Blick ins Innere von M87
Redaktion / idw / MPG
astronews.com
27. Oktober 2006
Mithilfe der europäischen H.E.S.S.-Teleskope in Namibia entdeckten Forscher nun
hochenergetische Gammastrahlung, die aus dem Zentrum der riesigen Radiogalaxie
M87 zu kommen scheint. Wegen der beobachteten Schwankungen der Strahlung kommt
als Ursprung eigentlich nur ein Ort in Frage: das zentrale Schwarze Loch der
Galaxie.

Die Radiogalaxie M87 im Optischen: Der helle
Zentralbereich, in dem sich das Schwarze Loch befindet und aus
dem die hochenergetische Gammastrahlung nachgewiesen wurde,
befindet sich oben links, der relativistische Plasmastrom
erstreckt sich nach unten rechts.
Foto: NASA und das Hubble Heritage Team (STScI/AURA) [mehr
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Über die Entdeckung schnell veränderlicher, sehr hochenergetischer
Gammastrahlung aus der riesigen Radiogalaxie M87 berichten Astrophysiker der
internationalen H.E.S.S.-Forschergruppe in der Online Ausgabe des
Wissenschaftsmagazins Science. M87 ist die bislang einzige Radiogalaxie,
aus der Gammastrahlung höchster Energien nachgewiesen wurde - mit Energien, die
eine Million mal eine Million mal energiereicher sind als das sichtbare Licht.
Besonders überraschend ist die Beobachtung, dass sich die Intensität dieser
Strahlung innerhalb von nur wenigen Tagen drastisch ändern kann. Derart schnelle
Änderungen des Strahlungsflusses lassen sich nur dadurch erklären, dass die
Quellregion der hochenergetischen Gammastrahlung ungewöhnlich kompakt ist. Die
einzige dafür in Frage kommende Region ist die unmittelbare Umgebung des
supermassiven Schwarzen Lochs im Zentrum von M87.
Gammastrahlung ist elektromagnetische Strahlung, wie auch sichtbares oder
Röntgenlicht, jedoch mit einer viel höheren Energie. Die Energie des sichtbaren
Lichts liegt im Bereich eines Elektronvolts (1 eV), einer Energie-Einheit der
Physiker. Röntgenstrahlen haben einige 100 eV bis einige zig tausend
Elektronenvolt. H.E.S.S. weist Gamma-Strahlen mit Energien bis zu tausend
Milliarden Elektronenvolt nach, auch Tera-Elelektronvolt, TeV, genannt. Diese
sehr hochenergetischen Gamma-Strahlen sind sehr selten: Sogar im Falle starker
kosmischer Quellen trifft nur etwa ein Gamma-Quant pro Monat pro Quadratmeter
auf unsere Erdatmosphäre.
Im Zentrum vieler Galaxien vermuten Wissenschaftler heute ein massereiches
Schwarzes Loch mit einer Masse, die Millionen bis Milliarden Sonnenmassen
erreichen kann. Wenn dieses Schwarze Loch die umgebende Materie ansaugt, so
können sich Materieströme relativistischer Teilchen ausbilden, die sich mit
annähernder Lichtgeschwindigkeit bewegen. Man spricht dann von einer "aktiven
Galaxie". Zeigt ein solcher Materiestrom auf die Erde, so nennt man die
entsprechende Galaxie einen Blazar. Blazare sind die einzigen aktiven Galaxien,
von denen bisher hochenergetische Gammastrahlung nachgewiesen wurde - mit der
bislang einzigen Ausnahme der viel näher gelegenen Radiogalaxie M87.
Das H.E.S.S.-Team, eine internationale zusammengesetzte Forschergruppe von
Astrophysikern und Teilchenphysikern, berichtet nun über die Entdeckung
hochenergetischer Gammastrahlung aus der Radiogalaxie M87. Die Forschergruppe
betreibt in Namibia ein System aus vier so genannten Cherenkov-Teleskopen (astronews.com
berichtete wiederholt), mit dem sie die Gammastrahlung der nahegelegenen
Radiogalaxie M87 in den letzten vier Jahren gemessen haben. Das überraschende
Ergebnis dabei ist, dass sich die Intensität dieser Strahlung zum Teil innerhalb
von nur wenigen Tagen drastisch ändert.
Die Radiogalaxie M87 befindet sich im Virgo-Galaxienhaufen, 50 Millionen
Lichtjahre von der Erde entfernt. Das Zentrum von M87 beherbergt ein
supermassives Schwarzes Loch mit einer Masse von drei Milliarden Sonnenmassen.
Aus dem zentralen Bereich von M87 tritt ein relativistischer Plasmastrom aus,
ein so genannter Jet, der in optischen, Radio- und Röntgen-Aufnahmen sichtbar
ist. Im Gegensatz zu den bislang nachgewiesenen extragalaktischen Quellen sehr
hochenergetischer Gammastrahlung (Blazare) zeigt der Plasmastrom von M87 aber
nicht direkt auf die Erde, sondern weist mit einem Winkel von 30 Grad an ihr
vorbei.
Die aus Blazaren nachgewiesene Gammastrahlung wird vermutlich in den Plasmaströmen erzeugt, wobei die Intensität und Energie der Strahlung aufgrund
der hohen Geschwindigkeit des Plasmastroms in Richtung des Stroms gebündelt und
verstärkt wird. Solch gebündelte Strahlung aus dem Jet in M87 würde aber die
Erde gar nicht treffen. M87 stellt daher vermutlich einen ganz neuen Typ
extragalaktischer Quellen von hochenergetischer Strahlung dar.
Erste Anzeichen hochenergetischer Gammastrahlung aus M87 wurden im Jahre
1998 von den HEGRA-Teleskopen, einem Vorgängerexperiment, entdeckt. Die
Messungen der H.E.S.S.-Teleskope stellen dieses Ergebnis nun auf eine solide
Basis. Die Emission von M87 ist sehr schwach, und keine andere Radiogalaxie
wurde bislang im sehr hochenergetischen Gamma-Bereich nachgewiesen - vermutlich
deshalb, weil die meisten Radiogalaxien weiter entfernt sind als M87.
Aus der Zeitskala der Variabilität lässt sich die maximale Ausdehnung der
Region bestimmen, aus der die Gammastrahlung kommt. Da die Gamma-Quanten aus
den weiter entfernt gelegenen Bereichen der Quellregion länger zu uns brauchen,
kann die gemessene Variabilitäts-Zeitskala nicht viel kürzer sein, als die Zeit,
die die Strahlung benötigt, um die Quellregion zu durchqueren. Diese Methode
wird häufig verwendet, um die Größe der Quellregion eines weit entfernten
Objekts zu bestimmen und kann insbesondere auch dann benutzt werden, wenn die
Quellregion so klein ist, dass sie mit anderen Techniken gar nicht mehr
aufgelöst werden kann.
Die von H.E.S.S. gemessene Variabilitäts-Zeitskala der hochenergetischen
Strahlung von M87 ist mit wenigen Tagen sehr kurz - kürzer als in jedem anderen
Wellenlängenbereich. Die Quellregion der hochenergetischen Strahlung kann
demnach nur etwa so groß sein wie unser Sonnensystem (1013 Meter, nur
etwa 0,000001 Prozent der Größe der gesamten Radiogalaxie M87). "Dies ist nicht
viel größer als der Ereignishorizont des supermassiven Schwarzen Lochs im
Zentrum von M87", bemerkt Dr. Matthias Beilicke, einer der beteiligten
Wissenschaftler von der Universität Hamburg. "Relativistische Effekte, die in
den sonstigen, bislang nachgewiesenen extragalaktischen Quellen (Blazare) eine
Rolle spielen und die den Zusammenhang zwischen Zeitvariation und Quellgröße
modifizieren, sollten im Fall von M87 von untergeordneter Bedeutung sein, da der
Plasmastrom von M87 nicht auf die Erde gerichtet ist."
Die hochenergetische Gammastrahlung entsteht damit höchstwahrscheinlich in
der unmittelbaren Umgebung des supermassiven Schwarzen Lochs im Zentrum von M87;
andere Strukturen in M87, wie beispielsweise der Plasmastrom, haben tendenziell
größere Dimensionen. Die Physik der Emissionsprozesse ist allerdings noch nicht
wirklich verstanden. Wegen der Nähe zum Schwarzen Loch diskutieren die Forscher
auch ganz neuartige Mechanismen: So könnten Wasserstoffkerne im Feld eines
rotierenden Schwarzen Lochs auf extreme Energien beschleunigt werden und dann
Gamma-Quanten abstrahlen.
In der Umgebung des Schwarzen Lochs wird auch ein Teil
der von diesem angesaugten Materie in den relativistischen Plasmastrom
umgeleitet; ein Vorgang, der ebenfalls noch nicht genau verstanden ist. Die
Tatsache, dass hochenergetische Gammastrahlung ungehindert aus dieser "aktiven"
Region entkommen kann, mag auf den ersten Blick erstaunen. Dies ist jedoch
möglich, da in das Schwarze Loch in M87 offensichtlich vergleichsweise wenig
Materie einfällt und es im Vergleich zu vielen anderen Schwarzen Löchern noch
eine eher "harmlose" Umgebung darstellt.
Mit dieser neuen sowie den vorangegangenen Entdeckungen extragalaktischer
Quellen liefert H.E.S.S. einen wichtigen Beitrag zur Entschlüsselung der
Prozesse, die zur Entstehung außerordentlich hochenergetischer Gamma-Quanten
führen. Die Radiogalaxie M87 stellt ein einzigartiges Labor zur Untersuchung des
Kerns einer solchen aktiven Galaxie dar, in deren Zentrum ein Schwarzes Loch als
kraftvoller "Motor" die geladenen Teilchen auf extrem hohe Energien
beschleunigt.
M87 kann man mit den zahlreicheren, aber weiter entfernten Blazaren vergleichen, in denen jedoch im Gegensatz zu M87 der Plasmastrom
unseren Blick auf die Zentralregion verbirgt. Mit Hilfe von H.E.S.S. gelang nun
im Falle von M87 ein klarer Einblick in den "Maschinenraum" einer Galaxie.
Dieser wird zu einem besseren Verständnis extragalaktischer Quellen
hochenergetischer Gammastrahlung führen.
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