmaterial ist im Moment der
einzige verfügbare Mechanismus, der die Entdeckung eines Neutrinos aus dieser
Quelle erklären kann. Sie gibt uns auch wichtige Einsichten bezüglich des
Jetmaterials und löst die lange bestehende Frage, ob die Jets eher aus
leptonischem Material, also Elektronen und Positronen, oder aus hadronischem
Material, also Elektronen und Protonen, oder aus einer Kombination von beidem
bestehen. Zumindest ein Teil des Materials muss hadronisch sein, sonst hätten
wir das Neutrino nicht entdeckt."
Im Lauf der kosmischen Evolution unseres Universums scheinen Kollisionen von
Galaxien recht häufig aufzutreten. Unter der Annahme, dass zwei miteinander
kollidierende Galaxien beide ein supermassereiches Schwarzes Loch im Zentrum
aufweisen, erzeugt die Kollision dieser Galaxien ein Paar von Schwarzen Löchern
im Zentrum, das sich in immer geringer werdendem Abstand umkreist und
schließlich miteinander fusioniert. Bei dieser Verschmelzung werden
Gravitationswellen ausgesandt. Dieser Vorgang ist bei supermassereichen
Schwarzen Löchern äquivalent zur Fusion wesentlich masseärmerer stellarer
Schwarzer Löcher, deren Gravitationswellen mit den LIGO/VIRGO-Detektoren
nachgewiesen werden konnten.
Aktive galaktische Kerne mit binären Schwarzen Löchern in einem geringen
Abstand von nur wenigen Lichtjahren werden bereits seit langer Zeit gesucht. Sie
dürften jedoch sehr selten und auch schwer zu identifizieren sein. Zusätzlich
zum Nachweis der Kollision von Jetmaterie haben die Forscher auch Anzeichen für
eine Präzession des zentralen Jets in TXS 0506+056 gefunden. "Diese Präzession
kann entweder durch ein binäres supermassereiches Schwarzes Loch erklärt werden
oder aber durch den Lense-Thirring-Präzessionseffekt, wie von Einstein in der
Allgemeinen Relativitätstheorie vorhergesagt", so Michal Zajaček vom Zentrum für
Theoretische Physik in Warschau. "Letzterer könnte wiederum durch ein zweites
supermassereiches Schwarzes Loch in etwas größerem Abstand im Zentrum der
Galaxie ausgelöst worden sein. Beide Szenarien führen zu einer Änderung in der
Ausrichtung des Jets, wie wir sie auch beobachten."
Christian Fendt vom Heidelberger Max-Planck-Institut für Astronomie ist
erstaunt: "Je näher wir an den Ursprung der Jets herankommen, desto
komplizierter werden innere Struktur und Dynamik dieser Jets. Die binären
Schwarzen Löcher erzeugen eine komplexe Struktur in dem ausgeworfenen Material,
welches von den kosmologischen Modellen der Galaxienentstehung bei der
Verschmelzung von Galaxien erwartet wird."
Britzen betont das wissenschaftliche Potential des Forschungsergebnisses: "Es
ist phantastisch, dass wir die Erzeugung von Neutrinos durch detaillierte
Analyse von Jets in Galaxien untersuchen können. Und es wäre wirklich ein
Durchbruch, wenn mit unserer Veröffentlichung ein weiterer Kandidat für ein
binäres Schwarzes Loch mit zwei Jets bestätigt werden könnte."
Es scheint somit zum ersten Mal gelungen zu sein, die Kollision zweier Jets
im Zentrum einer Galaxie auf Skalen von nur wenigen Lichtjahren zu bestätigen
und die Entdeckung eines kosmischen Neutrinos auf eine Jetkollision zurückführen
zu können. Während TXS 0506+056 vielleicht nicht repräsentativ für die Klasse
von BL-Lac-Objekten ist, könnte diese Quelle aber doch maßgeblich sein für die
wiederholte Wechselwirkung des Materials zweier Jets und die dadurch
hervorgerufene Erzeugung von Neutrinos.
Über die Ergebnisse berichtet das Team in einem Fachartikel, der in der
Zeitschrift Astronomy & Astrophysics erschienen ist.
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