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Detaillierter Blick auf protoplanetare Scheiben
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Astronomie astronews.com
8. Oktober 2024
Mithilfe des Weltraumteleskops James Webb gelang
nun ein detaillierter Blick auf Scheiben aus Gas und Staub um junge Sterne, in
denen neue Planeten entstehen. Die hier beobachtete verschachtelte Struktur der
Gasströme bestätigt einen seit Langem theoretisch angenommenen Mechanismus, der
es dem Stern ermöglicht, durch das Abzapfen von Scheibenmaterial zu wachsen.

Diese künstlerische Darstellung einer
planetenbildenden Scheibe, die einen jungen Stern
umgibt, zeigt einen wirbelnden "Pfannkuchen" aus
heißem Gas und Staub, aus dem Planeten entstehen.
Mit dem James-Webb-Weltraumteleskop erhielt das
Team detaillierte Bilder, die die verschachtelte,
konische Struktur von Scheibenwinden zeigen –
Gasströme, die in den Weltraum entweichen.
Bild:
National Astronomical Observatory of Japan (NAOJ) [Großansicht] |
Jede Sekunde werden im sichtbaren Universum mehr als 3000 Sterne geboren.
Viele sind von etwas umgeben, das die Astronomie als protoplanetare Scheibe
bezeichnet – eine wirbelnde "Scheibe" aus heißem Gas und Staub, die das Wachstum
des Zentralsterns fördert und die Bausteine für neue Planeten liefert. Die
genauen Prozesse, die zur Entstehung von Sternen und Planetensystemen führen,
sind jedoch noch immer kaum verstanden.
Ein Team von Astronominnen und Astronomen unter der Leitung der
University of Arizona, unterstützt von Wissenschaftlern des
Max-Planck-Instituts für Astronomie (MPIA) in Heidelberg, nutzte das James
Webb Space Telescope (JWST), um einige der detailliertesten Einblicke in
die Kräfte zu erhalten, die protoplanetare Scheiben formen. Die Beobachtungen
geben Aufschluss darüber, wie unser Sonnensystem vor 4,6 Milliarden Jahren
ausgesehen haben könnte.
Insbesondere konnte das Team sogenannte Scheibenwinde in noch nie dagewesenem
Detailreichtum nachzeichnen. Diese Winde sind Gasströme, die von der
planetenbildenden Scheibe in den Weltraum hinausblasen. Sie werden hauptsächlich
durch Magnetfelder angetrieben und können sich in nur einer Sekunde über
Dutzende Kilometer ausbreiten. Die jetzt veröffentlichten Ergebnisse des
Forschungsteams helfen besser zu verstehen, wie junge Planetensysteme entstehen
und sich entwickeln. Laut Ilaria Pascucci, Professorin am Lunar and
Planetary Laboratory der University of Arizona, ist einer der
wichtigsten Prozesse, die in einer protoplanetaren Scheibe ablaufen, das
Verschlingen von Materie durch den Stern aus seiner umgebenden Scheibe. Dies
wird in der Astronomie als Akkretion bezeichnet.
"Wie ein Stern Masse ansammelt, hat einen großen Einfluss darauf, wie sich
die umgebende Scheibe im Laufe der Zeit entwickelt, einschließlich der Art und
Weise, wie sich später Planeten bilden", so Pascucci. "Die genauen Mechanismen,
die dabei zum Tragen kommen, sind bislang nicht verstanden, aber wir glauben,
dass Winde, die von Magnetfeldern über den größten Teil der Scheibenoberfläche
angetrieben werden, eine essenzielle Rolle spielen könnten."
Junge Sterne wachsen, indem sie Gas aus der umgebenden Scheibe anziehen, aber
damit dies geschehen kann, muss das Gas zunächst einen Teil seiner
Widerstandsfähigkeit gegen Geschwindigkeitsänderungen verlieren. Andernfalls
würde das Gas den Stern ständig umkreisen und niemals auf ihn herunterfallen. In
der Astrophysik wird dieser Prozess als "Verlust des Drehimpulses" bezeichnet,
aber wie genau dies geschieht, ist schwer zu bestimmen. In den letzten Jahren
haben sich magnetisch angetriebene Scheibenwinde als wesentliche Akteure
herausgestellt, die Gas von der Scheibenoberfläche wegleiten – und damit auch
den Drehimpuls – und es dem übrig gebliebenen Gas ermöglichen, langsamer zu
werden, sich nach innen zu bewegen und schließlich auf den Stern zu fallen.
Da auch andere Prozesse die protoplanetaren Scheiben formen, ist es laut
Tracy Beck vom Space Telescope Science Institute von entscheidender
Bedeutung, zwischen den verschiedenen Phänomenen unterscheiden zu können.
Während das Magnetfeld des Sterns Material am inneren Rand der Scheibe in einem
als X-Wind bezeichneten Phänomen nach außen drückt, werden die äußeren Teile der
Scheibe durch intensives Sternlicht abgetragen, was zu sogenannten thermischen
Winden führt, die mit viel geringeren Geschwindigkeiten wehen.
Die hohe Empfindlichkeit und Auflösung des JWST waren ideal geeignet, um
zwischen dem magnetfeldgetriebenen Wind, dem thermischen Wind und dem X-Wind zu
unterscheiden. Ein entscheidendes Merkmal, das die magnetisch angetriebenen von
den X-Winden unterscheidet, ist, dass sie sich weiter außen befinden und sich
über größere Regionen erstrecken, einschließlich der Zone mit den inneren
Gesteinsplaneten unseres Sonnensystems – etwa zwischen Erde und Mars. Diese
Winde erstrecken sich auch weiter oberhalb der Scheibe als thermische Winde und
erreichen die hundertfache Entfernung zwischen Erde und Sonne.
"Wir hatten bereits anhand interferometrischer Beobachtungen im
Radiowellenlängenbereich Hinweise auf einen solchen Wind gefunden", betont der
MPIA-Astronom Dmitry Semenov. Diese Beobachtungen konnten jedoch nicht die
gesamte Struktur des Scheibenwinds untersuchen, geschweige denn detailliert
abbilden. Insbesondere die verschachtelte Struktur der verschiedenen
Windkomponenten, ein Kennzeichen dieser Scheibenwinde, lag außerhalb der
Möglichkeiten der Beobachtungen. Im Gegensatz dazu haben die neuen
JWST-Beobachtungen diese Struktur zweifelsfrei aufgedeckt. Die beobachtete
Morphologie entspricht den Erwartungen an einen magnetisch angetriebenen
Scheibenwind. "Unsere Beobachtungen deuten stark darauf hin, dass wir die ersten
detaillierten Bilder der Winde erhalten haben, die den Drehimpuls abführen und
das seit Langem bestehende Problem der Entstehung von Sternen und
Planetensystemen lösen können", sagt Pascucci.
Für ihre Studie wählten die Forscher vier protoplanetare Scheibensysteme aus,
die von der Erde aus alle von der Seite betrachtet werden. Durch ihre
Ausrichtung konnten Staub und Gas in der Scheibe als Blende fungieren und einen
Teil des Lichts des hellen Zentralsterns abschwächen, das sonst die Winde
überstrahlt hätte. Das Team konnte die verschiedenen Windschichten
nachverfolgen, indem es den NIRSpec-Detektor von JWST auf unterschiedliche Atome
und Moleküle in bestimmten Übergangszuständen abstimmte. NIRSpec ist der
hochauflösende Nahinfrarot-Spektrograf des JWST. Die Astronomen erhielten
räumlich aufgelöste Spektralinformationen über das gesamte Sichtfeld, indem sie
die Integral Field Unit (IFU) des Spektrografen verwendeten, die im Wesentlichen
ein Raster ist, das bestimmte Positionen am Himmel betrachtet. Auf diese Weise
generierten die Forschenden Bilder bei verschiedenen charakteristischen
Wellenlängen, die jeweils vergleichsweise grob, aber dennoch gut genug waren, um
die Form zu erkennen.
Die Beobachtungen offenbarten eine komplexe, dreidimensionale Struktur eines
zentralen Jets, der in einer kegelförmigen Hülle aus Winden eingebettet ist, die
aus immer größeren Abständen in der Scheibe stammen, ähnlich einer
Zwiebelschalenstruktur. Laut den Forschenden war eine wichtige neue Erkenntnis
der sich wiederholende Befund eines ausgeprägten zentralen Lochs in den Kegeln,
das durch molekulare Winde in jeder der vier Scheiben gebildet wird. Als
Nächstes möchte das Team um Pascucci diese Beobachtungen auf weitere
protoplanetare Scheiben ausweiten, um besser zu verstehen, wie häufig die
beobachteten Scheibenwindstrukturen im Universum vorkommen und wie sie sich
entwickeln. "Wir glauben, dass sie weitverbreitet sein könnten, aber bei vier
Objekten ist das schwer zu sagen", erläutert Pascucci. "Wir wollen mit dem JWST
eine größere Stichprobe erhalten und dann auch sehen, ob wir Veränderungen in
diesen Winden feststellen können, wenn sich Sterne bilden und Planeten
entstehen."
Über die Beobachtungen berichtet das Team in einem Fachartikel, der in der
Zeitschrift Nature Astronomy erschienen ist.
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