Zerfall seltsamer Teilchen im Fokus
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der Universität Mainz astronews.com
12. Mai 2015
Im Teilchenzoo der Physiker gibt es manche seltsame
Vertreter, deren Untersuchung allerdings einiges über die Gültigkeit des
Standardmodells aussagen könnte. Zu diesen seltsamen Teilchen zählt auch das Kaon, dessen Zerfall im Rahmen eines neuen Experimentes im CERN untersucht
werden soll. Ein entsprechender Detektor ist inzwischen auf dem Weg von Mainz
nach Genf.

Eine Seite des Detektors mit Auslesefasern:
Die grünen, lichtleitenden und szintillierenden
Fasern werden im Endaufbau das Licht, das die
durchgehenden Teilchen im Detektor erzeugen, auf
Fotosensoren leiten.
Foto: Rainer Wanke, JGU [Großansicht] |
Mit einem Schwertransporter haben Wissenschaftler vom Institut für Physik der
Johannes Gutenberg-Universität Mainz nach fast sechsjähriger Bauzeit einen
Teilchendetektor auf den Weg ans Forschungszentrum CERN in Genf geschickt. Der
Detektor war in einer Lagerhalle im Mainzer Stadtteil Gonsenheim zusammengebaut
worden und konnte am 11. Mai aufgeladen werden und seine über 1.000 Kilometer
lange Reise via Frankreich nach Genf antreten. Am CERN wird er Teil des
sogenannten NA62-Experiments, das im Juli dieses Jahres beginnt. Das
Experiment wird einen äußerst seltenen Zerfall von Kaonen messen. Ein Kaon
besteht aus einem Quark und einem Antiquark und gehört zu den "seltsamen
Teilchen". Es ist instabil und wurde in den 1940er Jahren erstmals in der
Höhenstrahlung entdeckt.
Bei dem Teilchendetektor aus Mainzer Produktion handelt
es sich um ein hadronisches Kalorimeter, ein Messgerät, das die Wärmeproduktion
bei physikalischen Prozessen erfasst. Seine Grundfläche beträgt etwa drei Meter
mal drei Meter bei einer Höhe von einem Meter. Das Gewicht von knapp 40 Tonnen
kommt vor allem durch die Eisenschichten in dem Detektor zustande. Wegen seiner
Überbreite und des Gewichts ist ein Spezialtransport nötig, um das Kalorimeter
an seinen Bestimmungsort zu bringen.
Aus verschiedenen Gründen verläuft die
Fahrt jedoch nicht auf dem direkten Weg über die Schweiz, sondern auf Umwegen
über Frankreich nach Genf. Dort angekommen, wird der Teilchendetektor in den
nächsten Wochen in das NA62-Experiment eingebaut. Dieses Experiment wird den
extrem seltenen Zerfall eines geladenen Kaons in ein Pion und zwei Neutrinos
messen. Dazu müssen die Kaonen am CERN in großen Mengen erzeugt werden. Bei zehn
Milliarden Kaonzerfällen kommt der gesuchte Zerfall mit einem Pion nur einmal
vor.
Weil die Wissenschaftler gerne 100 solcher Zerfälle aufzeichnen möchten,
müssen über eine Billion Kaonen produziert und deren Zerfälle untersucht werden.
Das Experiment wird den Erwartungen zufolge etwa drei Jahre lang laufen. "Wir
hoffen, dass die genaue Zerfallsrate, die wir messen werden, ein wenig von den
theoretischen Vorhersagen abweicht und wir damit die lang gesuchte neue Physik
jenseits des bekannten Standardmodells finden", erläutert Dr. Rainer Wanke vom
Institut für Physik der Universität Mainz. "Wir haben also das gleiche Ziel, wie die großen
Experimente am LHC-Beschleuniger des CERN." Wanke ist für den Bau des Mainzer
Detektors verantwortlich.
Der Detektor soll die Pionen, die bei dem zu
untersuchenden Zerfall entstehen, von Myonen unterscheiden, die sehr häufig bei Kaonzerfällen
auftreten. "Dazu nutzen wir die unterschiedliche Wechselwirkung der beiden
Teilchen mit Materie aus. Die Teilchen wechselwirken in unserem Detektor mit 24
jeweils 2,5 Zentimeter dicken Eisenschichten und werden zwischen den
Eisenschichten über Lichterzeugung in szintillierenden Plastikstreifen und daran
angeschlossenen Fotosensoren nachgewiesen", erklärt Wanke.
Der Teilchendetektor
und die Beteiligung der Mainzer Wissenschaftler am NA62-Experiment wird vom
Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) finanziell gefördert und vom
Exzellenzcluster "Precision Physics, Fundamental Interactions and Structure of
Matter" (PRISMA) der Universität Mainz unterstützt. Wissenschaftler der Johannes
Gutenberg-Universität Mainz sind am CERN an verschiedenen weiteren
Forschungsarbeiten beteiligt, auch an Experimenten am Teilchenbeschleuniger
LHC.
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