Begleiter des Asteroiden Dinkinesh ist Doppelmond
Redaktion
/ Pressemitteilung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt astronews.com
31. Mai 2024
Beim Vorüberflug der Sonde Lucy am Asteroiden Dinkinesh wurde nicht nur
ein bislang unbekannter Begleiter entdeckt, sondern auch, dass es sich bei diesem
um einen Kontakt-Binärkörper handelt. Erste Analysen der bei dem Vorüberflug
gewonnenen Daten lieferten jetzt ein Entstehungsszenario für das ungewöhnliche
System.
![Dinkinesh](../../../bilder/2024/2405-021.jpg)
Am 1. November 2023 flog die NASA-Raumsonde
Lucy in 431 Kilometer Entfernung am Asteroiden Dinkinesh
vorbei. Hinter dem nur 720 Meter großen Hauptgürtelasteroiden
tauchte in den ersten auf der Erde empfangenen Bilddaten
hinter dem Horizont von Dinkinesh ein Trabant auf (großes
Bild). Die eigentliche Überraschung kam jedoch mit Aufnahmen,
die beim Abflug von Dinkinesh entstanden: Der Trabant ist ein
Doppelkörper, ein sogenannter Kontakt-Binärasteroid, dessen
beiden 210 und 230 Meter großen Teilkörper miteinander
verbunden sind, sich um einen gemeinsamen Schwerpunkt drehen
und dabei Dinkinesh umkreisen (kleines Bild).
Bild: NASA / Goddard / SwRI / Johns Hopkins
APL / NOIRLab [Großansicht] |
Erst eine kleine und dann sogar noch eine große Überraschung: Als nach dem
Vorbeiflug der NASA-Raumsonde Lucy am kleinen Asteroiden Dinkinesh am
1. November 2023 die ersten Bilder zur Erde übertragen waren, tauchte hinter dem
720 Meter großen Asteroiden ein Mond auf (astronews.com berichtete). Zwar hatte
das Wissenschaftsteam vorab die Möglichkeit gesehen, dass Dinkinesh einen
Begleiter haben könnte, denn die mit irdischen Teleskopen aufgezeichneten
Lichtkurven zeigten eine Unregelmäßigkeit, die darauf hindeutete. Doch nun war
der Trabant real.
Dann kamen noch mehr Fotos und bei deren Betrachtung war das Erstaunen groß:
Der Dinkinesh-Mond besteht aus zwei Teilen, er ist ein sogenannter
Kontakt-Binärkörper, im Englischen contact binary. Die beiden sich berührenden
Trabanten haben Durchmesser von 210 und 230 Metern und umkreisen Dinkinesh
während knapp 53 Stunden in 3,1 Kilometer Entfernung.
"Das Lucy-Wissenschaftsteam sammelt seit Januar 2023 Daten über Dinkinesh
mithilfe von Teleskopen. Zu diesem Zeitpunkt wurde Dinkinesh zu unserer Liste
der Ziele hinzugefügt", sagte Simone Marchi, stellvertretender Leiter des
Lucy-Wissenschaftsteams am Southwest Reasearch Institute in Boulder im
US-Bundesstaat Colorado. "Wir dachten dank der Teleskopdaten, wir hätten ein
recht gutes Bild davon, wie Dinkinesh aussehen würde. Aber dann waren wir
begeistert, so viele unerwartete Entdeckungen zu machen!"
Der Begleiter von Dinkinesh trägt inzwischen den von der Internationalen
Astronomischen Union (IAU) auf Vorschlag des Lucy-Teams verliehenen Namen
(152830) Dinkinesh I Selam. "Es ist das erste Mal, dass eine solche
Konstellation beobachtet wurde", freut sich Dr. Stefano Mottola vom Institut für
Planetenforschung am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), Mitglied
des Lucy-Wissenschaftsteams. Gemeinsam mit Frank Preusker, ebenfalls vom
DLR-Institut für Planetenforschung, ist er für die photogrammetrische Auswertung
der Bilddaten und der Berechnung von digitalen Geländemodellen zur Bestimmung
der Form der drei beobachteten Körper zuständig.
In Vorbereitung des Vorbeiflugs beschäftigte sich Mottola intensiv mit den
Lichtkurven des um seine Achse rotierenden und dabei das Sonnenlicht
unterschiedlich stark reflektierenden Asteroiden. "Der Verlauf dieser
Lichtkurven war für einen normal rotierenden Körper ungewöhnlich", so Mottola.
"Ein Begleiter von Dinkinesh war deshalb denkbar. Aber dass es ein Doppelkörper,
ein 'contact binary' sein würde, hat uns total überrascht".
Lucy ist eine Mission im Discovery-Programm der NASA, die am 16.
Oktober 2021 gestartet ist. Ihr Hauptziel sind Asteroiden auf der Jupiterbahn,
sogenannte Trojaner, die dem Planeten an zwei Librations- oder Lagrangepunkten
60 Winkelgrad vorauseilen beziehungsweise nachfolgen. Mehrere davon werden
zunächst 2027 und 2028 untersucht werden, und noch einmal ab 2033 beobachtet
werden. Die Mission ist nach einem drei Millionen Jahre alten fossilen Skelett
eines Urmenschen benannt, das 1974 in Äthiopien ausgegraben wurde.
Ursprünglich war 2023 kein Asteroiden-Vorbeiflug geplant. Doch Dr. Raphael
Marschall, Mitglied im Lucy-Team, suchte intensiv nach einer
Vorbeifluggelegenheit im inneren Asteroiden-Hauptgürtel und war im Januar 2023
erfolgreich. Der damals noch als 1998 VD 57 bezeichnete Asteroid erhielt im
gleichen Jahr den Amharischen Namen Dinkinesh ("Du bist fabelhaft") und würde
mit geringen Bahnänderungen einen Nahvorbeiflug in 431 Kilometer Distanz
ermöglichen. Vor allem konnte er in einer Fluggeometrie erfolgen, die ähnlich
den geplanten Asteroiden-Vorbeiflügen während der eigentlichen Mission bei den
Trojanern des Jupiter sein würde. Das eröffnete die Möglichkeit, das
Terminal-Tracking-System zu testen, also die finale, autonome Erfassung der
Entfernung zu den Asteroiden und dadurch ein optimales Zielen darauf. Außerdem
konnten die Instrumente von Lucy einem echten experimentellen Test
unterzogen werden.
Sowohl die wissenschaftlichen als auch die technischen Ziele wurden
vollumfänglich erreicht. Der Vorbeiflug mit Lucy erfolgte in einer
Geschwindigkeit von 4,5 Kilometern pro Sekunde relativ zu Dinkinesh in einer
Erdentfernung von rund 470 Millionen Kilometern. Wegen der langen Datenlaufzeit
zur Erde von 26 Minuten war eine Steuerung der Manöver in Echtzeit nicht
möglich. Alle Abläufe wurden zuvor programmiert und liefen vollautomatisch ab.
Die mit der L’LORRI-Kamera aufgenommenen 48 Bilder zeigen Details von 10 bis 2,2
Metern pro Bildpunkt (Pixel).
Dinkinesh präsentiert sich darauf als überraschend komplexer Kleinkörper. Am
auffallendsten ist eine Furche, die sich auf der fotografierten Seite Dinkineshs
zu beiden Seiten des Äquators in Richtung der Pole erstreckt, sowie ein
wulstartiger Bergrücken entlang des Äquators. Der längliche Trog wird als
sichtbarer Beweis für den Ursprung der begleitenden Binärkörper interpretiert.
Das Material, das dort fehlt, wurde bei einem strukturellen Bruch von Dinkinesh
herausgerissen, bildete zunächst einen Ring um den Planetoiden, aus dem die
beiden Teilkörper von Selam entstanden. Die Ausbeulung entlang des Äquators
könnte durch übriges Material entstanden sein, das aus dem Ring zurückgefallen
ist.
Das Lucy-Team diskutiert in der jetzt erschienenen Publikation aber auch
Varianten dieses Szenarios. Allen Interpretationen liegt ein besonderer Effekt
zugrunde, der bei kleinen Asteroiden von weniger als fünf Kilometer Durchmesser
eine interessante Rolle spielt: der sogenannte YORP-Effekt. Er ist benannt nach
den Anfangsbuchstaben der Wissenschaftler Yarkovsky, O’Keefe, Radzievskii und
Paddack, die das Konzept vorhergesagt, berechnet und später auch gemessen und
bewiesen haben: Sonnenlicht erwärmt die Oberfläche und regt damit das Emittieren
von Wärmestrahlung an. Die Photonen der – auch noch in der "Asteroidennacht" –
emittierten Infrarotstrahlung üben trotz winzigster Masse ein kleines Momentum
auf eine Oberfläche aus, was über viele Jahrmillionen Veränderungen bei der
Orientierung der Rotationsachse und/oder der Rotationsgeschwindigkeit bewirkt.
Dem YORP-Effekt wird eine bedeutende Rolle bei der Entstehung von Begleitern
kleiner Asteroiden beigemessen – wie es auch bei der Entstehung von Selam der
Fall gewesen sein könnte.
Dinkinesh gehört zur Klasse der S-Typ-Asteroiden, die im Vergleich zu den
viel häufigeren, kohlenstoffreichen C-Typ-Asteroiden einen deutlich höheren
Anteil an eisen- und magnesiumhaltigen Silikatmineralen haben. Etwa 17 Prozent
aller Asteroiden gehören dem Typ S an. Sie sind im inneren Teil des
Asteroidengürtels, in etwa einhundert Millionen Kilometern jenseits der Bahn des
Planeten Mars, dominant und mit zunehmender Sonnentfernung seltener anzutreffen.
Asteroiden vom Typ S haben eine relativ hohe Dichte von durchschnittlich drei
Gramm pro Kubikzentimeter. Die Dichte von Dinkinesh wurde auf 2,4 Gramm pro
Kubikzentimeter berechnet, was darauf hindeutet, dass der Asteroid porös ist und
zwischen seinen Partikeln Lücken von bis zu einem Viertel des Gesamtvolumens
hat.
Die Ergebnisse des Lucy-Vorbeiflugs wurden jetzt im Wissenschaftsmagazin
Nature veröffentlicht.
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