Auf der Spur der Hyperonen
Redaktion / idw / Johannes
Gutenberg-Universität Mainz
astronews.com
2. Oktober 2006
Neutronensterne gehören zu den wohl merkwürdigsten Objekten
im All: In einer Kugel mit nur einigen zehn Kilometern Durchmesser ist mehr als
die Masse unserer Sonne zusammengeballt. Über die genaue Zusammensetzung dieser
Sterne rätseln Physiker schon seit Jahren. Jetzt hoffen Wissenschaftler der
Universität Mainz, dass ein leistungsfähigerer Beschleuniger neue Einsichten in
das Innere von Neutronensternen liefert.

Der Krebsnebel mit dem Krebs-Pulsar, einem rotierenden
Neutronenstern. Der Nebel ist der gasförmige und kompakte
Überrest einer Supernova-Explosion aus dem Jahr 1054 nach
Christus. Foto: NASA, ESA, J. Hester und A. Loll (Arizona
State University) [mehr
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Gleichzeitig in der Welt der kleinsten Teilchen und in den Weiten des Universums:
Hier ist das Zuhause der Kernphysiker, die sich mit dem Aufbau unserer Materie beschäftigen, um dadurch auch die
Phänomene des Weltalls zu erklären. Eine der brennendsten Fragen der Astrophysik etwa betrifft die
Zusammensetzung von Neutronensternen. Neutronensterne entstehen, wenn ein Stern mit zumindest der 1,5-
fachen Masse der Sonne explodiert und sich danach zusammenzieht bis er nur noch einen Durchmesser von 10 bis
30 Kilometern hat. Die Masse bleibt dabei die gleiche. "Neutronensterne haben eine unglaublich hohe Dichte, zehn
Mal so groß wie in einem normalen Atomkern", erklärt Dr. Josef Pochodzalla,
Professor am Institut für Kernphysik
der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. "Damit wir dieses Phänomen verstehen, müssen wir mehr über die
Wechselwirkung zwischen Hyperonen und den normalen Bauteilchen der Atomkerne wissen."
Erkenntnisse darüber
erwarten sich die Mainzer Kernphysiker von der Inbetriebnahme der vierten Stufe des Elektronenbeschleunigers
MAMI. Bei einer internationalen Konferenz vom 10. bis 14. Oktober werden sich rund 160 Wissenschaftler mit der
Physik von Hyperkernen und Strangeteilchen in Mainz beschäftigen.
Hyperonen kommen in unserer normalen Materie nicht vor. Sie können im Elektronenbeschleuniger erzeugt werden,
indem ein Elektron mit ausreichend hoher Energie auf ein Proton geschossen wird, so dass aus dem Proton zwei
neue Teilchen entstehen: ein Kaon und ein Hyperon, die beide ein Strange-Quarkteilchen enthalten. Das
ursprüngliche Elektron und das Kaon fliegen anschließend aus dem Atomkern raus und lassen das Hyperon zurück.
Das Kaon dient den Physikern als Nachweis, dass dieses extrem seltene "Strangeness-Produktionsereignis"
stattgefunden hat.
"Das Ziel ist es, ein möglichst niederenergetisches Hyperon zu erzeugen, so dass es im
Atomkern eingebaut wird", erläutert Pochodzalla. "So können wir Details über die Kernstruktur lernen und dadurch
vielleicht auch dem Geheimnis der Neutronensterne auf die Spur kommen."
Hyperkerne - das sind Atomkerne, die nicht nur die üblichen Protonen und Neutronen, sondern zusätzlich auch
Hyperonen enthalten - bieten eine einzigartige Chance, um die Wechselwirkungen zwischen Hyperonen einerseits
und Protonen und Neutronen andererseits zu untersuchen. Diese Informationen wiederum gelten als unerlässlich,
um den inneren Kern von Neutronensternen zu verstehen. Über die Zusammensetzung dieser Materie gehen die
Vermutungen weit auseinander: Sie könnte aus zusammengepressten, gewöhnlichen Neutronen bestehen, aus
Hyperonen oder aber aus freien Quarks, so die Spekulationen.
Das Studium von Hyperkernen würde jedoch auch andere Rätsel lösen helfen. Es handelt sich hier um sehr
kurzlebige Teilchen, die eine Lebensdauer von nur einer Milliardstel Sekunde haben. Wenn die Physiker den Zerfall
untersuchen könnten, würden sie mehr über die schwache Wechselwirkung erfahren, eine der vier Grundkräfte in
der Physik, und über die ersten Augenblicke bei der Entstehung unseres Universums.
Für die Experimente auf dem Gebiet der Hyperkernphysik wird in Mainz derzeit der Elektronenbeschleuniger, das
Mainzer Mikrotron MAMI, mit einer vierten Stufe ausgebaut. Erste Tests zur Beschleunigung in MAMI-C sollen noch
in diesem Jahr laufen. Mit dem Ausbau wird der Elektronenstrahl, der auf Protonen oder Neutronen zielt, von der
bisherigen Energie von maximal 850 auf 1.500 Megaelektronenvolt (MeV) erhöht. Um das Kaon, das mit der Bildung
des Hyperons einhergeht, dann zu entdecken, wird derzeit die bestehende Anlage aus drei magnetischen
Spektrometern um ein neues Spektrometer namens Kaos ergänzt.
Ist es schon schwierig genug, ein Hyperon in den Atomkern einzuschließen, so ist es bisher fast unmöglich, einen
Doppelhyperkern mit zwei Hyperonen zu schaffen. Bislang ist dies weltweit erst drei Mal gesichert gelungen.
"Hier
möchten wir in Zukunft zusammen mit der GSI in Darmstadt eine Massenproduktion aufbauen, sobald der
Darmstädter Antiprotonenspeicherring fertig ist", kündigt Pochodzalla an. Falls Neutronensterne auch aus
Hyperonen bestehen, wären Doppelhyperkerne der einzige Weg, um präzise Information über die Wechselwirkung
zwischen zwei Hyperonen zu erhalten.
Mainz und künftig auch die GSI in Darmstadt gehören zu den weltweit bedeutenden Zentren der Hyperkernphysik
neben dem Jefferson Lab in Virginia/USA, dem Hochenergiebeschleuniger KEK in Japan, FINUDA in Frascati/Italien
und den Anlagen in Dubna/Russland. Mit den jüngsten Entwicklungen in diesen Einrichtungen und neuen
Ergebnissen in der Hyperkern- und Strangeteilchenphysik wird sich auch die
bevorstehende Konferenz "HYP2006", die IX. International Conference on Hypernuclear und Strange Particle Physics,
in Mainz befassen.
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