Plasmen unter der Lupe
Redaktion
/ Pressemitteilung des DLR astronews.com
5. Dezember 2016
Was wird eigentlich auf der ISS geforscht? Diese immer
wieder gestellte Frage kann eine russisch-deutsche Forschergruppe ganz einfach
beantworten: an komplexen Plasmen. Was sich zunächst wie ein recht praxisfernes
Arbeitsgebiet anhört, hat bereits wichtige Erkenntnisse für die Festkörper- und
Flüssigkeitsphysik geliefert. Auch in der Medizin fanden sich schon
Anwendungen.
Blick auf die zwei neuen Plasmakammern des
EKoPlasma Projektes: Im Vordergrund ist die fast
kugelförmige Dodekaeder-Kammer und im Hintergrund
die ZyFlex-Kammer mit jeweils violettem
Plasmaleuchten zu sehen. Das neuartige
Plasmalabor soll 2020 auf die ISS gebracht
werden.
Foto: DLR [Großansicht] |
Die Plasmakristall-Experimente zählen zu den erfolgreichsten
Forschungsarbeiten auf der Internationalen Raumstation ISS. Das
Plasmakristall-Labor PKE-Nefedov gehörte zu den ersten naturwissenschaftlichen
Forschungslaboren auf der ISS, seit 2014 ist im Columbus-Modul der Nachfolger
PK-4 in Betrieb. Mehr als 70 wissenschaftliche Publikationen belegen den
Wissenszuwachs aus den Experimenten der letzten 15 Jahre.
Die Forschungsgruppe
Komplexe Plasmen des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) gewinnt
mit ihren Arbeiten grundlegende Erkenntnisse, die insbesondere der Festkörper-
und Flüssigkeitsphysik dienen, aber auch Anwendungen in der Weltraumphysik, der
Plasmaphysik und Plasmatechnologie sowie der Fusionsforschung ermöglichen. Ende
November trafen sich am DLR in Oberpfaffenhofen die internationalen Projekt- und
Forschungspartner zu einem umfassenden Symposium, um die bisherigen Ergebnisse
von PK-4 vorzustellen und die künftigen Aktivitäten zu planen.
Die ISS bietet
ideale Voraussetzungen für die Untersuchung von Plasmakristallen beziehungsweise
komplexen Plasmen. Plasma ist elektrisch geladenes Gas, das auf der Erde nur
selten auftritt, etwa bei einem Blitz. Im Gegensatz dazu befindet sich 99
Prozent der sichtbaren Materie im Weltraum im Plasmazustand. Wenn im ionisierten
Gas zusätzlich Staubteilchen oder andere Mikropartikel enthalten sind, werden
diese hoch aufgeladen und es entsteht ein "komplexes Plasma": In der
Schwerelosigkeit können sich die Teilchen frei im Raum ausbreiten und bilden
geordnete dreidimensionale Kristallstrukturen. Die Teilchen verhalten sich dabei
ähnlich wie Atome in einem Festkörper oder einer Flüssigkeit - mit dem Vorteil,
dass im Plasma jeder Mikropartikel einzeln und wie in Zeitlupe beobachtet werden
kann. Dies ermöglicht ganz neue Einblicke in die Physik.
Anhand der
PK-4-Aufzeichnungen können die Forscher daher auf atomarer Ebene verfolgen, wie
ein Festkörper schmilzt, wie sich Wellen in Flüssigkeiten ausbreiten oder
Strömungen verändern. Komplexes Plasma ist ein neuer Aggregatszustand der
weichen Materie, neben Kolloiden, Polymeren, Schäumen, Gelen, granularen Medien
oder auch Flüssigkeitskristallen - eine Erkenntnis, die erst die Ergebnisse
unter Schwerelosigkeit zu Tage gebracht haben.
Mittels Technologietransfer erschließt die Plasmaforschung auch völlig neue
Anwendungsbereiche. Ausgangspunkt ist das Know-how aus der bemannten Raumfahrt -
miniaturisierte, bedienungsfreundliche und zugleich hocheffiziente Labore zu
entwickeln und zu bauen, unter Berücksichtigung der speziellem
Sicherheitsaspekten für die Astronauten. Ein besonderer Transfer vom Weltraum
zur Erde ist den Wissenschaftlern (damals Max-Planck-Institut für
extraterrestrische Physik, heute DLR) bereits mit der Herstellung einer
Plasmaquelle für den medizinischen Einsatz gelungen. Dadurch konnte die weltweit
erste klinische Studie zur Nutzung von Plasma zur Heilung chronischer Wunden
durchgeführt werden - ein Meilenstein für die Plasmamedizin.
Dieses junge,
schnell wachsende Forschungsfeld verbindet Erkenntnisse aus der Plasmaphysik mit
der Plasmachemie, Mikrobiologie und Medizin. "Nach den Erfolgen mit der
Plasmamedizin am MPE arbeitet die Forschungsgruppe am DLR jetzt an neuen
Folgeprojekten. Die sogenannten Kalten Atmosphärischen Plasmen aus dem
medizinischen Bereich können wir auch für die Raumfahrt nutzbar machen -
speziell zur Sterilisierung von Oberflächen und Bauteilen, etwa von Marsrovern,
die nach Leben suchen sollen. Der Einsatz von Plasma könnte in Zukunft auch die
Hygiene an Bord der ISS wesentlich erleichtern", erklärt Dr. Hubertus Thomas,
Leiter der DLR-Forschungsgruppe Komplexe Plasmen.
Das aktuelle Forschungsprojekt und
Plasmalabor PK-4 auf der ISS ist eine europäisch-russische Kooperation mit
Forschungspartnern auf der ganzen Welt. Entsprechend großen Anklang fand nun das
PK-4-Symposium in Oberpfaffenhofen mit rund 60 Teilnehmern: Die
DLR-Forschungsgruppe Komplexe Plasmen begrüßte das internationale
Wissenschaftlerteam mit Beteiligten der europäischen Weltraumbehörde ESA, der
russischen Raumfahrtbehörde ROSCOSMOS, der amerikanischen
Raumfahrtbehörde NASA/National Science Foundation sowie dem
Raumfahrtmanagement des DLR.
In einem besonderen Gastvortrag berichtete auch
Kosmonaut Alexandr Samokutyaev von seiner Arbeit auf der ISS. Zusammen mit
Kollegin Elena Serova hatte der Russe das Plasmakristall-Labor im November 2014
installiert und für den ersten Einsatz vorbereitet: "Die wissenschaftlichen
Experimente auf der Raumstation sind sehr wichtig und für Astronauten eine
zentrale Aufgabe an Bord, da sie besondere Erkenntnisse für die Raumfahrt und
die Menschen auf der Erde liefern. Umso mehr freue ich mich, dass ich mit PK-4
einen Beitrag dazu leisten konnte."
Die Fachgemeinschaft nutzte
des Symposium auch, um das langfristige Programm von PK-4 zu erörtern und
auszubauen. Im nächsten Jahr sind drei neue Versuchsreihen mit dem
Plasmakristall-Labor geplant, das bis mindestens 2019 auf der ISS betrieben
werden soll. "Wir freuen uns, dass nach den äußerst erfolgreichen Experimenten
PKE-Nefedov und PK-3 Plus mit PK-4 die Möglichkeit besteht, die
Plasmakristallforschung auf der ISS in den kommenden Jahren fortzusetzen. Das
Symposium hat einmal mehr gezeigt, wie vielfältig dieses Forschungsgebiet ist
und dass deutsche Wissenschaftler hier in einem internationalen Umfeld an
vorderster Front forschen", sagt Dr. Thomas Driebe vom Raumfahrtmanagement des
DLR im Rahmen der Veranstaltung.
Parallel zu PK-4 entwickeln die Plasmaforscher
bereits zwei neuartige Plasmakammern, die den wissenschaftlichen und technischen
Anschluss an PK-4 und die vorangegangenen Projekte bilden. Der Experimentaufbau
von EKoPlasma soll 2020 auf die ISS gebracht werden und besteht aus einer
zylindrisch geformten "Zyflex-Kammer" und einer 12-flächigen "Dodakaeder-Kammer".
Diese einzigartigen Plasmakammern werden es der DLR-Forschungsgruppe
ermöglichen, weitere Forschungs- und Anwendungsfelder der komplexen Plasmen zu
erschließen.
Das PK-4-Labor ist eine Kooperation der
europäischen Weltraumorganisation ESA und der russischen Raumfahrtbehörde
ROSKOSMOS. Die russische Seite, wissenschaftlich beteiligt über das Joint
Institute for High Temperatures (JIHT) der russischen Akademie der
Wissenschaften, ist zuständig für den Transport des Labors, den Transport der
Videodaten zurück zur Erde und stellt die Crew-Zeit. Auch die Entwicklung des
PK-4-Labors wurde in engem Kontakt mit dem JIHT durchgeführt. Die experimentelle
Hardware ist eine Eigenentwicklung der Forschungsgruppe in
Zusammenarbeit mit industriellen Partnern, die auch für
die Infrastruktur von PK-4 zuständig war. Zusätzliche Finanzierung des Projekts
in Deutschland erfolgte durch das Raumfahrtmanagement des DLR und die
Max-Planck-Gesellschaft.
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