Paar aus Schwarzen Löchern in normaler Galaxie
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Radioastronomie astronews.com
23. April 2014
Astronomen haben in einer entfernten Galaxie ein ganz
besonderes Paar aus zwei supermassereichen Schwarzen Löchern entdeckt. Das
schwergewichtige Duo befindet sich nämlich nicht in einer aktiven Galaxie,
sondern im Zentrum eines normalen Systems. Die Entdeckung gelang zufällig: Die
Forscher hatten die Instrumente von XMM-Newton beim Schwenken
angelassen.

So könnte das jetzt entdeckte Paar aus zwei
supermassereichen Schwarzen Löchern aussehen.
Bild: ESA - C. Carreau
[Großansicht] |
Astronomen vermuten, dass die meisten großen Galaxien im Universum mindestens
ein supermassereiches Schwarzes Loch in ihrem Zentrum aufweisen. Zwei Schwarze
Löcher in ihrem Inneren gelten als Beweis dafür, dass das Objekt durch die
Verschmelzung von zwei Galaxien entstanden ist. Das Aufspüren von Systemen mit
jeweils zwei supermassereichen Schwarzen Löchern liefert den Astronomen somit
Erkenntnisse darüber, wie die Galaxien im Universum sich zu ihrem heutigen
Erscheinungsbild in Ausdehnung und Gestalt entwickelt haben.
Bis heute konnten nur eine Handvoll Kandidaten für Paare von
supermassereichen Schwarzen Löchern gefunden werden, die in den Zentren von
Galaxien in geringem Abstand umeinander rotieren. Bisher war das ausschließlich
in aktiven Galaxienkernen der Fall, in denen die Schwarzen Löcher ständig
Gaswolken auseinanderreißen, bevor sie vollständig im Zentralobjekt
verschwinden.
Infolge dieses Akkretionsprozesses wird das Gas so weit aufgeheizt, dass es in
zahlreichen Wellenlängenbereichen bis hin zur energiereichen Röntgenstrahlung
aufleuchtet. Das führt zu einem ungewöhnlich leuchtkräftigen Zentralbereich
dieser Galaxien, die man auch als "aktive Galaxien" oder "aktive Galaxienkerne"
bezeichnet.
Jetzt ist es Wissenschaftlern gelungen, erstmals ein Paar von
supermassereichen Schwarzen Löchern in einer nicht aktiven Galaxie aufzuspüren.
"Es könnte eine ganze Population von nicht aktiven Galaxien geben, die binäre
Schwarze Löcher in ihren Zentren aufweisen", vermutet Stefanie Komossa vom
Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn, die an den Beobachtungen
beteiligt war.
Doch der Nachweis ist alles andere als leicht, da in diesen Fällen keine
Gaswolken zur regelmäßigen "Fütterung" der Schwarzen Löcher beitragen und die
Kernbereiche dieser Galaxien somit dunkel bleiben. Damit bleibt den Astronomen
nur eine einzige Hoffnung, diese Schwarzen Löcher nachzuweisen: Sie müssen im
richtigen Moment auf die richtige Stelle schauen, und zwar gerade dann, wenn
eines dieser Schwarzen Löcher aktiv wird, indem es einen Stern auseinanderreißt,
der ihm zu nahe gekommen ist.
Einen solchen Vorgang bezeichnen die Wissenschaftler als "Tidal Disruption
Event" (Zerreißen des Sterns durch Gezeitenkräfte) und im Zuge dieses
Ereignisses erfolgt ein starker Ausbruch von Röntgenstrahlung. In einer aktiven
Galaxie wird das zentrale Schwarze Loch kontinuierlich durch Gaswolken
gefüttert. In einer ruhigen Galaxie erfolgt hingegen die Aufnahme von Materie
nur sporadisch durch ganze Sterne, die der Zentralquelle zu nahe kommen. Ein
solcher Vorgang tritt nur unregelmäßig auf und ist unmöglich vorherzusagen.
Um die Chancen zu erhöhen, ein derartiges Ereignis nun doch aufzuspüren,
nutzen die Forscher den Röntgensatelliten XMM-Newton der Europäischen
Raumfahrtagentur ESA auf neuartige Weise. Normalerweise nimmt das
Röntgenobservatorium Daten von vorgegebenen Positionen am Himmel auf, und zwar
jeweils nur eine pro Zeitintervall. Sobald eine Beobachtung abgeschlossen ist,
schwenkt das Teleskop zur nächsten Position.
Der Trick ist nun, dass während der Schwenkbewegung die Instrumente des
Röntgensatelliten eingeschaltet bleiben und weiter aufzeichnen. Auf diese Weise
wird eine große Anzahl von zufällig verteilten Positionen am Himmel erfasst und
diese Daten können in Bezug auf bisher unbekannte oder unerwartete Quellen von
Röntgenstrahlung am Himmel analysiert werden. Am 10. Juni 2010 wurde von
XMM-Newton ein solches Ereignis in Richtung der Galaxie SDSS
J120136.02+300305.5, in rund zwei Milliarden Lichtjahren Entfernung
aufgezeichnet.
Stefanie Komossa und ihre Kollegen hatten die Röntgendaten speziell auf
derartige Vorgänge untersucht und waren in der Lage, Nachfolgebeobachtungen der
Röntgenstrahlung dieser Galaxie mit XMM-Newton und dem NASA-Satelliten
Swift binnen weniger Tage anzusetzen. Von der Galaxie wurde immer noch
Röntgenstrahlung abgegeben.
Die Beobachtungen stimmten zunächst voll mit dem erwarteten Erscheinungsbild
für das Auseinanderreißen eines Sterns durch ein extrem massereiches Schwarzes
Loch überein. Doch dann geschah etwas Überraschendes: Das Röntgensignal fiel
zwischen den Tagen 27 und 48 nach der Entdeckung plötzlich unter die
Nachweisgrenze. Dann wurde es wieder sichtbar und folgte weiterhin einer
erwarteten Abschwächung, als ob nichts geschehen wäre.
Die Forscher glauben jedoch, eine Erklärung für diese Beobachtungen gefunden
zu haben: "Es ist genau das, was wir von einem Paar sich umkreisender
supermassereicher Schwarzer Löcher erwarten würden", so Fukun Liu von der
Peking University in Peking, der Modellrechnungen von Paaren von Schwarzen
Löchern durchgeführt hat, die genau vorhersagen, dass die Röntgenstrahlung
plötzlich verlischt und wenig später wieder messbar wird.
Der Grund dafür ist, dass die Gravitation von einem der Schwarzen Löcher den
Materiefluss auf das andere unterbricht und damit zeitweise die
Materialversorgung für den Ausbruch von Röntgenstrahlung aufhebt. Nach seinen
Rechnungen gibt es zwei mögliche Konfigurationen, die das beobachtete Verhalten
der Röntgenstrahlung von J120136 erklären könnten. In der ersten Konfiguration
wird ein Schwarzes Loch von 10 Millionen Sonnenmassen von einem zweiten mit
einer Million Sonnenmassen auf einer elliptischen Bahn umkreist. In der zweiten
Lösung sind die Massen von beiden Schwarzen Löchern um jeweils einen Faktor 10
geringer, und ihre Bahn ist kreisförmig.
In beiden Fällen weisen die Schwarzen Löcher einen ziemlich geringen Abstand
auf: nur 0,6 Milliparsec oder 17 Lichtstunden. Das entspricht gerade mal der
Ausdehnung unseres Sonnensystems oder etwa der derzeitigen Entfernung der
Raumsonde Voyager 1 von der Erde. Bei diesem geringen Abstand ist das
Schicksal des neuentdeckten Paares von Schwarzen Löchern klar vorherbestimmt.
Sie werden ihre Umlaufsenergie allmählich abstrahlen und sich so auf einer
spiralförmigen Bahn immer weiter annähern, bis sie schließlich in rund zwei
Millionen Jahren zu einem einzigen Schwarzen Loch verschmelzen.
Nach dem Aufspüren des ersten Kandidaten für ein binäres Schwarzes Loch in
einer nicht-aktiven Galaxie ist die Suche nach weiteren Ereignissen dieser Art
in vollem Gange. Die systematischen XMM-Newton-Beobachtungen während
der Schwenks werden fortgesetzt. Und mit dem ersten Erfolg wird auch das
Interesse für ein Netzwerk von Röntgenteleskopen zur Suche nach solchen
Ereignissen am ganzen Himmel angespornt.
"Mit Tausenden von solchen Ereignissen werden wir in der Lage sein,
verlässliche statistische Aussagen darüber abzuleiten, in welcher Rate Galaxien
miteinander verschmelzen", erwartet Komossa. Wenn Schwarze Löcher miteinander
verschmelzen, wird die Freisetzung einer gewaltigen Energiemenge erwartet, die
überwiegend nicht in elektromagnetischer Strahlung erfolgt. "Die Verschmelzung
zweier Schwarzer Löcher dürfte die stärkste Quelle für Gravitationswellen im
ganzen Universum darstellen", sagt Liu.
"Der innovative Ansatz mit Beobachtungen während der Schwenks von
XMM-Newton hat die Entdeckung dieses Systems mit zwei supermassereichen
Schwarzen Löchern erst möglich gemacht", freut sich auch Norbert Schartel, der
XMM-Newton-Projekt-Wissenschaftler bei der ESA. "Es zeigt die wichtige
Rolle von langlebigen Weltraumobservatorien bei der Entdeckung von derart
seltenen Ereignissen, die vielleicht einen neuen Forschungsbereich in der
Astronomie eröffnen."
Über ihre Beobachtungen und Schlussfolgerungen berichten die Forscher in
einem Fachartikel in der Zeitschrift Astrophysical Journal.
|