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Heute Abend beginnt für den deutschen Astronauten Alexander Gerst das wohl bislang größte Abenteuer seines Lebens: Der 38-jährige Geophysiker soll rund sechs Monate lang auf der Internationalen Raumstation ISS leben und arbeiten. Dabei hat er ein umfangreiches Wissenschaftsprogramm zu absolvieren, auf das er sich zuvor sorgfältig vorbereitet hat.
Wie können Turbinenschaufeln noch leichter und gleichzeitig stabiler werden? Kann ein elektrischer Leiter ein Magnetfeld aufbauen, das Raumschiffe vor dem Sonnenwind schützt? Was können wir aus den physiologischen Veränderungen, die die Astronauten im Weltraum erfahren, für den Menschen auf der Erde lernen? Diesen und weiteren spannenden Fragen will der deutsche ESA-Astronaut Alexander Gerst an Bord der Internationalen Raumstation ISS während seiner Mission "Blue Dot" auf den Grund gehen. Unter dem Motto "Shaping the future - Zukunft gestalten" soll der 38 Jahre alte Geophysiker zwischen seinem Start am heutigen Abend und seiner Landung am 11. November 2014 rund 100 Experimente durchführen. 35 Experimente kommen aus Europa - die meisten davon aus deutschen Forschungseinrichtungen wie dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). Ein wichtiger Komplex dabei sind materialwissenschaftliche Experimente: Leichte und stabile Werkstoffe sind wichtig für die Industrie. Auf der Erde sinken schwere Teile in einer Schmelze aber immer nach unten in Richtung Erdmittelpunkt. Da in der Umlaufbahn der ISS Schwerelosigkeit herrscht, verteilen sich die Legierungsbestandteile einheitlich in der Schmelze. Je einheitlicher die Verteilung, desto stabiler und hochwertiger ist der Werkstoff. Bislang werden auf der ISS schon Gussteile in den beiden Öfen des Material Science Lab (MSL) geschmolzen. Um diese Forschung weiter auszubauen, soll Gerst einen neuen, einzigartigen Hightech-Schmelzofen, den Elektromagnetischen Levitator (EML), auf der ISS installieren, in Betrieb nehmen und bis zu sechs Proben schmelzen. In dem Kooperationsprojekt EML von DLR und ESA schweben die Proben frei im Raum und werden durch ein elektromagnetisches Feld in Position gehalten. Mit dem Ofen wollen viele Forscher - unter anderem Wissenschaftler des DLR-Instituts für Materialphysik im Weltraum, deutscher Universitäten, des Forschungsinstituts ACCESS in Aachen und der Metallindustrie - neuartige Legierungen testen.
Gerst wird auch untersuchen, wie sich Emulsionen in Schwerelosigkeit verhalten und wie man diese Mixturen stabiler machen kann. Emulsionen spielen zum Beispiel in der Lebensmittelproduktion, der kosmetischen und pharmazeutischen Industrie, aber auch in der Ölindustrie eine wichtige Rolle. Viele dieser speziellen Mischungen müssen in Lebensmitteln, Kosmetika und pharmazeutischen Produkten lange Zeit hochstabil bleiben. Im DCMIX-Experiment der Universität Bayreuth wird Gerst Diffusionsprozesse in Fluiden untersuchen, die wenigstens drei Komponenten enthalten. Das Experiment soll auch dabei helfen, Mischungsunterschiede von Erdöl in Lagerstätten besser zu verstehen. Auch die Plasmaforschung wird während der Blue Dot-Mission einen gewaltigen Schritt in die Zukunft machen. Gerst soll die PK-4-Anlage in Empfang nehmen und im europäischen Columbus-Labor installieren - ein weiteres Highlight seiner Mission. Mit dem Nachfolger der deutschen Anlagen PK-3 und PK-3-Plus sollen physikalische Grundlagen komplexer, dreidimensionaler Plasmen erforscht werden. Diese Plasmen bestehen aus einem kalten elektrisch leitendenden Gas, das mit Staubpartikeln angereichert ist. Da die Partikel absinken und das komplexe Plasma in Richtung der Schwerkraft stauchen, ist ein Plasmakristall auf der Erde auf nur wenige Gitterebenen begrenzt. Nur unter Schwerelosigkeit können große, homogene 3D-Strukturen ungestört gebildet und erforscht werden. Auf der Erde hilft diese Forschung, Staubbildung beim Herstellungsprozess von Mikrochips zu kontrollieren. An den ISS-Experimenten sind neben der neugegründeten "Forschergruppe Komplexe Plasmen" im DLR in Oberpfaffenhofen, Wissenschaftler des Joint Institute for High Temperatures (JIHT) in Moskau und der Universität Gießen beteiligt. Mit dem das MagVector/MFX-Experiment des DLR Raumfahrtmanagements soll die Schutzwirkung des Erdmagnetfelds vor den hochenergetischen Teilchen des Sonnenwinds genauer untersucht werden. Die Hoffnung ist, dass in Zukunft aufwendige Spezialverkleidungen für Raumfahrzeuge der Vergangenheit angehören werden, wenn durch die Experimente einmal ein Schutzschild entwickelt werden kann, wie man es bislang nur aus Science-Fiction-Filme kennt. Gerst macht nicht nur Experimente, sondern ist auch selbst Proband: In der Schwerelosigkeit läuft nämlich im Zeitraffer das Gleiche ab, was Menschen beim Alterungsprozess auf der Erde erleben: Muskelabbau, Osteoporose, Rückenbeschwerden, Kreislauf- und Orientierungsprobleme, zunehmende Kraftlosigkeit sowie Probleme im Immunsystem. Daher können in der Raumfahrtmedizin an gesunden Astronauten Krankheiten und Alterungsphänomene studiert werden. Veränderungen des Knorpels im Kniegelenk, der Tagesrhythmik der Köperkerntemperatur sowie der Eigenschaften der Haut sind drei der deutschen Experimente, die vor der Mission "Blue Dot" begonnen haben und die Gerst auf der ISS weiterführen soll. Mit den beiden Experimenten BOSS und BIOMEX soll Gerst auch Beiträge zur Astrobiologie liefern, die Fragen nach dem Ursprung des Menschen, der Verteilung und der Entwicklung von Leben sowie nach Lebensmöglichkeiten außerhalb der Erde erforscht. So sollen etwa Mikroorganismen in der Anlage Expose-R an der Außenseite der ISS den harten Bedingungen des Weltraums wie Strahlung und Vakuum ausgesetzt werden. Der Start der Mission "Blue Dot" wird von NASA, ESA und DLR im Internet übertragen und ist beispielsweise auch im dritten Programm des bayerischen Fernsehens und auf Phoenix zu sehen. Der Start ist für 21.57 Uhr MESZ vorgesehen. Nur sechs Stunden später, morgen um 3.48 Uhr MESZ, soll das Raumschiff Sojus TMA-13M an die ISS andocken.
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