Sternbewegungen in jungem Sternhaufen
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Astronomie astronews.com
2. Juni 2010
Mit Hilfe des Weltraumteleskops Hubble haben Astronomen des
Max-Planck-Instituts für Astronomie in Heidelberg und der Universität zu
Köln Sternbewegungen in einem der massereichsten jungen Sternhaufen der
Milchstraße hochpräzise vermessen - mit überraschendem Ergebnis: Die Sterne
des Haufens haben noch keinen langfristig stabilen Gleichgewichtszustand
erreicht.
Zentrum des kompakten und nur eine Millionen
Jahre alten Sternhaufens im Nebel NGC 3603.
Bild: NASA, ESA und Wolfgang
Brandner (MPIA), Boyke Rochau (MPIA) und Andrea
Stolte (Universität Köln) [Großansicht] |
Offene Sternhaufen, zu denen etwa auch die bekannten Plejaden gehören,
sind nicht von Dauer: Im Laufe von Dutzenden von Millionen Jahren
entfernen sich ihre Sterne voneinander. Bei sehr massereichen und
kompakten Sternhaufen ist das anders: Langfristig können sich aus ihnen
langlebige "Kugelsternhaufen" entwickeln, deren dicht gepackte Sterne
über Milliarden von Jahren hinweg zusammenbleiben.
Mit mehr als 10.000 Mal der Masse der Sonne, konzentriert in einem
Volumen mit nur drei Lichtjahren Durchmesser, ist der junge Sternhaufen
in dem Nebel NGC 3603 einer der kompaktesten Sternhaufen in unserer
Heimatgalaxie, der Milchstraße. Zum Vergleich: In unserer direkten
kosmischen Nachbarschaft findet sich im gleichen Volumen nur ein
einziger Stern, nämlich unsere Sonne. Wird NGC 3603 also zu einem
Kugelsternhaufen entwickeln? Dieser Frage ist eine Gruppe von Astronomen
unter der Leitung von Wolfgang Brandner vom Max-Planck-Institut für
Astronomie in Heidelberg (MPIA) nachgegangen, indem sie die Bewegung von
hunderten der Sterne des Haufens verfolgt hat.
Solche Untersuchungen können zeigen, ob der Haufen auseinanderdriftet,
oder ob er sich anschickt, zur Ruhe, also zu einem langfristig stabilen
Gleichgewichtszustand zu kommen. Außerdem erlauben sie es, die Sterne
des Haufens von unbeteiligten Sternen zu unterscheiden, die nur zufällig
von der Erde aus gesehen in der gleichen Blickrichtung stehen. Die dafür
nötigen Messungen sind kompliziert, wie ein einfaches Beispiel zeigt:
Angenommen, ein Stern bewegt sich von der Erde aus gesehen mit einer
Geschwindigkeit von einigen Kilometern pro Sekunde seitwärts – eine
typische Geschwindigkeit für Sterne in Sternhaufen, dann würde sich
seine Position aus einer Entfernung von 20.000 Lichtjahren betrachtet
(dem Abstand von NGC 3603 zur Erde) um einige Milliardstel eines
Winkelgrads pro Jahr verändern. Auch mit modernsten Instrumenten und
Auswertungsmethoden stellt der Nachweis solch winziger Verschiebungen
eine große Herausforderung dar.
Mithilfe zweier Beobachtungen, die im Abstand von zehn Jahren mit ein
und derselben Kamera des Weltraumteleskops Hubble durchgeführt
wurden, und dank aufwändiger Auswertungen, die eine Vielzahl von
Störquellen berücksichtigen, konnten Brandner und seine Kollegen die
nötige Genauigkeit erreichen. Insgesamt beobachteten die Astronomen 800
Sterne. Rund 50 davon stellten sich als Vordergrundsterne heraus, die
nicht zu dem betrachteten Sternhaufen gehörten. Für 234 der übrigen mehr
als 700 Sterne – eine im Hinblick auf Masse und Oberflächentemperatur
recht vielfältige Auswahl – konnten die Astronomen hinreichend genaue
Geschwindigkeitsmessungen vornehmen.
"Unsere Messungen sind bis auf 27 Millionstel einer Bogensekunde pro
Jahr genau. Stellen Sie sich einen Beobachter in Bremen vor, der aus der
Ferne ein Objekt in Wien beobachtet. Bewegt sich dieses Objekt um die
Breite eines menschlichen Haares zur Seite, dann ändert sich seine
scheinbare Position um 27 Millionstel einer Bogensekunde", erklärt Boyke
Rochau vom MPIA, der sich im Rahmen seiner Doktorarbeit um die
Auswertung der Beobachtungen gekümmert hat. Er ist auch Erstautor eines
Fachartikels in der Zeitschrift Astrophysical Journal.
Die Verteilung der Sterngeschwindigkeiten überraschte die Forscher.
Folgt man weithin akzeptierten Modellen, die mit den Beobachtungen an
älteren Kugelsternhaufen gut übereinstimmen, dann sollte die
Geschwindigkeit der Sterne in Haufen mit ihrer Masse zusammenhängen: Im
Mittel sollten sich Sterne mit geringerer Masse schneller, solche mit
größerer Masse langsamer bewegen. Die Sterne des Haufens, für die sich
die Geschwindigkeiten hinreichend genau bestimmen ließen, haben Massen
zwischen zwei und neun Sonnenmassen. Doch ihre mittlere Geschwindigkeit
hängt nicht von der Masse ab, sondern beträgt durchweg rund 4,5
Kilometer pro Sekunde (entsprechend einer Positionsänderung von rund 140
Millionstel Bogensekunden pro Jahr).
Offenbar – und überraschender Weise – hat sich in diesem massereichen
Sternhaufen noch kein Gleichgewicht eingestellt. Stattdessen dürften die
Sterngeschwindigkeiten nach wie vor maßgeblich von den Bedingungen
geprägt sein, die bei der Entstehung des Haufens herrschten, vor rund
einer Million Jahren. Andrea Stolte von der Universität zu Köln, ein
weiteres Mitglied des Astronomenteams, fasst zusammen: "Unsere Messungen
liefern Schlüsselinformationen für diejenigen Astronomen, die verstehen
wollen, wie solche Sternhaufen entstehen und wie sie sich
weiterentwickeln." Die spannende Frage, ob der massereiche junge
Sternhaufen in NGC 3603 zu einem Kugelsternhaufen werden wird, bleibt
offen.
Den neuen Ergebnissen nach hängt die Antwort davon ab, welche
Geschwindigkeiten die Haufensterne haben, deren Massen besonders klein
sind. Diese Sterne sind zu leuchtschwach, als dass sich ihre
Geschwindigkeiten mit Hilfe des Hubble-Weltraumteleskops genau genug
messen ließen. "Um herauszufinden, ob die Sterne dieses Haufens mit der
Zeit auseinanderlaufen werden oder nicht, sind wir auf die nächste
Generation von Teleskopen angewiesen, etwa das James Webb Space
Telescope (JWST), oder das European Extremely Large Telescope
(E-ELT) der ESO", so Brandner abschließend.
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