Rätselhaftes Signal ein Tau-Neutrino?
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der Universtät Mainz astronews.com
20. Juni 2018
Im antarktischen Eis versuchen Teilchenphysiker Neutrinos
aufzuspüren, die aus großer Entfernung die Erde erreichen und etwa bei
Sternexplosionen entstanden sein könnten. 2014 registrierte man das Signal eines
besonders energiereichen Teilchens. Zwei Physiker glauben, dass es sich dabei
nicht etwa um ein Myon-Neutrino handelte, sondern um ein Tau-Neutrino, das den
Detektor durchlief.
Die IceCube-Zentrale an der
Scott-Amundsen-Station am Südpol.
Bild: Felipe Pedreros,
IceCube/NSF [Großansicht] |
Vor acht Jahren wurde am Südpol der IceCube-Detektor in Betrieb
genommen, eine Forschungsstation zur Suche nach Neutrinos aus dem Weltall. Drei
Jahre später erschienen die ersten bahnbrechenden Ergebnisse. Die Entdeckung von
hochenergetischen Neutrinos durch IceCube hat neue Wege zum Verständnis des
Universums eröffnet.
"Diese Neutrinos mit ihrer hohen Energie sind neue kosmische Boten und es ist
außerordentlich wichtig, dass wir ihre Nachricht genau verstehen", sagt Dr.
Ranjan Laha von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU). Der Physiker hat
zusammen mit einem Kollegen der US-amerikanischen Stanford University einen
Vorschlag unterbreitet, wie die kosmische Botschaft – anders als bisher –
interpretiert werden könnte. Nach Berechnung der beiden Physiker könnte es sich
um extrem hochenergetische Tau-Partikel handeln, die den IceCube-Detektor
passiert haben.
Neutrinos sind fast masselose Teilchen, die Materie nahezu unbemerkt
durchdringen und daher sehr schwer zu entdecken sind. Aus dem gleichen Grund
sind die Geisterteilchen für die Wissenschaft aber auch besonders wertvoll –
weil sie aus den Tiefen des Weltalls zum Beispiel von explodierten Sternen fast
ungehindert bis zur Erde vordringen und uns hier von dem Geschehen im Kosmos
berichten. Beim Neutrinoobservatorium IceCube liegen die einzelnen
Detektorelemente gut abgeschirmt von Störfaktoren im antarktischen Eis, verteilt
auf ein Volumen von einem Kubikkilometer.
Das Projekt vermeldete 2013 zum ersten Mal die Entdeckung hochenergetischer
Neutrinos aus dem All, seitdem wurden zahlreiche weitere Ereignisse verzeichnet
(astronews.com berichtete wiederholt). Die IceCube-Kollaboration
besteht aus 300 Physikern von 49 Institutionen in 12 Ländern, die für das
wissenschaftliche Programm verantwortlich sind, darunter auch Forscher der JGU.
Matthew Kistler von der Stanford University und Laha haben die
Ereignisse untersucht und sind dabei vor allem einem Rätsel nachgegangen: Im
Juni 2014 verzeichneten die Sensoren von IceCube eine Spur mit einer
außergewöhnlich hohen Energie. Das Ereignis gab 2,6 Petaelektronenvolt (PeV) ab,
also 2,6 Billiarden Elektronenvolt. Zum Vergleich: Zusammenstöße von Protonen im
größten Teilchenbeschleuniger der Welt, dem Large Hadron Collider am CERN,
erfolgen mit einer Energie von 13 Billionen Elektronenvolt.
"Diese Spur vom Juni 2014 wirft sofort Fragen auf", sagt Laha mit dem
Hinweis, dass es sich bis heute um das Ereignis mit der höchsten Energie
handelt. "Vor allem die Frage, welche Art von Neutrino eine solche Spur
hinterlässt." Es gibt drei Arten von Neutrinos: Elektron-, Myon- und
Tau-Neutrinos. Auf der Suche nach einer Antwort haben sich die beiden
Physikkollegen zunächst der Standardannahme zugewandt, nämlich dass die Spur von
einem Myon abstammt. Ein Myon-Neutrino hätte sich bei einem Zusammenstoß mit
einem Atomkern in ein Myon umgewandelt, das von den optischen Sensoren des
IceCube-Detektors entdeckt worden wäre. "Wir zeigen, dass diese Annahme ziemlich
unwahrscheinlich ist", so Laha.
Stattdessen erwägen die Wissenschaftler die Möglichkeit, dass die Spur von
einem hochenergetischen Tau-Lepton stammen könnte – eine komplett neue und
unkonventionelle Deutungsweise. Um 2,6 PeV im Detektor abzugeben, bräuchte das
entsprechende Tau-Neutrino eine Anfangsenergie von mindestens 50 PeV. "Ein
Tau-Teilchen, das den Detektor auf einer Länge von einem Kilometer ohne Zerfall
durchläuft und dabei eine Energie von 2,6 PeV abgibt, müsste von einem Neutrino
mit einer wesentlich höheren Energie stammen", erklärt Laha. "Dies würde ein
völlig unerwartetes Fenster öffnen, um astrophysikalische Neutrinos mit Energien
bei 100 PeV wahrzunehmen."
Im Rahmen ihrer Untersuchung zeigen die Wissenschaftler, dass es sich bei dem
2,6-PeV-Ereignis vermutlich um eine neuartige Komponente des astrophysikalischen
Neutrinospektrums handelt. Bei den Ereignissen, die IceCube
verzeichnet, wäre normalerweise eine gewisse Kontinuität zu erwarten. Der
Abstand zwischen dem genannten Ereignis mit der bis heute höchsten Energie und
den anderen gemessenen Daten ist allerdings ungewöhnlich groß.
"Wir wissen nicht genau, um was für eine Spur es sich bei den 2,6 PeV
handelt, aber mit ziemlicher Sicherheit nicht um ein durchziehendes Myon,
vielleicht aber um ein Tau-Teilchen", so Laha. "Wir halten das Ereignis
insgesamt für so bedeutsam, dass es weiter untersucht werden sollte. Und wir
brauchen noch mehr Daten, um Genaueres zu erfahren und die kosmische Botschaft
zu entziffern."
Über ihre Ergebnisse berichten die Forscher in einem Fachartikel, der in der
Zeitschrift
Physical Review Letters erschienen ist.
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