Teilchenbeschleuniger im All entlarvt
Redaktion
/ Pressemitteilungen der Universität Innsbruck und des MPIA astronews.com
15. Februar 2013
In jeder Sekunde treffen unzählige Partikel der kosmischen
Strahlung die Erde. Bei den Teilchen handelt es sich meist um hochenergetische
Protonen, deren energiereichste Exemplare von außerhalb des Sonnensystems
stammen. Jetzt haben gleich zwei Teams übereinstimmend die Objekte entlarvt, die
wie eine Art kosmischer Teilchenbeschleuniger wirken: die Überreste von
Supernova-Explosionen.

Der
Supernova-Überrest SN 1006 in verschiedenen
Wellenlängen: Radiowellen (rot), Röntgen (blau)
und sichtbares Licht (gelb). Der untersuchte
Bereich befindet sich in der Stoßfront oben
rechts.
Bild: NRAO / AUI / NSF / GBT / VLA
/ Dyer, Maddalena & Cornwell (Radio); NASA
/ CXC / Rutgers / G. Cassam-Chenaï, J. Hughes et
al. (Röntgen); NOAO / AURA / NSF /CTIO /
Middlebury College / F. Winkler und Digitized Sky
Survey (sichtbares Licht)
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Fast genau hundert Jahre ist es her, dass Victor Hess die vorwiegend aus
Protonen bestehende kosmische Teilchenstrahlung entdeckte, die aus den Tiefen
des Weltraums auf die Erde trifft. Die energiereichsten Teilchen dabei stammen
von außerhalb unseres Sonnensystems und als ein Ursprungsort wurden schon seit
längerem die Überreste von Supernova-Explosionen vermutet.
Supernovae sind gigantische Sternexplosionen am Ende des Lebens bestimmter
Sterne. Dabei werden große Teile der Sternatmosphäre oder gleich die gesamte
Sternmaterie ins All geschleudert. Auf diese Weise entstehen
Supernova-Überreste, die sich im Laufe der Zeit immer weiter ausdehnen.
Wo das herausgeschleuderte Material auf die umgebende interstellare Materie
trifft, bilden sich sogenannte Stoßwellen aus, also Regionen, in denen sich
Dichte und Temperatur abrupt ändern. Diese expandierenden, hochenergetischen
Stoßwellen hatten Astronomen schon seit einiger Zeit als Produzenten der
hochenergetischen Teilchenstrahlung in Verdacht.
"Wir sprechen bislang lediglich von einem Paradigma des Ursprunges der
Kosmischen Strahlung, das heißt einem vermuteten Zusammenhang zwischen
galaktischer kosmischer Strahlung und Explosionen von massereichen Sternen sowie
anschließender Teilchenbeschleunigung in der sich ausbreitenden
Supernova-Stoßwelle", erklärt Olaf Reimer, Leiter des Instituts für Astro- und
Teilchenphysik an der Universität Innsbruck. "Da sich die geladene kosmische
Strahlung hauptsächlich aus Protonen zusammensetzt, ist es nahezu unmöglich, von
Beobachtungen dieser Protonen auf deren kosmischen Geburtsort zu schließen: Die
intergalaktischen Magnetfelder lenken diese Teilchen auf dem Weg zu uns ab und
verwischen so Hinweise auf ihren tatsächlichen Ursprung."
Gleich zwei Astronomenteams berichten nun in dieser Woche in der
Wissenschaftszeitschrift Science unabhängig voneinander von den ersten
eindeutigen Belegen dafür, dass in den Überresten von Supernovae tatsächlich
Protonen beschleunigt und so zu kosmischer Strahlung werden. Dazu nutzten eine
Gruppe das Very Large Telescope der europäischen Südsternwarte ESO, die
andere Gruppe das NASA-Gammastrahlenteleskop Fermi. Beide Teams nahmen
für ihre Untersuchung die Überreste von Supernovae ins Visier.
Sladjana Nikolić vom Max-Planck-Institut für Astronomie konnte bei
Untersuchungen im Rahmen ihrer Doktorarbeit zeigen, dass in den
Stoßfrontregionen eines Supernova-Überrests tatsächlich Protonen beschleunigt
werden. Bei diesen Protonen handelt es sich noch nicht um die kosmische
Teilchenstrahlung selbst, sondern um Vorläuferteilchen, die anschließend durch
Wechselwirkung mit der Stoßfront auf die erforderlichen hohen Energien
beschleunigt werden und als Teilchenstrahlung hinaus in den Raum fliegen können.
"Dies ist das erste Mal, das wir die physikalischen Prozesse in und um diese
Region genauer untersuchen konnten. Wir haben dabei Hinweise auf die Existenz
einer erwärmten Region direkt vor der Stoßwelle gefunden, wie sie den gängigen
Modellen nach notwendig ist, damit überhaupt kosmische Teilchenstrahlung
entstehen kann", erklärt Nikolić. "Außerdem wurde diese Region offenbar auf
genau jene Weise erwärmt, wie man es erwarten würde, wenn dort Protonen
existieren, welche die Energie aus direkt hinter der Stoßfront gelegenen
Regionen in die Bereiche direkt vor der Stoßfront transportieren."
Entscheidend für die neuen Ergebnisse war, dass Nikolić und ihre Kollegen
eine neuartige Beobachtungstechnik namens Integralfeldspektroskopie einsetzten.
Diese Technik erlaubt es, die Zusammensetzung des Lichts für eine Vielzahl
verschiedener Bildpunkte im Bildfeld des Teleskops gleichzeitig zu bestimmen.
Sie wurde dabei zum ersten Mal auf einen Supernova-Überrest angewandt. Nikolić
und ihre Kollegen nutzten den Spektrografen VIMOS am Very Large Telescope,
um für mehr als 100 Punkte in einem kleinen Teilbereich der Stoßfront der
Supernova SN 1006 gleichzeitig Spektren zu gewinnen.
Die rund anderthalbjährige Analyse der Daten ergab detaillierte Informationen
insbesondere über die Temperaturen vor und hinter der Stoßfront und lieferte
wichtige Informationen darüber, wie in Supernova-Überresten kosmische
Teilchenstrahlung erzeugt wird.
Auch das Team, in dem der Innsbrucker Astronom Reimer mitarbeitet, konnte
jetzt einen wichtigen Nachweis für die Entstehung der kosmischen Strahlung in
Supernova-Überresten präsentieren: Mit dem Weltraumteleskop Fermi
gelang es den Forschern nämlich, den Protonen am Ort ihrer Beschleunigung
nachzuspüren: Eine charakteristische Veränderung im Gammastrahlen-Spektrum
verrät Phänomene, bei denen energiereiche Protonen wechselwirken und über
zerfallende neutrale Pionen, einem subatomaren Teilchen, Gammastrahlung
freisetzen.
"Diese Signatur ist seit Jahrzehnten als 'pion-bump' bekannt und auch bereits
im Spektrum der diffusen Gammastrahlung gesehen worden", erläutert Reimer.
"Jetzt jedoch wurde sie erstmals in den Spektren einzelner
Gammastrahlungsquellen beobachtet - und zwar in den beiden Supernova-Überresten
W44 und IC443. Damit können wir eine eindeutige Verbindung zwischen der Existenz
energiereicher Protonen am Ort von Supernova-Überresten ausmachen"
Die Beobachtungen wurden mit dem Hauptinstrument von Fermi, dem
Large Area Telescope (LAT), gemacht. "Wir können nun davon ausgehen, dass
hadronische Teilchenbeschleunigung und Supernova-Überreste zusammenhängen und
uns darauf konzentrieren, besser zu verstehen, wie Protonen und schwerere Kerne
dort Energie gewinnen", so Reimer. "Kennen wir sämtliche Supernova-Überreste in
unserer Milchstraße und verstehen deren lokale kosmische Umgebung besser, werden
wir einschätzen können, ob das Problem der galaktischen kosmischen Strahlung
endgültig gelöst worden ist."
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