Der Kosmos strahlt nicht überall gleich
Redaktion / MPG
astronews.com
10. Februar 2006
Astrophysiker haben
sehr hochenergetische Gammastrahlung aus der Richtung von riesigen Gaswolken im
Zentrum unserer Galaxie nachgewiesen. Mit
den H.E.S.S.-Teleskopen ist es erstmals gelungen, diesen Effekt bei sehr hohen
Energien nachzuweisen und zu zeigen, dass die kosmische Strahlung im Zentrum der
Milchstraße nicht nur eine höhere Energie, sondern auch eine höhere Dichte hat
als in unserem Sonnensystem.
In der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins Nature berichtet
die internationale H.E.S.S.-Kollaboration über die Entdeckung der Emission von
Gamma-Strahlung aus einem Komplex von Gaswolken nahe dem Zentrum unserer
Milchstraße. Diese gigantischen Gaswolken bestehen aus Wasserstoff und haben
eine Masse, die etwa 50 Millionen mal so groß ist wie die unserer Sonne.
Aufgrund der hohen Empfindlichkeit der H.E.S.S.-Teleskope ist es nun erstmalig
gelungen, hochenergetische Gamma-Strahlung von diesen Gaswolken nachzuweisen und
deren Dichte und Energie zu messen.
Gamma-Strahlung ist elektromagnetische Strahlung, wie auch sichtbares Licht
oder Röntgenstrahlung, jedoch mit einer viel höheren Energie. Sichtbares Licht
hat eine Energie von etwa einem Elektronenvolt (1 eV). Röntgenstrahlen haben
etwa eintausend bis eine Millionen Elektronenvolt. Die H.E.S.S.-Teleskope weisen
sehr hochenergetische Gamma-Strahlung mit Energien von bis zu tausend Milliarden
Elektronenvolt (Teraelektronenvolt, TeV) nach. Diese Strahlen sind sehr selten:
Selbst von einer relativ starken Quelle trifft nur etwa ein Photon pro Monat und
Quadratmeter auf die Erdatmosphäre.
Kosmische Strahlen wiederum sind hochenergetische Teilchen, welche den
Weltraum durchdringen. Sie bombardieren beständig die Erdatmosphäre aus allen
Richtungen und haben weit höhere Energien, als man sie mit erdgebundenen
Teilchenbeschleunigern erreichen kann. Seit ihrer Entdeckung durch Victor Hess
im Jahre 1912 und trotz eines Jahrhunderts intensiver Forschung ist ihr Ursprung
noch immer nicht vollständig geklärt. Eines der ersten wichtigen Ergebnisse des
H.E.S.S.-Experimentes war die Identifizierung von Schockwellen einer
Supernova-Explosion als Ort intensiver Teilchenbeschleunigung.
Eine wichtige Frage für das Verständnis des Ursprungs und der Natur der
kosmischen Strahlung ist deren räumliche Verteilung. Ist die kosmische Strahlung
in unserer gesamten Galaxie gleichmäßig verteilt oder variiert deren Dichte und
Energiespektrum innerhalb der Galaxie, zum Beispiel in der Nähe eines kosmischen
Teilchenbeschleunigers? Direkte Messungen der kosmischen Strahlung sind nur
innerhalb unseres Sonnensystems möglich, welches sich in etwa 25.000 Lichtjahren
Entfernung vom Galaktischen Zentrum befindet. Ein Trick erlaubt es jedoch den
Astrophysikern die kosmische Strahlung auch an anderen Orten in der Galaxie zu
untersuchen, durch die Beobachtung von Gamma-Strahlung, welche bei der Kollision
von kosmischer Strahlung mit den Molekülwolken des interstellaren Gases
entsteht.
Der innere Teil unserer Galaxie ist ein komplexer "Zoo" mit Beispielen aus
allen Klassen von exotischen kosmischen Objekten, die Astronomen kennen. Er
enthält unter anderem ein supermassives Schwarzes Loch, Überreste von
Supernova-Explosionen und gigantische Wolken aus Wasserstoffgas. Gelingt es nun,
Gamma-Strahlung von diesen Gaswolken nachzuweisen, so ermöglicht dies den
Wissenschaftlern, die Dichte und das Energiespektrum der kosmischen Strahlung am
Ort der Wolken abzuleiten.
Bei relativ niedrigen Energien von etwa 100 Millionen Elektronenvolt wurde
diese Technik vom EGRET-Satellitenexperiment genutzt, um die kosmische Strahlung
in unserer Galaxie abzubilden. Bei sehr hohen Energien - der wahren Domäne der
kosmischen Beschleuniger - war bisher noch kein Instrument empfindlich genug, um
das Leuchten der interstellaren Gaswolken im Licht der Gamma-Strahlung zu
"sehen". Mit den H.E.S.S.-Teleskopen konnte dieses Leuchten nun zum ersten Mal
nachgewiesen werden.
Die H.E.S.S.-Daten zeigen zur Überraschung der Forscher, dass die Dichte der
kosmischen Strahlung im Zentrum unserer Galaxie um einen signifikanten Faktor
größer ist als in unserem Sonnensystem. Außerdem ist der Unterschied umso
größer, je höher die Energie der Strahlung ist. Diese beiden Beobachtungen
lassen darauf schließen, dass sich in der Nähe der Gaswolken ein "junger"
Beschleuniger der kosmischen Strahlung befindet, der vor etwa 10.000 Jahren
aktiv war.
Mögliche Kandidaten für diesen Beschleuniger sind eine gigantische
Sternexplosion nahe dem Galaktischen Zentrum oder das supermassive Schwarze Loch
im Zentrum unserer Milchstraße. Jim Hinton, einer der an der Entdeckung
beteiligten Wissenschaftler, folgert: "Dieser Nachweis ist ein erster wichtiger
Schritt. Wir werden natürlich weiterhin unsere Teleskope auf das Galaktische
Zentrum ausrichten, um den genauen Ort dieses Beschleunigers zu identifizieren.
Ich bin mir sicher, dass weitere aufregende Entdeckungen vor uns liegen."
Die neuen Forschungsergebnisse wurden mit dem stereoskopischen Teleskopsystem
H.E.S.S. erzielt, das in Namibia installiert ist. Im H.E.S.S.-Projekt (High
Energy Stereoscopic System) arbeiten Wissenschaftlern von Instituten und
Universitäten aus Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Irland, der
Tschechischen Republik, Armenien, Südafrika und Namibia.
H.E.S.S. besteht aus vier gekoppelten Spiegel-Teleskopen mit je 13 Metern
Durchmesser und ist das zur Zeit empfindlichste Instrument zum Nachweis von sehr
hochenergetischer Gamma-Strahlung. Diese wird beim Eintritt in die Atmosphäre
absorbiert, wobei ein Teilchenschauer entsteht, der wiederum einen sehr kurzen,
bläulichen Lichtblitz emittiert, das so genannte Tscherenkow-Licht mit einer
Dauer von nur wenigen Milliardstel Sekunden. Die Teleskope fokussieren diese
sehr schwachen Lichtblitze mit ihren großen Spiegeln auf hochempfindliche
Kameras. Aus den Bildern eines jeden Schauers lässt sich die Richtung und die
Energie der einzelnen Gamma-Quanten rekonstruieren. Durch Überlagerung der
Richtungen am Himmel werden die Bilder von astronomischen Objekten im Licht der
TeV-Gamma-Strahlung erzeugt.
Das H.E.S.S.-Teleskopsystem wurde über mehrere Jahre hinweg von mehr als 100
Wissenschaftlern und Technikern aus Deutschland, Frankreich, Großbritannien,
Irland, der Tschechischen Republik, Armenien, Südafrika und aus dem
Gastgeberland Namibia entwickelt und im September 2004 vom namibischen
Premierminister Theo-Ben Guirab eingeweiht. Bereits die ersten Daten führten zu
einer Reihe von wichtigen Ergebnissen und Entdeckungen, wie dem ersten
astronomischen Bild einer Supernova-Schockwelle im Licht hochenergetischer
Gamma-Strahlung.
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