Start zu
neuem Zielkometen
Redaktion
astronews.com
30. Januar 2004
Als vor einem
Jahr klar wurde, dass die europäische Kometensonde Rosetta wegen eines
Problems mit den Ariane-5-Raketen zunächst am Boden bleiben muss, war die
Enttäuschung groß: Das ursprüngliche Ziel, der Komet Wirtanen, war nun nicht
mehr zu erreichen. In vier Wochen soll Rosetta nun zu einem anderen
Kometen starten, dessen Erforschung wissenschaftlich ähnlich interessant sein
dürfte.
Die Kometensonde Rosetta soll Ende Februar zu ihrem neuen Ziel
starten: 67P/Tschurjumow-Gerasimenko (unten) Bild/Foto:
ESA, AOES Medialab / ESO
|
Die ESA-Kometensonde Rosetta wird am 26. Februar 2004 mit einer
Trägerrakete des Typs Ariane-5 von Kourou in Französisch-Guayana aus
gestartet. Ursprünglich sollte dies vor etwa einem Jahr stattfinden; nach dem
Fehlstart einer leistungsstärkeren Ausführung der Ariane-5 im Dezember
2002 wurde jedoch vorsichtshalber beschlossen, die Reise der Sonde zu
verschieben. Die Mission sieht erstmals die Landung auf einem Kometen vor, einem
jener eisigen Himmelskörper, die durch das Sonnensystem wandern und bei der
Annäherung an unser Zentralgestirn einen charakteristischen Schweif entfalten.
Wegen der Startverzögerung kann Rosetta ihren ursprünglichen Zielkometen
Wirtanen nicht mehr anfliegen. Inzwischen wurde jedoch ein Ersatzkomet gefunden,
67P/Tschurjumow-Gerasimenko, den sie nach einer mehr als zehnjährigen Reise
durch das Sonnensystem im Jahr 2014 erreichen wird. Die Sonde wurde nach dem
berühmten Stein von Rosette benannt, der vor nahezu 200 Jahren die
Entschlüsselung der ägyptischen Hieroglyphen ermöglicht hat. In Anlehnung daran
hoffen die Wissenschaftler, dass Rosetta helfen wird, die Geheimnisse des
Sonnensystems zu enträtseln. Für die Wissenschaftler sind Kometen deshalb
interessant, weil ihre Zusammensetzung Aufschluss über den Zustand des
Sonnensystems gibt, als es noch sehr jung und "unfertig" war. In den seither
vergangenen 4,6 Milliarden Jahren haben sich Kometen nur wenig verändert.
Rosetta soll bei der Umrundung des Kometen Tschurjumow-Gerasimenko und
nach der Landung auf seinem Kern Informationen sammeln, die für das Verständnis
des Ursprungs und der Entwicklung unseres Sonnensystems von entscheidender
Bedeutung sind. Die Sonde soll auch die Frage beantworten helfen, ob Kometen zu
den Anfängen des Lebens auf der Erde beigetragen haben. Kometen sind Träger
komplexer organischer Moleküle, die möglicherweise bei Einschlägen auf die Erde
gelangt sind und so vielleicht eine Rolle bei der Entstehung von Lebensformen
gespielt haben. Denkbar wäre auch, dass von Kometen transportierte "flüchtige"
Elemente einen bedeutenden Beitrag zur Bildung der Atmosphäre und Ozeane der
Erde leisteten.
"Rosetta ist eine der anspruchsvollsten Missionen, die je unternommen
worden sind", meint Professor David Southwood, der Wissenschaftsdirektor der
ESA. "Niemand hat bisher ein ähnliches Vorhaben gewagt, das wegen seiner
wissenschaftlichen Bedeutung, aber auch wegen seiner komplexen und spektakulären
Raumflugmanöver einzigartig ist". Vor der Ankunft an ihrem Ziel im Jahr 2014
wird Rosetta die Sonne vier Mal auf weiten Schleifen im inneren Sonnensystem
umkreisen, wobei sie zum Teil extremen Temperaturen ausgesetzt sein wird. Bei
der Annäherung an den Kometen Tschurjumow-Gerasimenko werden die Wissenschaftler
die Sonde behutsam abbremsen und auf eine niedrige Bahn um den Kometen lenken,
von wo aus ein Landegerät sanft auf dem Kern des Kometen abgesetzt werden soll.
Dies ist mit der Landung auf einer kleinen kosmischen Kugel vergleichbar, deren
"Geographie" - zumindest jetzt noch - nahezu unbekannt ist.
Rosetta ist eine drei Tonnen schwere, rund 3 Meter hohe kastenförmige
Sonde mit zwei 14 Meter langen Solarzellenauslegern. Die Sonde besteht aus einem
Orbiter und einem Landegerät. Das Landegerät hat einen Durchmesser von rund 1 m
und ist 80 cm hoch. Während der Reise zum Kometen Tschurjumow-Gerasimenko ist es
seitlich am Rosetta-Orbiter befestigt. Rosetta führt insgesamt 21 Instrumente
mit, davon 10 auf dem Landegerät. Sie bleiben während des zehnjährigen Anflugs
fast ständig abgeschaltet.
Warum dauert aber der Anflug so lange? Um zum Kometen Tschurjumow-Gerasimenko zu
gelangen, muss die Sonde weit in den Weltraum hinausfliegen, bis sie etwa
dieselbe Entfernung wie Jupiter von der Sonne erreicht. Keine Trägerrakete der
Welt könnte sie auf direktem Wege dorthin befördern. Deshalb muss die ESA-Sonde
viermal durch Vorbeiflüge an Planeten Schwung holen: einmal am Mars im Jahr 2007
und dreimal an der Erde in den Jahren 2005, 2007 und 2009. Auf ihrem Flug wird
Rosetta zweimal den Asteroidengürtel durchqueren, wo ein Vorbeiflug an
einem oder mehreren dieser primitiven Objekte möglich ist. Es wurde bereits eine
Reihe möglicher Ziele ausgemacht; die endgültige Auswahl wird jedoch erst nach
dem Start erfolgen, wenn die Missionsingenieure genau festgestellt haben, wie
viel Treibstoff verbleibt. Während dieser Begegnungen wollen die Wissenschaftler
die Bordinstrumente für die wissenschaftliche Untersuchung dieser noch nahezu
unerforschten Körper des Sonnensystems einschalten.
Lange Reisen durch den Weltraum bringen viele Beschwernisse wie extreme
Temperaturschwankungen mit sich. Rosetta wird aus den milden
Umgebungsbedingungen des erdnahen Weltraums in die dunklen, eiskalten Regionen
jenseits des Asteroidengürtels eintauchen. Um sich zu vergewissern, dass die
Sonde diesen schweren thermischen Belastungen standhält, haben die Ingenieure
sie vor dem Start harten Tests unterworfen. So haben sie ihre Außenflächen
beispielsweise auf über 150° Celsius erhitzt und sie dann rasch wieder auf -150°
Celsius abgekühlt.
Vor dem Rendezvous mit dem Kometen im Jahr 2014 wird die Sonde voll reaktiviert.
Rosetta wird den Kometen - ein nur rund 4 Kilometer breites Objekt - dann
ständig umrunden, während er sich mit einer Geschwindigkeit von 135.000
Kilometern pro Stunde durch das innere Sonnensystem bewegt. Zum Zeitpunkt des
Rendezvous - in etwa 675 Millionen Kilometern Entfernung von der Sonne - dürfte Tschurjumow-Gerasimenko noch wenig Oberflächenaktivität aufweisen, also die
charakteristische Koma (die Gashülle des Kometen) und der Schweif dürften sich
wegen der großen Entfernung von der Sonne noch nicht gebildet haben. Der
Kometenschweif entsteht ja aus Staubkörnern und gefrorenen Gasen an der
Oberfläche des Kometenkerns, die unter dem Einfluss der Sonnenwärme verdampfen.
Sechs Monate lang wird Rosetta die Oberfläche des Kometenkerns genau kartieren,
worauf ein Landeplatz ausgewählt wird.
Im November 2014 wird das Landegerät automatisch aus einer Höhe von nur einem
Kilometer abgeworfen. Das Aufsetzen wird bei Gehgeschwindigkeit - weniger als
ein Meter pro Sekunde - erfolgen. Unmittelbar danach wird das Landegerät eine
Harpune in den Boden schießen, um ein Zurückprallen in den Weltraum zu
verhindern, da die Schwerkraft des Kometenkerns nicht ausreichen würde, um das
Landegerät festzuhalten. Die wissenschaftlichen Untersuchungen und Beobachtungen
auf der Oberfläche des Kometenkerns sollen mindestens eine Woche dauern, können
sich eventuell aber über mehrere Monate erstrecken. Das Landegerät wird nicht
nur Bilder aus nächster Nähe aufnehmen, sondern auch Bohrungen in der dunklen
organischen Kruste vornehmen und Proben der wichtigsten Eisarten und Gase entnehmen.
Während und nach dem Betrieb des Landegeräts wird der Rosetta-Orbiter den
Kometen weiter umkreisen und beobachten. Rosetta wird damit das erste
Raumfluggerät sein, das aus nächster Nähe die an einem Kometen eintretenden
Veränderungen erfasst, wenn dieser sich der Sonne nähert, wobei er seine Koma
und seinen Schweif bildet, und sich anschließend wieder von ihr entfernt. Die
Mission wird nach einem zwölf Jahre währenden Abenteuer im Dezember 2015 enden,
wenn der Komet seinen sonnennächsten Punkt überschritten und seinen Weg in
Richtung äußeres Sonnensystem eingeschlagen hat.
Die Mission Rosetta wurde 1993 ausgewählt. Die Raumsonde wurde von
Astrium Deutschland als Hauptauftragnehmer unter Beteiligung von über 50
Auftragnehmern aus 14 europäischen Ländern, Kanada und den Vereinigten Staaten -
darunter Astrium UK (Plattform der Sonde), Astrium Frankreich (Avionik) und
Alenia Spazio (Zusammenbau, Integration und Erprobung) - gebaut.
Die Instrumente für den Rosetta-Orbiter wurden von wissenschaftlichen
Konsortien aus Instituten in Europa und den USA bereitgestellt. Ein europäisches
Konsortium unter der Federführung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt
(DLR) steuerte das Landegerät bei. Rosetta kostet die ESA 770 Millionen Euro zum
Preisstand von 2000. In diesem Betrag sind der Start, die Entwicklungsarbeiten
ab 1996 und der Missionsbetrieb bis 2015 eingeschlossen. Das Landegerät und die
Instrumente, die so genannte "Nutzlast", sind nicht eingerechnet, da sie von den
Mitgliedstaaten über wissenschaftliche Institute finanziert werden.
|
|