Botschafter aus der Frühzeit des Sonnensystems
von Stefan Deiters astronews.com
28. Oktober 2011
Im Juli des letzten Jahres flog die europäische Raumsonde
Rosetta in einem Abstand von nur 3.170 Kilometern am Asteroiden Lutetia vorüber.
Jetzt stellten Wissenschaftler die Ergebnisse des damaligen Vorüberflugs vor: Der
130 Kilometer lange Brocken ist danach ein seltener Überrest aus der
Entstehungsphase des Sonnensystems.
Ein Erdrutsch auf Lutetia - vermutlich
ausgelöst durch einen Einschlag an anderer
Stelle.
Bild: ESA / MPS für das OSIRIS Team (MPS
/ UPD / LAM / IAA / RSSD / INTA / UPM / DASP /
IDA) [Großansicht] |
Es war nur ein kurzer Besuch, den die europäische Raumsonde
Rosetta am 10. Juli 2010 dem Asteroiden (21) Lutetia abstattete: Die Sonde flog mit
einer Geschwindigkeit von 54.000 Kilometern pro Stunde an dem Brocken vorüber
und näherte sich dem Asteroiden dabei bis auf 3.170 Kilometer. Zuvor waren Sonden nur an
kleineren Asteroiden vorübergeflogen, bei denen es sich offenbar
um Bruchstücke weitaus größerer Körper handelte. Bei Lutetia aber, ein maximal
130 Kilometer durchmessender Asteroid, schien es sich um ein
älteres, ursprünglicheres Objekt zu handeln - einen Protoplaneten, auch Planetesimal
genannt. Aus solchen Brocken, so die Theorie der Astronomen, bildeten sich einst die richtigen Planeten.
Nach einer gründlichen Auswertung der bei dem Vorüberflug gewonnenen Daten
sind sich die Wissenschaftler nun sicher: Lutetia ist ein solches Planetesimal.
Die Bilder der Rosetta-Kamera OSIRIS lassen erkennen, dass Teile der
Oberfläche von Lutetia rund 3,6 Milliarden Jahren alt sind. Andere Regionen
hingegen sind mit 50 bis 80 Millionen Jahren vergleichsweise jung. Über ihre
Ergebnisse berichten die Forscher in drei Fachartikeln in der aktuellen Ausgabe
der Zeitschrift Science.
Das Alter einer Oberfläche lässt sich bei Objekten ohne Atmosphäre relativ
zuverlässig aus der Anzahl der Krater ablesen: Je älter eine Oberfläche ist,
desto mehr Krater muss es auf ihr geben. In einigen Regionen von Lutetia
finden sich unzählige Krater, was auf ein sehr hohes Alter hinweist. Bei den
jüngsten Bereichen auf dem Asteroiden handelt es sich um Erdrutsche, die
eventuell durch einen Einschlag an anderer Stelle ausgelöst wurden. Als Folge der
unzähligen Einschläge ist die Oberfläche von einer rund einen Kilometer dicken
Schicht aus pulverisiertem Gestein überzogen.
An anderen Stellen finden sich gewaltige Felsbrocken mit einem Durchmesser
von 300 bis 400 Metern. Einige Einschläge müssen so gewaltig gewesen sein, dass
sie ganze Teile des Asteroiden herausgeschlagen haben, bis schließlich nur noch
das unförmige Gebilde übrig geblieben ist, was wir heute kennen. "Wir glauben
nicht, dass Lutetia schon bei der Entstehung so aussah", meint auch Holger
Sierks vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung. "Der Asteroid war
vermutlich anfangs kugelförmig."
Mit dem Spektrometer VIRTIS an Bord von Rosetta konnten die Forscher eine
überraschend gleichförmige Zusammensetzung der Oberfläche von Lutetia in allen
untersuchten Regionen feststellen. "Es ist beeindruckend, dass sich auf einem
Objekt dieser Größe die Narben von ganz unterschiedlichen Ereignissen erhalten
haben und es trotzdem auf der Oberfläche keine Hinweise auf Variationen in der
Zusammensetzung gibt", so Fabrizio Capaccioni vom INAF in Rom.
Und das ist nicht das einzige Mysterium von Lutetia: Während des Vorüberflugs
versuchten die Wissenschaftler auch die Masse des Asteroiden zu ermitteln und
zwar aus der gravitativen Anziehungskraft, mit der die Bahn von Rosetta
geringfügig abgelenkt wurde. Dabei erlebten die Wissenschaftler eine
Überraschung: "Die Masse war geringer als erwartet", erzählt Martin Pätzold von
der Universität Köln. "Beobachtungen von der Erde hatten auf eine weitaus höhere
Masse hingedeutet."
Betrachtet man das Volumen von Lutetia scheint der Asteroid aber trotzdem
noch eine der höchsten Dichten unter allen Asteroiden aufzuweisen. Das könnte auf
größere Mengen von Eisen im Inneren von Lutetia hindeuten. Unwahrscheinlich ist
hingegen, dass Lutetia auch in der Lage war, einen richtigen Eisenkern
auszubilden. Dazu hätte der Asteroid einmal komplett durchgeschmolzen sein
müssen, damit das Eisen ins Zentrum absinken kann. Auf der Oberfläche finden
sich aber keine Hinweise darauf, dass dies einmal passiert ist. Vermutlich war
der Asteroid in seiner Frühphase also nicht komplett geschmolzen.
Die jetzt vorgestellten Ergebnisse machen Lutetia zu einem faszinierenden
Zeugen aus der Frühphase des Sonnensystems und damit aus einer Zeit, in der sich
die Erde gerade gebildet hat. "Wir haben ein sehr wichtiges Mitglied des
Asteroidengürtels ausgewählt", freut sich Rita Schulz, die
Projektmanagerin für Rosetta bei der ESA. "Diese unerwarteten Ergebnisse zeigen,
dass es noch viel im Asteroidengürtel zu erforschen gibt, bevor wir diese Region
wirklich verstehen."
Rosetta befindet sich inzwischen in einer Art Winterschlaf und soll 2014 den
Kometen Churjumov-Gerasimenko erreichen. Seit einigen Monaten umkreist die
NASA-Raumsonde Dawn mit (4) Vesta einen anderen, deutlich größeren Asteroiden, bei dem es sich
auch um einen der wenigen noch erhaltenen Protoplaneten handeln dürfte.
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