Wie Wasser in interstellaren Wolken entsteht
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Kernphysik astronews.com
9. Juli 2018
Zwei wichtige Schritte in der Bildung von gasförmigem Wasser
in diffusen interstellaren Wolken verlaufen schneller als bisher vermutet. Dies
ist das Ergebnis von Messungen bei tiefen Temperaturen. Auch Rechnungen, die
Quanteneffekte berücksichtigen, stimmen damit hervorragend überein. Die neuen
Werte könnten weitreichende Auswirkungen auf das Verständnis der interstellaren
Chemie haben.
Vereinfachtes Netzwerk der interstellaren
Chemie in der Gasphase, mit der Wasserbildung
(blau) vor dem Hintergrund des Orionnebels.
Bild: MPI für Kernphysik / Hintergrund: NASA [Großansicht] |
Ansammlungen von Gas und Staub im Weltraum können mit Teleskopen von der Erde
aus als interstellare Wolken beobachtet werden. Trotz der niedrigen Temperaturen
und der geringen Dichten findet man in interstellaren Wolken eine Vielzahl von
Molekülen. Das Rückgrat der kalten interstellaren Chemie sind Reaktionen
zwischen geladenen und ungeladenen Atomen oder Molekülen. Im heutigen Universum
führen Ionen-Neutral-Reaktionen in der Gasphase zur Bildung größerer Moleküle,
vom "protonierten" Wasser (H₃O⁺) bis hin zu organischen Verbindungen.
Trifft eines der protonierten und daher positiv geladenen Moleküle allerdings
auf ein freies Elektron, wird es neutralisiert und zerbricht im Normalfall in
neutrale Bruchstücke. Dieser Prozess führt zu Verbindungen, die von Wasser (H₂O)
bis hin zu Alkohol und anderen organischen Verbindungen reichen. Wie effektiv
sind nun diese Prozesse?
Hierbei kommt es entscheidend darauf an, ob ein Stoß zwischen den
Reaktionspartnern auch tatsächlich zur Reaktion führt, denn in dem dünnen Medium
sind Stöße selten. Das lässt sich nur mit Laborexperimenten herausfinden, die
unter Bedingungen wie in interstellaren Wolken erfolgen sollten. Da diese aber
schwierig zu realisieren sind, basieren bis heute astrochemische Modelle meist
auf Daten, die bei weit höheren Temperaturen und Dichten gemessen wurden, und
dementsprechend nur bedingt Gültigkeit haben.
Wasser entsteht in diffusen interstellaren Wolken – in denen Reaktionen auf
der Oberfläche von interstellarem Staub keine große Rolle spielen – über eine
Kette von Prozessen, die von der kosmischen Strahlung gestartet wird.
Zwischenprodukte sind das Hydroxylion (OH⁺) und das Wasserkation (H₂O⁺), die
jeweils mit Wasserstoffmolekülen reagieren, wobei sie ein Wasserstoffatom
anlagern und das andere freisetzen. Eine Messung der Reaktionsraten dieser
beiden wichtigen Schritte für die Erzeugung von interstellarem Wasser bei tiefen
Temperaturen gelang nun der vom Europäischen Forschungsrat geförderten "Astrolab"-Gruppe
von Holger Kreckel am Max-Planck-Institut für Kernphysik.
Die Wissenschaftler sperrten die Ionen in einer kryogenen
Radiofrequenz-Ionenfalle ein, in der Temperaturen bis zu 10 Grad über dem
absoluten Nullpunkt erreichbar sind. Bis zu 100 Millisekunden nach Zugabe einer
definierten Menge Wasserstoffgas bestimmten sie, wie viele der ursprünglichen
Ionen noch vorhanden waren. Aus den Daten haben sie sogenannte
Ratenkoeffizienten abgeleitet, die ein Maß dafür sind, wie effizient die Stöße
zwischen den Reaktionspartnern sind.
Es zeigte sich, dass hier praktisch jeder Stoß zur Reaktion führt. Parallel
dazu haben Kollegen aus Zypern und den USA theoretische Rechnungen mit einer
neuartigen Methode durchgeführt, welche auf elegante Weise Analogien zwischen
einem Quantensystem und den Eigenschaften von ringförmigen Molekülen nutzt und
damit Quanteneffekte berücksichtigt, welche bei tiefen Temperaturen besonders
zum Tragen kommen. Die so berechneten Ratenkoeffizienten stimmen hervorragend
mit den gemessenen überein.
Die neuen Werte sind gegenüber früheren Messungen bei Raumtemperatur deutlich
"schneller". Das hat Auswirkungen auf das Verständnis der interstellaren Chemie,
die weit über die Wasserbildung hinausgehen. "Unsere Ergebnisse unterstreichen,
wie wichtig es ist, in astrochemischen Modellen Parameter zu verwenden, die
unter Weltraumbedingungen gemessen wurden", sagt Kreckel. "Da dies aber
experimentell oft schwierig und zeitaufwendig ist, ist es ebenso wichtig,
theoretische Verfahren für Rektionen bei diesen extremen Bedingungen zu
entwickeln und anhand von Messungen zu testen. In diesem Fall liegt die Stärke
unserer Arbeit in der Kombination von experimentellen und theoretischen
Methoden, die auch bei interstellaren Bedingungen noch Gültigkeit haben."
Über ihre Untersuchung berichten die Forscher in der Fachzeitschrift
Science Advances.
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