Ein Planet, den es nicht geben sollte
Redaktion
/ Pressemitteilung des MPI für Astronomie und der Universität Bern astronews.com
27. September 2019
Astronominnen und Astronomen des CARMENES-Konsortiums haben
einen neuen Exoplaneten entdeckt, der nach derzeitigem Wissensstand nicht
existieren dürfte: Die Forschungsgruppe fand einen Gasplaneten, dessen Masse im
Vergleich zu seinem Mutterstern GJ 3512 ungewöhnlich groß ist. Das lässt auf
eine überraschende Entstehungsgeschichte schließen.
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Der Exoplanet GJ 3512b wurde vom CARMENES
Konsortium entdeckt mit einem Teleskop am Calar
Alto Observatorium in Südspanien.
Bild: Pedro Amado / Marco Azzaro -
IAA/CSIC [Großansicht] |
Planeten, so der aktuelle Stand der Forschung, sind ein Nebenprodukt
der Entstehung von Sternen. Sie bilden sich in der Scheibe, aus der ihr
Mutterstern ebenfalls hervorging. Das vorherrschende Modell für die Entstehung
von Planeten basiert auf der Vorstellung, dass sich zunächst ein Objekt aus
festen Teilchen in der Scheibe aufbaut. Die Schwerkraft dieses Planetenembryos
sorgt dann dafür, dass sich eine Atmosphäre aus dem umgebenden Gas formiert.
Nun haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des CARMENES-Konsortiums
unter der Leitung von Juan Carlos Morales vom Institut de Ciències de
l’Espai und Institut d’Estudis Espacials de Catalunya in Barcelona
einen Gasplaneten ähnlich dem Jupiter entdeckt, der diesem Modell widerspricht.
Vielmehr scheint es, dass er sich ohne einen festen Kondensationskeim direkt aus
der Scheibe entwickelt hat.
Dieser Gasriese, genannt GJ 3512 b, ist zusammen mit seinem Mutterstern GJ
3512 nur rund 30 Lichtjahre von der Sonne entfernt und hat eine Masse von
mindestens der Hälfte des Jupiter. Für einen Umlauf benötigt er 204 Tage. Für
sich genommen ist GJ 3512 b nicht außergewöhnlich – wohl aber, dass er sich in
einem Orbit um einen roten Zwergstern befindet. GJ 3512 besitzt nur 12 Prozent
der Masse der Sonne, so dass das Massenverhältnis zwischen dem Stern und dem
Planeten höchstens 270 beträgt. Im Vergleich dazu ist die Sonne etwa 1050 Mal
schwerer als Jupiter.
Dieses Detail bereitet den theoretischen Physikerinnen und Physikern
Kopfzerbrechen. Die Gas- und Staubscheiben, aus denen sich massearme Sterne wie
GJ 3512 bilden, sollten ebenfalls eher wenig Material beinhalten. Zu wenig, wie
die Modelle ergeben, um Planetenembryos entstehen zu lassen, aus denen sich
Gasriesen wie GJ 3512 b entwickeln. "Ein Ausweg bestünde in einer sehr
massereichen Scheibe, die die benötigten Bausteine in ausreichender Menge
besitzt", erklärt Team-Mitglied Hubert Klahr, der am Max-Planck-Institut für
Astronomie (MPIA) in Heidelberg eine Arbeitsgruppe zur Theorie der
Planetenentstehung leitet.
Wenn jedoch eine Scheibe aus Gas und Staub, die sich um einen Stern befindet,
mehr als ungefähr 1/10 der Sternmasse besitzt, reicht die Gravitationswirkung
des Sterns nicht mehr aus, um die Scheibe stabil zu halten. Die Schwerkraft des
Scheibenmaterials selbst macht sich bemerkbar und beeinflusst ihre Struktur. Ein
gravitativer Kollaps des Gases wie bei der Entstehung von Sternen ist die Folge.
Solch massereiche Scheiben sind bei jungen Zwergsternen allerdings bislang nicht
beobachtet worden.
Noch schwieriger wird die Situation dadurch, dass es anscheinend Hinweise für
einen zweiten Planeten gibt, der sich in einem weiten Orbit um GJ 3512 befindet.
Zusätzlich zu diesen beiden Planeten spricht die stark elliptische Bahn von GJ
3512 b dafür, dass er einst von einem dritten Planeten ähnlicher Masse
gravitativ beeinflusst wurde. Dieser mutmaßliche dritte Planet muss dabei jedoch
offensichtlich aus dem Planetensystem geschleudert worden sein.
Neben GJ 3512 b musste die ursprüngliche Scheibe also Material für mindestens
einen weiteren Planeten bereitstellen. Die dafür erforderliche Scheibenmasse
liegt damit klar außerhalb der Grenzen der aktuellen Stern- und
Planetenbildungsmodelle. Somit folgerten die Forscherinnen und Forscher des
MPIA, der Universität Lund in Schweden sowie der Universität Bern, die sich mit
der Simulation der Entstehung von Planeten befassen, dass das sogenannte "core
accretion"-Modell nicht in der Lage ist, die Existenz von GJ 3512 b zu erklären.
"Unser Modell zur Entstehung und Entwicklung von Planeten sagt voraus, dass
bei kleinen Sternen eine große Zahl von kleinen Planeten gebildet werden", fasst
Christoph Mordasini vom Physikalischen Institut der Universität Bern zusammen.
Er führt als Beispiel ein anderes, bekanntes Planetensystem an: Trappist-1. Bei
diesem Stern, der mit GJ 3512 vergleichbar ist, existieren sieben Planeten mit
Massen, die ungefähr einer Erdmasse oder sogar weniger entsprechen. In diesem
Fall stimmen die Berechnungen des Modells gut mit der Beobachtung überein. Nicht
so bei GJ 3512. "Unser Modell sagt voraus, dass es um solche Sterne gar keine
Riesenplaneten geben sollte", sagt Mordasini. Eine mögliche Erklärung für das
Versagen der gängigen Theorie könnte der Mechanismus sein, der dem Modell
zugrunde liegt, die sogenannte Kernakkretion. Dabei entstehen Planeten, indem
sie schrittweise durch Ansammlung von kleinen Körpern zu immer größeren Massen
wachsen.
Deswegen haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler untersucht, unter welchen Bedingungen das bislang eher
vernachlässigte Szenario des "gravitativen Kollapses" innerhalb einer Scheibe aus
Gas und Staub um einen jungen Stern zur Bildung eines Planeten wie GJ 3512 b
führen könnte. "Dabei kollabiert ein Teil der Gasscheibe, in der die Planeten
entstehen, direkt unter seiner eigenen Schwerkraft", erklärt Mordasini.
Mit unterschiedlichen Ansätzen kamen sie zu dem gleichen Ergebnis, dass GJ
3512 b über diesen Prozess hätte entstehen können. Die Bereiche in der Scheibe
jenseits von 10 Astronomischen Einheiten, eine Astronomische Einheit entspricht
der mittleren Entfernung der Erde von der Sonne, vom Zentralstern sind mit
Temperaturen von etwa -263 °C sehr kalt. Dort vermag der thermische Druck die
Gravitationswirkung des Materials nicht auszugleichen, so dass sie unter ihrem
Eigengewicht kollabiert.
Im Anschluss muss der noch junge Planet über große
Distanzen auf seine derzeitige Position gewandert sein, die sich in einer
Entfernung von deutlich unter einer Astronomischen Einheit vom Zentralstern
befindet. Das ist wiederum mit den aktuellen Modellen der Entwicklung von
Planetensystemen verträglich.
GJ 3512 b wurde mit dem Spektrografen CARMENES mithilfe der
Radialgeschwindigkeitsmethode entdeckt, bei der man nach dem "Wackeln" eines
Sterns sucht, das durch einen umlaufenden Planeten verursacht. Es spiegelt sich
im Spektrum des Sterns wider. CARMENES nimmt Spektren im sichtbaren sowie im
infraroten Licht auf. "Rote Zwergsterne wie GJ 3512 können sehr aktiv sein und
Signale erzeugen, die denen von Planeten ähneln", erklärt Diana Kossakowski
(MPIA), die maßgeblich an der Auswertung der Daten mitwirkte. "Die
Infrarot-Spektren waren wichtig, um zu bestätigen, dass wir tatsächlich einen
Planeten gefunden haben." Der Planet befindet sich auf einer Bahn, die ihn in
Abständen zwischen 0,2 und 0,5 Astronomischen Einheiten um GJ 3512 herumführt.
"Bisher waren die einzigen Planeten, deren Bildung mit Scheibeninstabilitäten
kompatibel waren, eine Handvoll junger, heißer und sehr massereicher Planeten in
großer Entfernung von ihren Wirtssternen", gibt Klahr zu bedenken. "Mit GJ 3512
b haben wir nun einen außergewöhnlichen Kandidaten für einen Planeten, der über
die Instabilität einer Scheibe um einen recht massearmen Stern entstanden sein
könnte. Dieser Fund veranlasst uns zur Überprüfung unserer Modelle."
Über ihren Fund berichtet das Team in einem Fachartikel, der in der
Zeitschrift Science erschienen ist.
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