Auf der Spur der organischen Materie im All
Redaktion
/ Pressemitteilung des Forschungsverbunds Berlin e.V. astronews.com
25. August 2015
Gab es bereits in der Frühzeit des Universums große Mengen
an komplexen organischen Verbindungen in interstellaren Wolken? Astronomen haben
in den letzten Jahren dafür zumindest Hinweise gefunden. Einen sicheren Beweis
allerdings gibt es bislang nicht. Jetzt lieferten Laborexperimente neue Indizien
für die Richtigkeit der Theorie.
Gab es bereits in der Frühzeit des Universums
komplexe Kohlenwasserstoffe im Weltraum?
Bild: NASA/JPL-Caltech/T. Pyle (SSC) [Großansicht] |
Seit mehreren Jahren gibt es starke Indizien dafür, dass sich bereits in der
Frühzeit des Universums gewaltige Mengen komplexer organischer Verbindungen in
den interstellaren Wolken gebildet haben. Darauf deuten etwa 400 diffuse
Absorptionsbanden (sogenannte DIBs) hin, die Astronomen im Licht aus solchen
Wolken nachweisen konnten.
Allerdings ist die genaue Zuordnung der DIBs zu konkreten Verbindungen bislang
kaum möglich. Dass es sich tatsächlich um die vermuteten Polyzyklischen
Aromatischen Kohlenwasserstoffe (PAK/PAH) handeln könnte, wird jetzt von
Experimenten gestützt, die am Max-Born-Institut (MBI) in Berlin gemeinsam mit
internationalen Partnern durchgeführt wurden. Mit Hilfe von ultraschnellen
UV-Lasern konnten die Wissenschaftler die Dynamik der hoch angeregten
Molekülzustände entschlüsseln.
Unter den Kohlenwasserstoffen, die mögliche Auslöser der Absorptionsbanden sind,
galten die Polyzyklischen Aromatischen Kohlenwasserstoffe als besonders
vielversprechend. Die Anwesenheit von PAK/PAH-Molekülen wurde zuvor in vielen
astronomischen Objekten abgeleitet, beispielsweise in interstellaren
Materiewolken unserer Milchstraße, aber sogar in zehn Milliarden Jahre alter
Materie aus der Frühzeit des Universums.
Unter Astronomen gab es allerdings auch Zweifel an den Hypothesen, da die
Lebensdauer der ungewöhnlichen Molekülzustände nicht bekannt war. Dafür gelang
jetzt den MBI-Forschern in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern der Universität
Lyon, unterstützt von theoretischen Berechnungen von Wissenschaftlern an den
Universitäten Leiden, Heidelberg und Hyderabad, der Nachweis, dass die
Lebensdauer der elektronischen Zustände von kleinen bis mittelgroßen PAHs mit
den Linienbreiten übereinstimmen, die in den diffusen Absorptionsbanden
beobachtet werden.
In den Experimenten wurde eine Reihe von kleinen bis mittelgroßen PAH-Molekülen
(Naphthalin, Anthracen, Pyren und Tetracen, die jeweils mehrere kondensierte
aromatische Ringe enthalten) mit einem ultrakurzen extrem-ultravioletten
Laserpuls (XUV) ionisiert. Die Absorption eines XUV-Photons führte nicht nur zur
Entfernung eines der Elektronen, sondern darüber hinaus zur elektronischen
Anregung des dadurch entstandenen positiv geladenen Molekül-Ions.
Die Lebensdauer dieser angeregten kationischen elektronischen Zustände wurde mit
Hilfe eines zeitverzögerten Infrarot-Laserimpulses gemessen. Sobald ein Elektron
aus dem Molekül entfernt worden ist, ist die elektronische Anregung am höchsten,
so dass nur ein oder wenige Infrarot-Photonen benötigt werden, um ein zweites
Elektron zu entfernen. Bereits kurze Zeit später "entspannt" sich das Ion, es
werden nun mehr IR-Photonen benötigt, um ein zweites Elektron herauszuschlagen.
Die Überwachung der Bildung von zweifach geladenen Ionen als Funktion der
Verzögerungszeit zwischen den Laserimpulsen XUV und IR erlaubt also die Messung
der Lebensdauer der verschiedenen Zustände. Durch die Messungen, die durch
theoretische High-Level-Berechnungen gestützt wurden, konnte gezeigt werden,
dass die Lebenszeit der organischen PAH-Ionen im Bereich von einigen 10
Femtosekunden damit übereinstimmt, was auch in den diffusen Absorptionsbanden
(DIBs) aus dem Weltall gemessen wird.
Die Experimente haben Auswirkungen auf die weitere Entwicklung der Attosekunden-Physik.
Denn auch in der Chemie ist eine genaue Kenntnis der Ladungswanderung von großem
Interesse, also von ultraschnellen Bewegungen eines Elektrons oder eines Lochs
durch eine Molekülstruktur. Sie erfolgen in der unvorstellbar kurzen Zeit von
Attosekunden (ein Millardstel einer Millardstel Sekunde) bis zu wenigen
Femtosekunden (10-15 Sekunden).
Durch die kontrollierte Ladungswanderung könnten völlig neue Möglichkeiten zur
Steuerung von chemischen Reaktionen entstehen, ein Ziel, das so alt ist wie die
chemische Forschung selbst. Erste Hinweise darauf, dass Ladungswanderungen in
einer Zeitskala von Attosekunden bis zu wenigen Femtosekunden kontrolliert
werden können, legten Forscher der Universität Mailand im vergangenen Jahr vor.
Die PAK/PAH-Moleküle, die in den Experimenten am MBI untersucht wurden, sind die
bislang größten, auf die die ultraschnelle XUV-IR-Pump-Probe-Spektroskopie
angewendet wurde. Weitere Experimente dazu sind in Vorbereitung.
Über ihre Ergebnisse berichteten die Wissenschaftler jetzt in der Fachzeitschrift
Nature Communications.
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