Ferne Atmosphären schnell berechnet
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der Universität Bern astronews.com
4. August 2016
Je genauer man Atmosphären von extrasolaren Planeten mit
modernen Teleskopen untersuchen kann, desto besser müssen auch Modelle sein, mit
denen die Atmosphären der fernen Welten simuliert werden. Forschern aus Bern ist
es jetzt gelungen, ein entsprechendes Modell erheblich zu vereinfachen, so dass
die Berechnungen in Sekundenbruchteilen durchgeführt werden können.
So könnte er aussehen: Ein erdähnlicher
Exoplanet mit einer dünnen Atmosphäre.
Bild: ESO [Großansicht] |
Normalerweise lassen sich Berechnungen mit dem Computer viel schneller
durchführen als von Hand. Doch mit einer einfachen Formel erzielt Kevin Heng,
Astrophysiker an der Universität Bern, seine Resultate Tausende Male schneller
als mit herkömmlichen Computercodes. Heng berechnet die Häufigkeit bestimmter
Moleküle in der Atmosphäre von Exoplaneten. Diese Atmosphärenchemie soll
schlussendlich klären, ob physikalische, geologische oder biologische Prozesse
hinter beobachteten Messwerten stehen.
Mit ihren raffinierten Instrumenten können Astronomen heute nicht nur neue
extrasolare Planeten aufspüren, sondern auch die Atmosphäre einiger dieser
fernen Welten charakterisieren. Entspricht eine Beobachtung den Erwartungen oder
sorgt sie für eine Überraschung? Um diese Frage zu beantworten, berechnen
Theoretiker die erwartete Häufigkeit von Molekülen in der Planetenatmosphäre.
Heng, Direktor des Center for Space and Habitability (CSH) der
Universität Bern, ist Fachmann für solche Berechnungen. "In der Sonne und den
anderen Sternen ist jeweils ein bestimmter Anteil chemischer Elemente wie
Wasserstoff, Kohlenstoff, Sauerstoff und Stickstoff enthalten", erklärt er. "Und
es gibt viele klare Hinweise, dass die Planeten aus dieser Sternsubstanz geformt
werden."
Aber während die chemischen Elemente in den Sternen als Atome vorkommen, bilden
sie bei den tieferen Temperaturen in der Atmosphäre der Exoplaneten verschiedene
Moleküle je nach Temperatur und Druck. So kommt beispielsweise bei niedriger
Temperatur der meiste Kohlenstoff in Form von Methan vor, bei hoher Temperatur
hingegen als Kohlenmonoxid.
Kohlenstoff kann auf sehr viele Arten chemisch reagieren. Deshalb sind
herkömmliche Berechnungen komplex und sehr zeitaufwändig. "Ich habe einen Weg
gefunden, wie dies viel schneller geht, indem ich 99 Prozent des Problems auf
dem Papier löse, bevor ich einen Computer auch nur berühre", sagt Heng:
"Normalerweise löst man ein System von sogenannten gekoppelten, nichtlinearen
Gleichungen. Mir ist es gelungen, das Problem auf eine einzige Polynomgleichung
zu reduzieren, indem ich das Gleichungssystem auf dem Papier entkoppelt habe,
anstatt einen Computer zu benützen." Die Lösung dieser Polynomgleichung benötigt
dann einen Bruchteil der ursprünglichen Computerzeit.
Der Astrophysiker brauchte ein paar Monate, um dies herauszufinden. In zwei
Studien, die bereits Anfang Jahr veröffentlicht wurden, legte er die Grundlagen
zum Hauptresultat, das jetzt in einer dritten Arbeit publiziert wird. "Dieser
Durchbruch reduziert nun den Hauptteil des Programms auf eine
Computercode-Zeile. Nun können wir die Chemie in einer Exoplaneten-Atmosphäre in
0,01 Sekunden statt in einigen Minuten berechnen."
Eine Grafik mit Kurven, welche die relative Häufigkeit von verschiedenen
Molekülen wie Methan, Kohlenmonoxid, Wasser oder Ammoniak in Abhängigkeit der
Temperatur darstellen, zeigt, wie genau die neue Formel ist. "Man kann den
Unterschied zwischen meinen Berechnungen und denjenigen mit dem komplizierten
Computercode kaum feststellen", fasst Heng zusammen. Die Studie sorgte so auch
in der Fachwelt für Aufsehen, noch bevor sie offiziell veröffentlicht wurde.
Die neue analytische Methode hat mehrere Auswirkungen. Dank der gewaltigen
Beschleunigung können die verschiedenen Möglichkeiten bei der Interpretation der
Spektren der Planetenatmosphären gründlicher untersucht werden. Hengs
Berechnungen erleichtern auch anderen den Zugang: "Jetzt kann jede Astronomin,
jeder Astronom irgendwo auf der Welt die Atmosphärenchemie von Exoplaneten
berechnen. Man muss dafür keinen ausgeklügelten Computercode mehr einsetzen. Es
macht mir großen Spaß, dass dieses Wissen nun allen Forschenden weltweit zur
Verfügung steht."
Die Astronomen hoffen, dass sie mithilfe der Beobachtung der Atmosphäre
von Exoplaneten herausfinden, wie die Himmelsobjekte entstanden sind und welche
Prozesse noch immer ablaufen. Unterschiede zwischen der beobachteten und der
berechneten Häufigkeit von Molekülen könnten geologische oder biologische
Prozesse aufdecken. "Wenn wir in 20 oder 30 Jahren eine Exoplaneten-Atmosphäre
mit Wasser, Sauerstoff, Ozon und anderen Moleküle entdecken, können wir uns
vielleicht fragen, ob wir Leben beobachten", sagt Heng: "Zuerst müssen wir aber
prüfen, ob sich die Daten mit Physik oder Geologie erklären lassen.
Die Fachveröffentlichung, die das Verfahren beschreibt, wird in der Zeitschrift
Astrophysical Journal erscheinen.
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