Europas
Kometenmission vor dem Start (2)
zurück zum ersten Teil: Start frei für den
Hightech-Würfel
Der Komet, der sich auf einer Ellipsenbahn um die Sonne bewegt, wird zum
Zeitpunkt des Rendezvous 675 Millionen Kilometer von der Sonne entfernt sein und
sich damit nahe seinem von der Sonne am weitesten entfernten Punkt befinden. Die
Position ist nicht zufällig gewählt: Zu diesem Zeitpunkt ist der Komet noch
nicht wirklich aktiv und nur ein gefrorener Klumpen aus Eis und interplanetarem
Staub - wahrscheinlich jener Materie, aus der vor viereinhalb Milliarden Jahren
unser Sonnensystem entstand.
Rosettas Ziel: Der Komet 67P/Tschurjumow-Gerasimenko. Foto: ESO
Giottos Blick auf den Kern des Kometen Halley.
Foto: ESA |
Der Komet wird sich auf seiner weiteren Reise verändern. Gelangt er in die Nähe
der Sonne, wird er - wie alle Kometen - aktiv: Durch die Strahlung der Sonne
aufgeheizt, verdampft das Eis und reißt kleine Staubteilchen von der Oberfläche
mit. Dadurch entstehen Koma (der Kometenkopf) und Schweif.
Für den Menschen sichtbar sind nur diese beiden Phänomene. Der eigentliche
Kometenkern hingegen ist viel zu winzig, um von der Erde aus gesichtet werden zu
können - bei Tschurjumow-Gerasimenko gerade einmal rund 4 Kilometer im
Durchmesser. "Die Ausbildung von Schweif und Koma beim Vorbeiflug an der Sonne
kostet einen Kometen mehrere Meter Dicke seiner Oberflächenmaterie", erklärt Dr.
Uwe Keller vom Max-Planck-Institut für Aeronomie in Kaltenburg-Lindau, der für
die von Rosetta mitgeführte Kamera OSIRIS zuständige Wissenschaftler. "Bei einem
kleinen Kometen wie Tschurjumow-Gerasimenko reden wir durchaus von einem Prozent
Verlust der Masse." Da er alle 6,6 Jahre an der Sonne vorbeifliegt, sind seine
Tage - allerdings nur nach kosmischen Zeitmaßstäben - gezählt.
Die sichtbaren Phänomene der Kometen haben die Menschen seit jeher fasziniert -
und ihnen Angst gemacht. Auch heutzutage noch finden sich mystische Erklärungen
für Kometen im Weltbild einiger Völker: Die Andamanen-Insulaner, ein Naturvolk
in der Bucht von Bengalen, sehen in Kometen brennende Fackeln, die Waldgeister
emporgeschleudert haben, um leichter jene Menschen zu entdecken, die sich nachts
unklugerweise im Freien aufhalten. Einige Ureinwohner Australiens halten Kometen
für Feuerstöcke, auf denen mächtige Schamanen reiten.
Der Versuch, das Phänomen "cometa aster" ("haariger Stern")
naturwissenschaftlich zu erklären, reicht zurück bis in die Antike. Dabei
brachten die Menschen Kometen bis vor wenigen hundert Jahren mit atmosphärischen
Vorgängen in Verbindung. Aristoteles (384-322 v. Chr.) beschrieb in seinem Buch
"Meteorologika" wie brennbare Gase aus Felsspalten entweichen und sich in den
höchsten Schichten der sublunaren Welt (der "Welt unter dem Mond") sammeln und dort
entzünden. Eine schnelle Freisetzung dieser Gase führe zu einer Sternschnuppe,
eine langsame bewirke einen Kometen. Aristoteles wusste es nicht besser - und
war sich seiner begrenzten Fähigkeit zur Erkenntnis wohl bewusst. Er selbst
gesteht: "Da wir über Kometen kein eigentliches sinnliches Urteil haben, muss
ich zufrieden sein mit einer Erklärung, wenn diese nur nichts den bekannten
Wahrheiten Widersprechendes enthält." Und solche Wahrheiten waren seinerzeit
bekanntermaßen dünner gesät.
Auch der sich im Laufe der Jahrhunderte durchsetzende Umkehrschluss entsprach
nicht ganz den Tatsachen: Kometen wurden nun ihrerseits für extreme
Hitzeperioden verantwortlich gemacht. Die Naturphilosophen gingen noch einen
Schritt weiter. Kometen - so sagten sie - führen zu Hitze, Hitze zu Stürmen und
diese zu Naturkatastrophen. Der Römer Plinius der Ältere (geb. ca. 23 n. Chr.)
beispielsweise klassifizierte zwölf verschiedene Kometen-Phänomene nach ihrer
äußeren Erscheinungsform. Jeder Klasse ordnete er daraufhin eine
Naturkatastrophe zu.
Das christliche Mittelalter sah in Kometenerscheinungen nicht mehr das blinde
Wüten einer anonymen Natur, sondern interpretierte sie vielmehr als von Gott
gesandte Zeichen. Theologen wie die heilige Hildegard von Bingen (1098-1179)
oder Albert Magnus (1200-1280) beriefen sich auf die heilige Schrift. Bei
Jeremias (Kap.1,11-12) ist zu lesen, dass Gott eine wachsende Rute, eine
"Zuchtrute", am Himmel erscheinen ließe, um seine Worte durchzusetzen. Bei Lukas
steht in Kapitel 21,11: "Es wird gewaltige Erdbeben und an vielen Orten
Hungersnöte geben und am Himmel wird man gewaltige Zeichen sehen".
1066 sah man im Halleyschen Kometen den Vorboten der normannischen Eroberung
Englands, bildlich festgehalten im Wandteppich von Bayeux, der die Schlacht von
Hastings in szenischen Bildern aufzeichnet.
Den wesentlichen Beitrag zur Berichtigung des Fehlurteils, Kometen seien
atmosphärische Erscheinungen, leistete der dänische Astronom Tycho Brahe im
Jahre 1577. Er beobachtete von seiner Sternwarte in Uranienburg über zweieinhalb
Monate lang den Zug eines Kometen am Himmel. Über das Phänomen der "täglichen
Parallaxe" - einer scheinbaren "Zitterbewegung" der Himmelskörper, die im
Standpunkt des Betrachters auf der sich drehenden Erde begründet liegt - konnte
er nachweisen, dass sich der Komet jenseits der Mondbahn befinden musste.
Den nächsten wichtigen Schritt auf dem Weg der naturwissenschaftlichen
Beschreibung von Kometen verdanken wir dem britischen Astronomen und Physiker
Edmond Halley, einem Freund und Förderer Isaac Newtons. Als er 1705 die
Messreihen von Kometen untersuchte, stellte er fest, dass sich einige
Kometenbahnen glichen: Seine eigene Berechnung der Bahn eines Kometen von 1682
stimmte mit den von Johannes Kepler im Jahre 1607 berichteten Daten sowie mit
jenen von Apianus von 1531 überein. Er schloss daraus, dass verschiedene
Kometenbeobachtungen ein und demselben Kometen zuzuschreiben sind - und behielt
recht, als er die Wiederkehr des Kometen vorhersagte: Im Dezember 1758 wurde der
fortan nach ihm benannte Komet erneut gesichtet und bestätigte damit seine
These, dass scheinbare Parabelbahnen von Kometen "nur" Teile einer riesigen
Ellipsenbahn sind. Inzwischen konnten schriftliche Aufzeichnungen aus China im
Jahre 240 v. Chr. als Sichtung von Halley identifiziert werden - bislang das
älteste bekannte Dokument über dieses Phänomen.
Was in der Bibel als Zeichen Gottes erklärt wird, interpretierte Fred Hoyle,
britischer Astrophysiker, als mögliche Erklärung der großen Zäsuren in der
Geschichte. Er war der Auffassung, dass einschneidende Ereignisse wie das
Aussterben der Mammuts auf Einschläge von Kometenteilen zurückzuführen seien.
Dabei griff er die 1982 entwickelte These der britischen Astronomen Victor Clube
und Bill Napier auf, dass ein riesiger Komet vor 15.000 Jahren von unserem
Sonnensystem eingefangen worden sei. Die Trümmer dieses Kometen hätten in seiner
periodischen Wiederkehr alle 1.600 Jahre einschneidende Zäsuren auf der Welt
bewirkt. Auch Legenden wie die Sintflut könnten damit erklärt werden.
Doch wie sieht der eigentliche Kometenkern aus? Eine erste Antwort auf diese
Frage lieferte die Raumsonde Giotto der Europäischen Weltraumorganisation
(ESA). Sie wurde nach dem bedeutenden italienischen Maler Giotto di Bondone
benannt, der auf dem Wandgemälde der Scrovegni-Kapelle in Padua Anfang des
vierzehnten Jahrhunderts einen Kometen abbildete. Am 14. März 1986 gelang es der
Sonde Fotos vom Kern des Kometen Halley aus nur 600 Kilometer Entfernung mit
einer Auflösung im 100-Meterbereich aufzunehmen. "Durch die Mission mussten wir
unser bisheriges Bild von einem Kometenkern als schmutzigem Schneeball
revidieren. Die Bilder belegten, dass es sich vielmehr um einen eisigen
Matschbrocken handelt", erklärt Dr. Uwe Keller. "Der feste Anteil des Kerns ist
bei weitem größer als der aus Eis."
Kaum hatte Giotto jedoch sein elektronisches Auge auf den Himmelskörper
gerichtet, war es auch schon vorbei mit der Bilderserie: Ein ungefähr ein
Millimeter großes Staubkorn traf die Sonde. Da die Differenzgeschwindigkeit
zwischen Sonde und Komet 68,4 Kilometer pro Sekunde betrug, genügte die Wucht
der unfreiwilligen Begegnung, weitere Schnappschüsse zu vereiteln. Trotz
beschädigter Kamera konnte die Mission fortgesetzt werden: Nach zweimaligem
"Winterschlaf" erfolgte der Vorbeiflug am Kometen Grigg-Skjellerup am 10.7.1992.
Völlig neue Erkenntnisse über Kometenkerne wird jetzt Rosetta liefern. Sie
kreist in einer Umlaufbahn um den Kometen und setzt eine kleine Landesonde auf
ihm ab. Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit wird damit ein Komet auf
dem Weg zur Sonne "live vor Ort" untersucht.
Update:
Wegen starker Winde in Kourou wurde der Start um 24 Stunden verschoben. Neuer
Termin: 27. Februar, 8.36 Uhr MEZ.
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