Ein Test für die Dunkle Materie
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der Universtät Bonn astronews.com
26. Juni 2018
Dass die Dunkle Materie einen signifikanten Teil der Masse
des Universums ausmacht und bei der Entwicklung von Galaxien und Galaxienhaufen
eine wichtige Rolle spielt, davon sind die meisten Astronomen überzeugt. Es gibt
allerdings auch Stimmen, die als Alternative ein modifiziertes
Gravitationsgesetz vorschlagen. Ob dies tatsächlich funktionieren würde, könnte
ein Test zeigen.
Die
Abbildung zeigt eine Simulation der Verteilung der Dunklen
Materie (oben) und der sichtbaren Sterne (unten).
Bild: E. Garaldi, C. Porciani, E.
Romano-Díaz /Universität Bonn für die ZOMG
Kollaboration [Großansicht] |
Forscher der Universität Bonn und der University of California in
Irvine haben mithilfe einer umfangreichen Simulation einen Test entwickelt, der
eine Antwort auf die Frage liefern kann, ob es tatsächlich Dunkle Materie gibt
oder aber, ob die von Newton aufgestellten Gravitationsgesetze modifiziert
werden müssen. Mittelfristig sollte sich dank neuer Satellitendaten eine der
beiden Alternativen endgültig ausschließen lassen.
Die Wissenschaftler haben am Computer die Materieverteilung sogenannter
Satelliten-Galaxien simuliert – das sind kleine Galaxien-Zwerge, die etwa die
Milchstraße oder den Andromeda-Nebel umgeben. Dazu nutzten sie einen extrem
schnellen Rechner in den Niederlanden. Die Forscher interessierten sich dabei
insbesondere für einen Zusammenhang namens "radial acceleration relation" (RAR):
In Galaxien bewegen sich die Sterne auf kreisförmigen Bahnen um ein Zentrum. Sie
unterliegen also einer Beschleunigung, die sie zu einem ständigen Wechsel ihrer
Richtung zwingt. Diese wird durch die Anziehungskraft der Materie in der Galaxie
verursacht. Wenn man nur die sichtbare Materie zugrunde legt, müsste die
Beschleunigung sehr viel geringer ausfallen. Die RAR beschreibt das Verhältnis
zwischen diesem Wert und der tatsächlich beobachteten Beschleunigung. Sie
erlaubt so einen Einblick in die Struktur von Galaxien.
"Wir haben nun zum ersten Mal die RAR von Zwerg-Galaxien unter der
Voraussetzung simuliert, dass es Dunkle Materie gibt", erklärt Prof. Dr.
Cristiano Porciani vom Argelander-Institut für Astronomie der Universität Bonn.
"Dabei zeigte sich, dass diese sich im Prinzip genauso verhalten wie große
Galaxien, nur dass sie eben kleiner sind." Was aber, wenn es keine Dunkle
Materie gibt und stattdessen die Gravitation anders "funktioniert", als Newton
es sich dachte? "Arbeitsgruppen vor uns konnten zeigen, dass dann die RAR von
Zwerg-Galaxien stark von der Entfernung zu ihrer Muttergalaxie abhängt, während
das nicht passiert, wenn Dunkle Materie existiert", erklärt der
wissenschaftliche Mitarbeiter Emilio Romano-Díaz.
Damit eignen sich die Ergebnisse als Test, ob es Dunkle Materie wirklich
gibt. Eine Antwort sollen Daten der Raumsonde Gaia liefern, die 2013
von der europäischen Raumfahrtagentur ESA ins All geschickt wurde. Sie wurde
konzipiert, um Satelliten-Galaxien und Sterne der Milchstraße im Detail zu
studieren. Allerdings wird des Rätsels Lösung wohl noch Jahre auf sich warten
lassen: "Mit einzelnen Messungen lassen sich die kleinen Unterschiede, die wir
festgestellt haben, nicht entdecken", erklärt der Doktorand Enrico Garaldi.
"Dazu sind die Instrumente des Satelliten nicht genau genug."
Wiederholte Aufnahmen der gleichen Sterne erlauben mit der Zeit immer
genauere Aussagen. Über kurz oder lang sollte sich dadurch feststellen lassen,
ob sich die Zwerg-Galaxien wie in einem Universum mit Dunkler Materie verhalten
– oder eben nicht. Diese Frage ist eines der drängendsten Themen, mit denen sich
die Kosmologie heute beschäftigt.
Dass es Dunkle Materie gibt, wurde schon vor mehr als 80 Jahren von dem
Schweizer Astronomen Fritz Zwicky vorgeschlagen. Er hatte erkannt, dass sich
Galaxien in Galaxienhaufen so schnell bewegen, dass sie eigentlich
auseinandertreiben müssten. Er postulierte daher die Anwesenheit einer
unsichtbaren Materie, die aufgrund ihrer Masse genügend Gravitation ausübt, um
das zu verhindern. Seine US-Kollegin Vera Rubin entdeckte in den 1970er Jahren
ein ähnliches Phänomen bei Spiralgalaxien wie der Milchstraße: Sie rotieren so
schnell, dass sie eigentlich durch die Fliehkraft auseinandergerissen werden
sollten.
Heute sind die meisten Physiker davon überzeugt, dass Dunkle Materie rund 80
Prozent der Masse im Universum ausmacht. Da sie nicht mit Licht interagiert, ist
sie für Teleskope unsichtbar. Allerdings würde ihre Existenz hervorragend zu
einer Reihe weiterer Beobachtungen passen – etwa zur Verteilung der
Hintergrundstrahlung, die sich als ein "Nachglühen" des Urknalls bemerkbar
macht. Auch die Anordnung und Entstehungsgeschwindigkeit der Galaxien im
Universum lässt sich mit ihr gut erklären. Ein direkter Nachweis, dass es sie
gibt, steht aber trotz zahlreicher experimenteller Bemühungen bislang aus.
Das brachte eine kleine Gruppe von Astronomen zu der Hypothese, dass sich die
Gravitationskräfte selbst möglicherweise anders verhalten als bislang gedacht.
Diese Theorie trägt das Kürzel MOND (MOdifizierte Newton'sche Dynamik). Nach ihr
gehorcht die Anziehung zwischen zwei Massen nur bis zu einem bestimmten Punkt
den Newton'schen Gesetzen. Bei sehr kleinen Beschleunigungen, wie sie in
Galaxien vorherrschen, wird die Gravitation dagegen erheblich stärker. Daher
reißen Galaxien durch ihre Drehgeschwindigkeit auch nicht auseinander. Auf den
mysteriösen Sternenkitt kann die MOND-Theorie deshalb verzichten.
Diese neue Studie gibt Astronomen die Möglichkeit die zwei Hypothesen zu
überprüfen, wobei für die meisten Wissenschaftler alles andere als eine
Bestätigung der Dunkle-Materie-These eine echte Überraschun wäre.
Über ihre Ergebnisse berichten die Forscher in einem Fachartikel, der in der
Zeitschrift
Physical Review Letters erschienen ist.
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