Das turbulente Zentrum der Milchstraße
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für extraterrestrische Physik astronews.com
24. August 2015
Ein internationales Team von Astronomen hat mithilfe von
Beobachtungen des ESA-Röntgenteleskops XMM-Newton und durch die
Auswertung von Archivmaterial die Region rund um das zentrale supermassereiche
Schwarze Loch der Milchstraße detailliert unter die Lupe genommen. Das Schwarze
Loch sorgt,
zusammen mit massereichen Sternen, hier offenbar für erhebliche Turbulenzen.
Breitbandiges Röntgen-Mosaikbild,
zusammengesetzt aus mehr als hundert einzelnen
XMM-Newton Beobachtungen innerhalb des
Blickwinkels von einem Grad im Zentrum der
Milchstraße.
Bild: ESA/XMM-Newton / G.
Ponti et al. 2015 [Großansicht] |
Die Untersuchung der Röntgenstrahlung aus dem galaktischen Zentrum ist von
herausragender Bedeutung für die Astronomie. Eines der ersten großen Projekte,
das vom Röntgensatelliten XMM-Newton direkt nach dem Start durchgeführt
wurde, war daher eine detaillierte Kartierung des galaktischen Zentrums.
Vor kurzem führte ein Team unter der Leitung von Wissenschaftlern des
Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik (MPE) eine erneute
Durchmusterung mit XMM-Newton durch und verknüpfte diese Beobachtungen mit
allen bisherigen Archivdaten, um so die bisher besten Karten für sowohl die
Kontinuums- als auch die Linienemission im Röntgenbereich zu erhalten.
Damit war das Team in der Lage, die Auswirkungen von spektakulären Ereignissen,
die große Mengen an Energie freigesetzt haben, im Detail zu erforschen. Dies
lieferte auch neue Hinweise darauf, welche Auswirkungen riesige
Röntgenstrahlen-emittierenden Plasmablasen mit Dutzenden Lichtjahren Durchmesser
auf ihre Umwelt haben. Diese Blasen in der Mitte der Milchstraße beinhalten
insbesondere riesige Hohlräume in Gas, Staub und kühlerem Plasma.
Einer der aufschlussreichsten Hinweise auf den "Schuldigen" auf den
Röntgenbildern sind zwei bipolare "Flügel", die Dutzende von Lichtjahren
oberhalb und unterhalb der galaktischen Ebene hinausragen und auf das
supermassereiche Schwarze Loch zentriert sind. Frühere Indizien hatten bereits
auf das Schwarze Loch hingedeutet, dank der neuen Beobachtungen konnte man es
aber - zusammen mit massereichen Sternen in dieser Region - praktisch auf
frischer Tat ertappen.
Die Quellen an Materie und Energie, die für diese bipolaren Flügel aus heißem,
Röntgen-strahlendem Gas notwendig sind, müssen entweder Abflüsse sein, die sehr
nahe vom Ereignishorizont des supermassereichen Schwarzen Lochs abgehen, Winde
von massereichen Sternen in der Umlaufbahn um das Loch oder katastrophale
Ereignisse, die mit dem Tod von massereichen Sternen in seiner Nähe in
Zusammenhang stehen.
Das Team entdeckte außerdem die "Fingerabdrücke" von warmem Plasma in den
Außenbereichen der erfassten, mehrere Hunderte Lichtjahre durchmessenden Region.
Dies deutet darauf hin, dass die turbulenten Ereignisse im Zentrum der
Milchstraße Auswirkungen haben, die weit über diese zentrale Region hinausgehen.
Das neu entdeckte Plasma könnte mit einer Art inhomogener heißer "Atmosphäre"
aus heißem Gas zusammenhängen, die die zentralen Regionen der Galaxie
durchdringt und vielleicht durch (kontinuierliche oder episodische) Abflüsse von
Masse und Energie aus dem Milchstraßenkern gespeist wird. Ähnliche Strukturen
werden gelegentlich in den Zentren anderer Galaxien beobachtet. Doch dank der
Nähe des Milchstraßenzentrums können die XMM-Newton-Karten dieses
Phänomen hervorragend im Detail darstellen.
Außerdem wurde eine weitere große Störung in dieser turbulenten Region entdeckt:
einige "Superblasen", riesige Hohlräume mit vielen Lichtjahren Durchmesser aus
heißem Plasma, das weiche Röntgenstrahlung emittiert. Eine einzelne solche
Region enthält eine Energiemenge von mindestens 1051 erg. Das
entspricht etwa der Gesamtenergie der Sonne, die sie im Laufe ihrer zehn
Milliarden Jahre Lebensdauer emittiert.
Die Daten zeigen, dass diese riesige Struktur in den letzten zehntausend Jahren
durch starke Winde von den massereichsten Sternen des spektakulären Quintuplet-Sternhaufens
und katastrophale Ereignisse wie Explosionen massereicher Sterne praktisch
"aufgeblasen" wurde. Die Freisetzung von derartig großen Mengen an Energie hat
tiefgreifende Auswirkungen auf die Entwicklung der interstellaren Materie im
galaktischen Zentrum.
Damit haben die Wissenschaftler - während die energiereichen Geschehnisse
weiterhin rekonstruiert werden - mit diesen neuen Röntgenbildern schon eine viel
klarere Vorstellung davon, was in den letzten paar Milliarden Jahren passiert
sein dürfte - und wie sich unsere Milchstraße auch in Zukunft weiterentwickeln
könnte. Eines ist klar: die Turbulenzen in der Nachbarschaft des galaktischen
Zentrums werden zweifellos auch in Zukunft weiterhin andauern.
Über ihre Ergebnisse berichten die Astronomen jetzt in der Fachzeitschrift
Monthly Notices of the Royal Astronomical Society .
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