Raumkrümmung im Labor untersucht
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der Universität Erlangen-Nürnberg astronews.com
29. Dezember 2015
Um den Einfluss von Gravitation auf die Ausbreitung von
Licht zu untersuchen, sind Wissenschaftler normalerweise auf astronomische
Längenskalen und die Beteiligung enormer Massen angewiesen. Jetzt haben Physiker
gezeigt, dass es auch anders geht: Sie untersuchten die Krümmung von Oberflächen
mit Blick auf Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie im Labor.
Ein Laserstrahl breitet sich im Experiment
entlang der zweidimensionalen Oberfläche einer
sanduhrförmigen Glasfigur aus und windet sich
dabei einmal um die Figurentaille. Diese Figur
ist ein Beispiel für eine negativ gekrümmte
Oberfläche (wie etwa ein Sattel), im Gegensatz zu
einer positiv gekrümmten Oberfläche, wie die
einer Kugel.
Bild: Vincent Schultheiß / FAU [Großansicht] |
Gemäß Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie lässt sich Gravitation als
Krümmung der vierdimensionalen Raumzeit beschreiben. Himmelskörper und auch
Licht bewegen sich in diesem gekrümmten Raum entlang von Geodäten, die die lokal
kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten darstellen, aber von außen betrachtet
oft alles andere als gerade erscheinen.
Um die Lichtausbreitung in solch gekrümmten Räumen im Labor zu untersuchen,
bedienen sich die Wissenschaftler um Prof. Dr. Ulf Peschel von der Universität
Jena eines Tricks: Statt alle vier Dimensionen der Raumzeit zu verändern,
reduzieren sie das Problem auf zwei Dimensionen und untersuchen die
Lichtausbreitung entlang gekrümmter Oberflächen.
Krümmung ist jedoch nicht gleich Krümmung. "Während man zum Beispiel einen
Zylinder oder Kegel leicht zu einem flachen Stück Papier auffalten kann, ist es
nicht möglich, die Oberfläche einer Kugel flach auf dem Tisch auszubreiten, ohne
dabei die Fläche zu zerreißen oder zumindest stark zu verzerren", erklärt
Vincent Schultheiß, Doktorand an der Friedrich-Alexander-Universität
Erlangen-Nürnberg (FAU), der an der Studie beteiligt war. "Das kennt man im
Alltag von Weltkarten, die die Erdoberfläche immer verfälscht darstellen müssen.
Die Krümmung der Kugeloberfläche ist eine intrinsische Eigenschaft, die sich
nicht verändern lässt und Auswirkungen auf Geometrie und Physik innerhalb dieser
zweidimensionalen Fläche hat."
Im Experiment wurden die Auswirkungen genau dieser intrinsischen Krümmung des
Raumes auf die Lichtausbreitung untersucht. Dazu wurde das Licht in einem
schmalen Bereich nahe der Oberfläche eines maßgefertigten Körpers gefangen und
so gezwungen, dem Verlauf der Oberfläche zu folgen. Dabei verhielt es sich
während der Ausbreitung so, wie es der Ablenkung durch gewaltige Massen
entspräche. Durch eine Variation der Krümmung der Oberfläche kann man die
Lichtausbreitung sogar steuern. Umgekehrt ist es aber auch möglich, durch eine
Analyse der Lichtausbreitung etwas über die Krümmung der Oberfläche selbst zu
lernen.
Übertragen auf astronomische Beobachtungen heißt das, dass dem uns von weit
entfernten Sternen erreichenden Licht wertvolle Informationen über den
durchquerten Raum aufgeprägt sind. In ihrer Studie untersuchten die Forscher
hierzu die nach den beiden englischen Physikern Robert Hanbury Brown und Richard
Twiss benannte Intensitätsinterferometrie, die zur Bestimmung der Größe
sonnennaher Sterne verwendet wird.
Bei diesem Messverfahren werden zwei Teleskope mit variablem Abstand auf den zu
untersuchenden Stern ausgerichtet und die jeweils von beiden Standpunkten aus
sichtbaren Helligkeitsschwankungen miteinander verglichen. Die
Helligkeitsunterschiede sind eine Folge der Interferenz unabhängig voneinander
auf der Sternoberfläche emittierten Lichts - in der Beobachtungsebene sichtbar
als ein körniges Helligkeitsmuster - und erlauben es, Aussagen über die Größe
des beobachteten Objektes zu machen.
Da die Lichtwege in einem gekrümmten Raum im Vergleich zum flachen Fall viel
stärker dazu neigen zu konvergieren oder zu divergieren, ändert sich auch die
Korngröße des Helligkeitsmusters in Abhängigkeit von der Raumkrümmung. Die
Wissenschaftler konnten zeigen, dass die Kenntnis der Raumkrümmung entscheidend
für die Interpretation der Ergebnisse ist, aber auch, wie sich derartige
interferometrische Experimente dazu eignen, die allgemeine Krümmung des
Universums genauer zu vermessen.
Ob die Forschungsergebnisse jedoch tatsächlich zu einem besseren Verständnis
unseres Universums beitragen, muss sich erst noch zeigen. "Ziel unserer
Forschung ist es zunächst, Erkenntnisse der Allgemeinen Relativitätstheorie
durch die bewusste Modulierung von Oberflächen von Objekten in die
Materialwissenschaften zu übertragen", erläutert Peschel. Dabei entstehen
Verknüpfungspunkte zwischen diesen beiden auf den ersten Blick völlig
verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen.
"Vom Fabrikationsstandpunkt her sind flache Designs oft sehr viel leichter zu
bewerkstelligen. Aber gekrümmte Oberflächen bergen ein bisher ungenutztes
Potenzial zum Beispiel zur Steuerung von Lichtwegen in optischen Systemen. Durch
lokale Variationen der Oberflächenkrümmung kann man oft das gleiche bewirken,
wie durch eine Veränderung des Volumenmaterials selbst. Die Zahl nötiger
Arbeitsschritte und verwendeter Materialien bei der Herstellung integrierter
optischer Schaltkreise oder mikrooptischer Komponenten kann so eventuell
reduziert werden", so Peschel.
Entstanden ist die Studie am Exzellenzcluster Engineering of Advanced
Materials (EAM) der FAU, in dem Forscher ganz unterschiedlicher
Fachbereiche an der Entwicklung neuartiger Materialien arbeiten. Über ihre
Untersuchungen berichteten die Wissenschaftler in der Fachzeitschrift Nature
Photonics.
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