Neutrino kam von entferntem Blazar
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Physik astronews.com
12. Juli 2018
Astrophysikern ist es erstmals gelungen, die Quelle eines
hochenergetischen kosmischen Neutrinos zu orten. Es stammt vermutlich von einem
sogenannten Blazar im Sternbild Orion. Um zu diesem Ergebnis zu gelangen, hatten
die Wissenschaftler Beobachtungen ganz verschiedener Teleskope kombiniert. Nach
diesem Erfolg hoffen sie nun auch das Rätsel um die Herkunft der kosmischen
Strahlung lösen zu können.
Das energiereiche Neutrino ging dem IceCube-Detektor
an der
Scott-Amundsen-Station am Südpol ins Netz.
Bild: Felipe Pedreros,
IceCube/NSF [Großansicht] |
Neutrinos sind Elementarteilchen, die kaum mit ihrer Umgebung wechselwirken
und daher nur schwer nachzuweisen sind. Der größte Neutrino-Detektor der Welt
ist IceCube am Südpol; das Experiment zeichnet pro Tag etwa 200
Neutrino-Ereignisse auf. Die meisten dieser Neutrinos stammen aus der Sonne oder
entstehen, wenn kosmische Strahlung auf die Erdatmosphäre trifft. Sie haben eine
nur geringe Energie.
Am 22. September 2017 geriet ein besonderes Neutrino in die Fänge von
IceCube: Seine sehr hohe Energie (ungefähr 290 Teraelektronenvolt) deutete
darauf hin, dass es von einem fernen Himmelsobjekt stammte. Den Wissenschaftlern
gelang es darüber hinaus, die genaue Flugrichtung des Neutrinos zu bestimmen.
"Unsere Theorien besagen, dass Neutrinos immer zusammen mit Lichtteilchen
(Photonen), entstehen," erklärt Razmik Mirzoyan, Wissenschaftler am
Max-Planck-Institut für Physik und Sprecher des MAGIC-Forschungsverbundes.
"Photonen sind Licht, also elektromagnetische Strahlung, die wir mit Teleskopen
beobachten können."
Der Neutrino-Alarm ging daher umgehend an zahlreiche Instrumente weltweit –
in der Hoffnung, mit den Himmelsbeobachtungen den Ursprungsort des Neutrinos zu
finden. Zunächst meldete das Teleskop LAT an Bord des Satelliten Fermi, dass die
Flugroute des Neutrinos auf den bekannten Blazar TXS 0506+056 wies – ein Objekt,
das energiereiche Gammastrahlen aussendet. Wie sich später mit dem
Zwillingsteleskop MAGIC auf La Palma feststellen ließ, handelte es sich um
Gammastrahlung in einem sehr hohen Energiebereich von mindestens 400
Gigalektronenvolt. Diese Ergebnisse liefern starke Indizien, dass das Neutrino
tatsächlich dem Blazar entstammt.
TXS 0506+056 ist ein etwa 4,5 Milliarden Lichtjahre entfernter aktiver
galaktischer Kern. In seinem Zentrum befindet sich ein supermassereiches
Schwarzes Loch, das den Blazar zu einer wahren Energieschleuder macht: Mit
nahezu Lichtgeschwindigkeit schießt er Jets aus Teilchen und energiereicher
Strahlung ins All. Die Jets sind dabei auf die Erde gerichtet.
Neutrinos entstehen bei Reaktionen, an denen Protonen beteiligt sind. Daher
helfen die aktuellen Beobachtungen auch dabei, ein Jahrhundert-Rätsel zu lösen:
Wo entsteht die kosmische Strahlung? Die 1912 vom Physiker Victor Hess entdeckte
Strahlung besteht größtenteils aus energiereichen Protonen. "Das kosmische,
energiereiche Neutrino zeigt uns, dass der Blazar Protonen auf höchste Energie
beschleunigt. Damit könnten wir tatsächlich eine Quelle für kosmische Strahlung
gefunden haben", erklärt Elisa Bernardini, Wissenschaftlerin am DESY in Zeuthen.
Es gibt einen wichtigen Grund, warum die Quellen für kosmische Strahlung
bisher unentdeckt blieben. "Da die positiv geladenen Protonen von den
Magnetfeldern im Kosmos abgelenkt werden, bewegen sie sich nicht geradlinig", so
Bernardini. "Wir können also nicht erkennen, aus welcher Richtung sie kommen."
Im Gegensatz dazu sind Neutrinos und Photonen, also auch Gammastrahlen,
ungeladen und erreichen uns ohne Umwege. Ihr Entstehungsort lässt daher
eindeutig bestimmen – sie legen damit eine Spur zur kosmischen Strahlung.
Auch wenn sich der Nebel um die Herkunft der kosmischen Strahlung gelichtet
hat – die Blazare selbst liefern noch einigen Stoff für offene Fragen. "Wir
versuchen zu verstehen, wo und wie die Protonen auf höchste Energien gebracht
werden, um energiereiche Neutrinos und Protonen zu erzeugen", erläutert Mirzoyan.
Eine Folgestudie könnte Antworten aufzeigen: In den Wochen nach der ersten
Neutrino-Meldung waren die MAGIC-Teleskope insgesamt 41 Stunden auf den aktiven
Blazar gerichtet. Aus den Beobachtungsdaten lässt sich schließen, dass die
Protonen-Wechselwirkungen im Jet des Blazars stattfinden.
"Außerdem bestätigen die Resultate, dass neben den Neutrinos ein Teil der
Gammastrahlen von energiereichen Protonen produziert wird – und nicht von
anderen Teilcheninteraktionen. Damit können wir zum ersten Mal nachweisen, dass
Neutrinos und Gammastrahlen von den gleichen Protoneneltern stammen," ergänzt
Mirzoyan.
Im Spektrum der hochenergetischen Gammastrahlen von TXS 0506+56 erkannten die
Wissenschaftler eine klare Signatur: "In einem bestimmten Energiebereich sehen
wir einen Verlust von Photonen. Diese Teilchen müssen also absorbiert worden
sein", erläutert Bernardini. "Dieser 'Fingerabdruck' deutet auch darauf hin,
dass das IceCube-Neutrino bei Proton-Photon-Reaktionen in den Jets des
Blazars entstanden sein könnte."
"Dieses Ergebnis spricht für ein Zusammenspiel der beiden Teilchenbotschafter
– Neutrinos und Gammastrahlen," so Mirzoyan. "Dabei liefern die Gammastrahlen
Informationen, wie die 'Kraftwerke' in supermassereichen Schwarzen Löchern
arbeiten: Also, wie der extrem energiereiche Output zustande kommt und welche
teilchenphysikalischen Prozesse dabei eine Rolle spielen."
Über die Entdeckung der Herkunft der Neutrinos berichten die Astronomen in einem Fachartikel, der in
der Zeitschrift Science erschienen ist, über die weiteren
Untersuchungen in einem Artikel in den Astrophysical Journal Letters.
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