Suche nach einer Theorie für Alles
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik astronews.com
11. April 2017
Sind Symmetrien der Schlüssel zu einer vereinheitlichten
Theorie, die die Quantenfeldtheorie und Einsteins Relativitätstheorie
zusammenführt? Forscher am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik sind davon
überzeugt und haben vom Europäischen Forschungsrat nun Mittel bewilligt
bekommen, um diese Symmetrien weiter zu erforschen.

Hubbles Blick ins Universum - um zu
verstehen, was in den ersten Sekundenbruchteilen
nach dem Urknall passierte, muss man die
Quantenfeldtheorie und Einsteins Allgemeine
Relativitätstheorie miteinander vereinen.
Bild: NASA, ESA, H. Teplitz und M. Rafelski
(IPAC/Caltech), A. Koekemoer (STScI), R.
Windhorst (Arizona State University) und Z. Levay
(STScI) [Großansicht] |
Professor Hermann Nicolai, Direktor am Max-Planck-Institut für
Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut/AEI), hat einen der begehrten
Advanced Grants des Europäischen Forschungsrats (ERC) erhalten. Mit den
dafür bewilligten Mitteln in Höhe von ca. 1,9 Millionen Euro fördert der ERC
Nicolais Erforschung einer vereinheitlichten Theorie der Quantengravitation.
Dabei spielen Symmetrien eine entscheidende Rolle.
Zu den größten Herausforderungen der theoretischen Physik zählt die
Formulierung einer Theorie, die Quantenfeldtheorie und Einsteins Allgemeine
Relativitätstheorie vereinigt. Diese zwei grundlegenden Theorien sind im Rahmen
der bekannten physikalischen Gesetze nicht miteinander vereinbar. Wenn wir aber
verstehen wollen, was im Innern eines Schwarzen Loches oder in den ersten
Sekundenbruchteilen nach dem Urknall passiert, brauchen wir eine Theorie, die
beides vereint.
Am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik widmet sich die Abteilung
Quantengravitation und Vereinheitlichte Theorien unter der Leitung von Prof.
Nicolai der Suche nach einer solchen umfassenden Theorie. Nicolais Forschung
wird nun über fünf Jahre mit einem Advanced Grant des ERC gefördert.
"Ich freue mich sehr über diese Anerkennung meiner Arbeit", so Nicolai, „das ist
eine hohe Auszeichnung; insbesondere, wenn man bedenkt, dass die Erfolgsquote
der Anträge auf dem Gebiet der mathematischen Physik wie schon in den Vorjahren
sehr gering ist – es werden überhaupt nur zwei Projekte auf dem Gebiet der
theoretischen Gravitationsphysik und Kosmologie gefördert."
Mit dem ERC Advanced Grant wird Nicolai eine speziell diesem Projekt
gewidmete Arbeitsgruppe aufbauen. Die Fördersumme wird dabei im Wesentlichen für
die Anstellung von wissenschaftlichen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen
verwendet. "Es ist mir sehr wichtig, meine Begeisterung für diese grundlegenden
Fragestellungen mit der jungen Wissenschaftler-Generation zu teilen", so
Nicolai.
Sowohl Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie als auch das Standardmodell
der Quantenfeldtheorie beruhen auf Symmetrieprinzipien. Aufgrund von
Symmetrie-betrachtungen wurden so aus dem Standardmodell neue Elementarteilchen
(wie z.B. W- und Z-Vektorbosonen) vorhergesagt, die später in
Beschleunigerexperimenten nachgewiesen werden konnten. Nicolais Hypothese ist,
dass die Vereinheitlichung von Gravitation und den Wechselwirkungen der
Elementarteilchen nur dann zu bewerkstelligen ist, wenn man eine Symmetrie
findet, die einerseits über das uns bereits Bekannte hinausgeht, andererseits
aber alle bekannten Symmetrien der Physik als Teilsymmetrien enthält.
Nicolais Ansatz, Gravitation und Elementarteilchenwirkungen zu vereinen,
beruht auf der Symmetrie E10, einer einzigartigen unendlich-dimensionalen und
auch 50 Jahre nach ihrer Entdeckung immer noch äußerst rätselhaften
mathematischen Struktur. Unendlich-dimensional bedeutet in diesem Zusammenhang,
dass die Symmetrie in unendlich vielen Dimensionen operiert (während etwa
gewöhnliche Rotationen nur im dreidimensionalen Raum operieren). Das ist nicht
nur kaum vorstellbar, sondern auch mathematisch extrem schwierig zu präzisieren.
Die physikalische Interpretation dieser Mathematik stellt eine vielleicht
noch größere Herausforderung dar: so postuliert diese Theorie etwa, dass Raum
und Zeit "emergent" sind, also sich aus einer Physik "ohne Raum und Zeit"
ergeben sollten, so wie sich beispielsweise die Physik makroskopischer Objekte
aus der ganz anders gearteten Quantenwelt von Atomen und Molekülen ergibt.
Erste Schritte dazu sind bereits getan: in der Abteilung von Prof. Nicolai
wurde etwa ein Ordnungsprinzip für die unendlich vielen Rotationsachsen
entwickelt, mit dem E10 charakterisiert werden kann. "Wir gehen davon aus, dass
dieses singuläre mathematische Gebilde eine wesentliche Rolle beim Verständnis
der Naturgesetze spielt", so Nicolai. "Wir sind zwar noch weit davon entfernt,
die E10-Symmetrie vollkommen zu verstehen, aber wir wissen immerhin, dass diese
Symmetrie viele Erkenntnisse zusammenfasst, die wir mit der Stringtheorie und
der Supergravitation seit ca. 1980 gewonnen haben. Gleichzeitig öffnet sie einen
völlig neuen Zugang zum Verständnis von Urknall und Schwarzen Löchern."
Hauptziel der weiteren Forschung ist es, herauszufinden, wie die Symmetrie
E10 zu einer Theorie der Quantengravitation führen kann, was die Besonderheiten
der quantisierten Theorie sind und welche physikalischen Vorhersagen daraus
abgeleitet werden können. Mit dem Advanced Grant zeichnet der
European Research Council führende Wissenschaftler aus, die exzellente
Forschung mit innovativen Ansätzen verbinden. Die hoch dotierte Förderung
unterstützt Projekte, die das Potenzial für einen wissenschaftlichen Durchbruch
auf ihrem Forschungsgebiet besitzen.
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