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Wie das Gehirn auf Schwerelosigkeit reagiert
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung des GSI Helmholtzzentrums für Schwerionenforschung
GmbH astronews.com
18. August 2025
Im Rahmen der Mission CELLBOX-4 wird im kommenden Jahr
ein innovatives Forschungsprojekt zur Internationalen Raumstation ISS starten:
Mit "HippoBox" sollen mithilfe von Hirnorganoiden neuroplastische Veränderungen
in einem bestimmten Gehirn-Areal, dem Hippocampus, untersucht werden. Dies
könnte für Langzeitmissionen im All von großer Bedeutung sein, aber auch auf der
Erde selbst.

Vorbereitung des Projekts HippoBox. Im Bild
Carola Hartel aus der Biophysik von GSI/FAIR.
Foto: Insa Schroeder, GSI [Großansicht] |
Ein Stück GSI/FAIR-Spitzenforschung soll im kommenden Jahr ins All starten:
Mit einem hoch innovativen Forschungsprojekt ist die Abteilung Biophysik an
einer der nächsten Wissenschaftsmissionen auf der Internationalen Raumstation
ISS beteiligt. Vor kurzem wurde das Projekt "HippoBox" von der Deutschen
Raumfahrtagentur im DLR erfolgreich geprüft und für die Teilnahme an der
CELLBOX-4-Mission auf der ISS ausgewählt. Ziel des Projekts ist es, mithilfe von
Hirnorganoiden ("Mini-Gehirnen") neuroplastische Veränderungen in einem
bestimmten Gehirn-Areal, dem Hippocampus, zu untersuchen – eine Fragestellung
mit hoher Relevanz für die medizinische Vorbereitung zukünftiger
Langzeitmissionen im All.
Auf dem Campus des GSI Helmholtzzentrums für Schwerionenforschung und des
hier entstehenden internationalen Beschleunigerzentrums FAIR haben die konkreten
Planungen des Experiments bereits begonnen, ein wichtiger Meilenstein ist schon
erfolgt: Die speziell entwickelte Hardware wurde geliefert, aktuell laufen
zahlreiche Vortests, um weitere Erfahrungen beispielsweise mit der Eignung der
vorgesehenen Materialen zu sammeln. Federführend bei dem Projekt "HippoBox" ist
Dr. Insa Schroeder mit ihrem Team aus der GSI-Abteilung Biophysik, die von
Professor Marco Durante geleitet wird. Wichtige Beiträge kommen zudem vom
DLR-Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin, Dr. Christian Liemersdorf, und von
der University of Applied Sciences Köln, Professor Sherif El Sheikh. Das Start-up-Unternehmen
Yuri ist mit Missionssupport und technischer Infrastruktur beteiligt.
"Wir freuen uns außerordentlich über die positive Entscheidung des DLR und
sind stolz, mit HippoBox einen Beitrag zur weltraummedizinischen Forschung
leisten zu können. Die Möglichkeit, menschliche Hirnorganoide in
Schwerelosigkeit im All zu untersuchen, eröffnet vielversprechende neue
Perspektiven für die Gesundheitsvorsorge bei Langzeitaufenthalten im All. Es ist
wichtig, die Mechanismen, die möglichen neuroplastischen Veränderungen im
Hippocampus der Astronauten zugrunde liegen und damit zu einem Showstopper für
Langzeitmissionen werden könnten, präzise zu untersuchen", erklärt Schroeder.
Das Experiment soll spannende wissenschaftliche Fragen beantworten: Verändern
sich die neuronalen Strukturen und ihre Funktionen in Schwerelosigkeit? Gibt es
Möglichkeiten, solchen Veränderungen des Netzwerks des Gehirns entgegenzuwirken?
Die Forschungsergebnisse könnten entscheidenden Einfluss auf zukünftige
Strategien zur Erhaltung der kognitiven Gesundheit von Raumfahrenden haben, aber
auch neue Erkenntnisse für die Erforschung von Depressionen und Demenz auf der
Erde bringen.
Schroeder und ihr Team arbeiten derzeit an der Zellkulturbox selbst, eine Art
Mini-Inkubator, kaum handtellergroß. Sie wird die Organoide aufnehmen und deren
Versorgung übernehmen. "Es ist ein Labor in Miniaturform", erläutert Schroeder
und beschreibt die einzigartigen Forschungsperspektiven durch die Teilnahme am
ISS-Programm: Volle 14 Tage lang wird das Kleinstlabor auf der ISS in echter
Schwerelosigkeit in Betrieb sein. Daraus ergeben sich deutlich umfangreichere
Forschungsmöglichkeiten mit den Organoiden als beispielsweise bei einem
Parabelflug mit einem Flugzeug oder einem Flug mit der DLR
MAPHEUS-Forschungsrakete, deren ballistischer Flug vergleichsweise kurze
Zeiträume der Schwerelosigkeit ermöglicht (Sekunden bis Minuten).
Im Mittelpunkt des Projekts "HippoBox" steht der Hippocampus, jene zentrale
Schaltstelle im Gehirn, in der Informationen verschiedener sensorischer Systeme
zusammenfließen. Diese Hirnregion ist verantwortlich für die Gedächtnisleistung
und das Lernverhalten beispielsweise für die Verarbeitung von
Bewegungskoordination. Das ist ein ganz entscheidender Punkt auch für
Astronautinnen und Astronauten: Sie müssen im Weltall wichtige Entscheidungen
treffen, sicher und rational, und auch ihre motorischen Fähigkeiten, etwa die
Fingerfertigkeit, erhalten. Währenddessen wandern im menschlichen Gehirn
kontinuierlich Botenstoffe (Neutrotransmitter) zwischen den Nervenzellen, ein
starkes neuronales Netzwerk ist nötig.
Doch es gibt Hinweise, dass die neuronalen Zellen in Schwerelosigkeit
eventuell weiter auseinanderdriften, es in der Folge weniger Kontaktstellen gibt
und das neuronale Netzwerk dadurch schwächer ist, ähnlich wie dies auch bei
Menschen mit Demenz oder mit Depressionen festzustellen ist. Die
Hippocampus-Organoide, die derzeit bei GSI/FAIR vorbereitet werden, sollen hier
neue Erkenntnisse bringen und zeigen, welchen Effekt neuroprotektive Substanzen,
die das Wachstum der Kontaktstellen und die Andockmöglichkeiten der Botenstoffe
fördern, haben könnten. Die Organoide bilden das menschliche Gehirn gut ab,
vieles lässt sich mit ihrer Hilfe schon vorab klären, bevor Tierversuche und
klinische Studien nötig werden.
Die aktuellen Forschungen bedeuten damit einen wichtigen Schritt für die
Vermeidung von Risiken für den Menschen bei der Erforschung des Weltalls. Die
Identifizierung der molekularen Ursachen von kognitiven und neuropsychologischen
Defiziten, ihre Entstehung und ihr Fortschreiten spielen aber auch für die
Medizin auf der Erde eine entscheidende Rolle.
Die Wissenschaft setzt auf zerebrale Organoide, die in vitro ("im Glas",
außerhalb des Körpers) mithilfe von menschlichen Stammzellen gezüchtet werden,
um beispielsweise das Verhalten in Schwerelosigkeit oder die Auswirkungen einer
Strahlentherapie auf das Gehirn zu untersuchen. Diese Organoide sind keine
vollständig ausgebildeten Organe, ähneln aber in ihrer Struktur und Funktion dem
menschlichen Gehirn und ermöglichen damit eine präzisere Untersuchung der
Reaktionen des Gewebes. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler versprechen
sich dabei einen substanziellen Fortschritt für die Forschung und auch für
medizinische Therapien, nicht zuletzt bei neurologischen Erkrankungen.
Das Cellbox-Programm wurde 2011 von der Deutschen Raumfahrtagentur im DLR ins
Leben gerufen. Cellbox-Missionen ermöglichen Untersuchungen zu den Auswirkungen
der Weltraumbedingungen auf Zellen, Gewebe und Organoide. Die Experimente
stammen aus den Forschungsbereichen Gravitationsbiologie, Physiologie,
Molekularbiologie und Biomedizin. Sie dauern jeweils mehrere Wochen und werden
in einer niedrigen Erdumlaufbahn durchgeführt. Die Experimente werden in
Miniaturlabors von der Größe eines Smartphones – den Cellbox-Experimentkammern –
durchgeführt, die mehrere Tage oder Wochen lang der Schwerelosigkeit und/oder in
einer Zentrifuge 1g-Bedingungen (simulierte Schwerkraft der Erde) ausgesetzt
sind.
Die Missionen Cellbox-4 und Cellbox-5 werden 2026 mehrere Wochen lang in
einem Raumfahrzeug die Erde umkreisen. Acht Teams von deutschen Universitäten
werden biologische und biomedizinische Experimente durchführen. Die Cellbox-Missionen
werden im Auftrag der Deutschen Raumfahrtagentur im DLR mit Mitteln des
Bundesministeriums für Wirtschaft (BMWE) durchgeführt.
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