Historischer Ballonflug vor 100 Jahren
Redaktion
/ Pressemitteilung des Deutsches Elektronen-Synchrotron astronews.com
8. August 2012
Aus dem Weltall prasselt permanent ein Hagel subatomarer
Teilchen auf die Erde. Diese sogenannte kosmische Strahlung kennt man nun seit
100 Jahren. Ihre Entdeckung durch Victor Hess am 7. August 1912 trug zur
Entstehung einer ganz neuen Forschungsrichtung, der Hochenergiephysik, bei. Ein
Jubiläumssymposium erinnert jetzt an die Entdeckung und blickt in die Zukunft
des Fachgebiets.

Aus Victor Hess in einem Ballonkorb im Jahr 1911
oder 1912.
Foto: VF Hess Society, Echophysics,
Schloss Pöllau / Österreich / DESY |
Als der österreichische Physiker Victor Franz Hess am 7. August 1912
gegen Mittag mit seinem Wasserstoffballon im brandenburgischen Bad Saarow
landete, hatte er eine Entdeckung im Gepäck, deren weitreichende Konsequenzen
ihm sicherlich noch nicht bewusst waren. Bei seiner siebten Ballonfahrt in
diesem Jahr hatte er in 5.300 Metern Höhe über dem Schwielochsee im Südosten
Brandenburgs mit drei Ionisationsmessgeräten die Existenz einer durchdringenden
Höhenstrahlung nachgewiesen.
Erst später stellte sich heraus, dass es sich bei dieser sogenannten
kosmischen Strahlung vor allem um einen Hagel energiereicher, elektrisch
geladener Atomkerne und anderer Teilchen handelt. Die Entdeckung brachte Hess 24
Jahre später den Nobelpreis ein. "Der Nachweis der kosmischen Strahlung war eine
Jahrhundertentdeckung, die uns völlig neue Einblicke ins Universum gebracht
hat", betont Prof. Christian Stegmann, Leiter des DESY-Standorts Zeuthen.
"Darüber hinaus wurde sie auch zu einem Eckpfeiler der frühen Teilchenphysik.
Vor der Entwicklung irdischer Teilchenbeschleuniger wurden mit Hilfe der
kosmischen Strahlung mehrere wichtige Elementarteilchen entdeckt, etwa das
Antiteilchen des Elektrons - das Positron - sowie das Myon und das Pion."
Das Deutsches Elektronen-Synchrotron (DESY) organisierte zusammen mit der
Universität Potsdam und dem Berliner Max-Planck-Institut für
Wissenschaftsgeschichte ein Symposium zum 100. Jahrestag der Entdeckung der
kosmischen Strahlung. Seit Anfang der Woche bis heute treffen sich in Bad Saarow
Wissenschaftler aus aller Welt, um die Entwicklung der vielen Teilgebiete von
den historischen Anfängen bis zu Ideen für neue Projekte zu präsentieren und zu
diskutieren.
Erwartet werden neben dem Physiknobelpreisträger Prof. James Cronin, der das
bislang größte Observatorium für kosmische Strahlung "Pierre Auger" in
Argentinien mitentworfen hat, und dem 14. königlich-britischen Hofastronomen
Prof. Sir Arnold Wolfendale auch die Enkel von Victor Hess, William und Arthur
Breisky. Es wird ein Gedenkstein enthüllt, Teilnehmer können Ballonfahrten
buchen, und es werden die Elektroskope gezeigt, mit denen damals weltweit
Ionisationsmessungen durchgeführt wurden.
"Die Erkundung der kosmischen Strahlung hat zu neuen Forschungszweigen
geführt, insbesondere zu neuen Formen der Astronomie, und diese haben eine
leuchtende Zukunft", ist Wolfendale überzeugt. "Die Neutrino-Astronomie begibt
sich gerade an den Start, und die Gammastrahlen-Astronomie hat bereits ernsthaft
begonnen." Von der Beobachtung der energiereichsten Gammastrahlung erhoffen sich
Physiker Aufschluss über die Natur der kosmischen Teilchenbeschleuniger, die
millionenfach stärker sind als die stärksten Beschleuniger der Erde.
Manches Proton aus der kosmischen Strahlung besitzt so viel Energie wie ein
schnell geschlagener Tennisball. Doch durch ihre elektrische Ladung werden die
schnellen Teilchen auf dem Weg durch den Kosmos von zahlreichen Magnetfeldern
abgelenkt, so dass ihre Herkunftsrichtung nicht mehr zu ihrem Ursprungsort
zurückweist. Auch hundert Jahre nach ihrer Entdeckung ist der genaue Ursprung
der kosmischen Strahlung daher alles andere als enträtselt.
"Das Universum ist voller natürlicher Teilchenbeschleuniger, etwa in
Supernova-Explosionen, Doppelsternsystemen oder aktiven galaktischen Kernen.
Bisher kennen wir nur etwa 150 dieser Objekte und haben ein erstes
physikalisches Verständnis dieser faszinierenden Systeme", erläutert Stegmann.
Anders als der Name nahelegt, besteht die kosmische Strahlung zwar zum größten
Teil aus geladenen Teilchen, einen kleinen Anteil stellt jedoch auch die
Gammastrahlung. Sie wird nicht von kosmischen Magnetfeldern abgelenkt und weist
daher direkt zu ihrem Ursprung zurück.
Da die Physiker davon ausgehen, dass die Gammastrahlung aus denselben Quellen
stammt wie die energiereichen Teilchen, fahnden sie mit spezialisierten
Gammastrahlen-Observatorien nach den kosmischen Teilchenbeschleunigern. Anlagen
wie das zu Ehren des Entdeckers der kosmischen Strahlung getaufte Observatorium
H.E.S.S. in Namibia, MAGIC auf der Kanareninsel La Palma und VERITAS in den USA,
an denen auch DESY beteiligt ist, haben mittlerweile mehr als hundert Quellen
hochenergetischer kosmischer Gammastrahlung aufgespürt.
Das Cherenkov Telescope Array CTA, für das DESY gerade den ersten
Prototypen baut, soll diese Entdeckungsgeschichte fortsetzen. "Das Cherenkov
Telescope Array wird Tausende dieser Beschleuniger mit bisher nicht
erreichter Sensitivität beobachten können", betont Stegmann.
Ähnlich wie mit der kosmischen Gammastrahlung lässt sich auch mit Neutrinos
in kosmische Teilchenbeschleuniger spähen. Neutrinos sind ultraleichte,
elektrisch neutrale Elementarteilchen, die ebenfalls nicht von Magnetfeldern
abgelenkt werden und so ihren Ursprung verraten. DESY ist auch am weltgrößten
Neutrinoteleskop IceCube beteiligt, das Ende 2010 in der Antarktis
fertiggestellt wurde (astronews.com berichtete). "Auf beiden Wegen erwarten wir
spannende Einblicke in die natürlichen Teilchenbeschleuniger des Universums, die
neues Licht in die verbliebenen Rätsel der kosmischen Strahlung bringen werden",
so Stegmann.
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