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GRAVITATIONSWELLEN
Verschmelzung mit sehr massearmen Schwarzen Loch?
Redaktion / Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut)
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8. April 2024

Mit GW230529 registrierte der LIGO-Livingston-Detektor am 29. Mai 2023 ein ungewöhnliches Gravitationswellensignal, das von der Verschmelzung eines Neutronensterns mit einem unbekannten kompakten Objekt stammt. Vermutlich handelt es sich dabei um ein ungewöhnlich massearmes Schwarzes Loch, das sich direkt in der sogenannten "unteren Massenlücke" befindet.

Gravitationswellen

Ein Schwarzes Loch im Bereich der unteren Massenlücke (dunkelgraue Oberfläche) und ein Neutronenstern (orange Kugel) umkreisen einander auf immer enger werdenden Bahnen. Die dabei abgestrahlten Gravitationswellen sind mit Farben von dunkelblau bis cyan dargestellt. Bild: I. Markin (Universität Potsdam), T. Dietrich (Universität Potsdam und Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik), H. Pfeiffer, A. Buonanno (Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik) [Großansicht]

Seit rund 30 Jahren diskutieren Forschende, ob es eine Massenlücke, gibt, die die schwersten Neutronensterne von den leichtesten Schwarzen Löchern trennt. Nun haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der LIGO-Virgo-KAGRA-Kollaborationen erstmals ein Objekt gefunden, dessen Masse genau in diesen für weitgehend leer gehaltenen Bereich fällt. "Dies sind sehr aufregende Zeiten für die Gravitationswellenforschung: Wir stoßen in Bereiche vor, die unser theoretisches Verständnis astrophysikalischer Phänomene, die durch die Gravitation bestimmt werden, verändern dürften", sagt Alessandra Buonanno, Direktorin am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik im Potsdam Science Park.

Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie sagt voraus, dass Neutronensterne leichter sind als das Dreifache der Masse unserer Sonne. Der genaue Wert für die maximale Masse, die ein Neutronenstern haben kann, bevor er zu einem Schwarzen Loch kollabiert, ist jedoch unbekannt. "Angesichts von Beobachtungen im elektromagnetischen Spektrum und unseres derzeitigen Verständnisses der Sternentwicklung hätte man erwartet, dass es nur sehr wenige Schwarze Löcher oder Neutronensterne im Bereich von drei bis fünf Sonnenmassen gibt. Die Masse eines der jetzt entdeckten Objekte fällt jedoch genau in diesen Bereich", ergänzt Buonanno. In den vergangenen Jahren wurden einige Objekte entdeckt, deren Massen möglicherweise in diese schwer fassbare Lücke fallen. Im Fall von GW190814 haben LIGO und Virgo ein Objekt am unteren Ende des Massenspektrums entdeckt. Das nun mit dem Gravitationswellen-Signal GW230529 entdeckte kompakte Objekt ist jedoch das erste, dessen Masse eindeutig in der Lücke liegt.

Der sehr erfolgreiche dritte Beobachtungslauf der Gravitationswellen-Detektoren endete im Frühjahr 2020 und erhöhte die Zahl der bekannten Gravitationswellen-Ereignisse auf 90. Bis zum Beginn des vierten Beobachtungslauf O4 am 24. Mai 2023 führten die LVK-Forschenden verschiedene Upgrades an den Detektoren durch, um deren Empfindlichkeit zu erhöhen. Aber nicht nur die Hardware wurde verbessert: Der neue Beobachtungslauf nutzte die Vorteile einer effizienten Infrastruktur zur Berechnung der Wellenformen. Auch Genauigkeit, Geschwindigkeit und physikalischer Inhalt der am AEI Potsdam entwickelten Wellenformmodelle wurden verbessert, so dass sich die Eigenschaften der Schwarzen Löcher innerhalb weniger Tage bestimmen lassen.

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Bereits fünf Tage nach dem Start von O4 wurde es richtig spannend: Am 29. Mai 2023 beobachtete der LIGO-Livingston-Detektor eine Gravitationswelle, die innerhalb weniger Minuten als Signalkandidat "S230529ay" veröffentlicht wurde. Das Ergebnis dieser nahezu in Echtzeit mit Empfangen des Signals ablaufenden "Online-Analyse": Mit hoher Wahrscheinlichkeit sind rund 650 Millionen Lichtjahre von der Erde entfernt ein Neutronenstern und ein Schwarzes Loch miteinander verschmolzen. Wo genau die Verschmelzung stattfand, lässt sich jedoch nicht sagen, da zum Zeitpunkt des Signals nur ein Gravitationswellen-Detektor wissenschaftliche Daten aufzeichnete. Daher konnte die Richtung, aus der die Gravitationswellen kamen, nicht bestimmt werden.

Die LVK-Forschenden stellten sicher, dass das Signal keine lokale Störung im LIGO-Livingston-Detektor war, sondern tatsächlich aus den Tiefen des Weltalls kam. "Dafür untersuchten wir unter anderem alle Störsignale und zufälligen Schwankungen des Detektorrauschens, die schwachen Signalen ähneln", erklärt Frank Ohme, Leiter einer Max-Planck-Forschungsgruppe am AEI Hannover. "GW230529 hebt sich deutlich von diesem Hintergrund ab und wurde mit mehreren unabhängigen Suchmethoden übereinstimmend entdeckt. Dies spricht eindeutig für einen astrophysikalischen Ursprung des Signals."

Auch anhand von GW230529 überprüften die Forschenden den Gültigkeitsbereich von Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie. "GW230529 stimmt genau mit den Vorhersagen von Einsteins Theorie überein", sagt Elise Sänger, Doktorandin am AEI Potsdam, die an der Untersuchung beteiligt war. "Mit diesem Signal haben wir einige der bisher stärksten Einschränkungen alternativer Gravitationstheorien durch Gravitationswellenereignisse der LIGO-Virgo-KAGRA Kollaborationen erhalten."

Um die Eigenschaften der Objekte zu bestimmen, die sich umrundeten, miteinander verschmolzen und dabei das Gravitationswellen-Signal erzeugten, verglich das Team die Daten des LIGO-Livingston-Detektors mit zwei verschiedenen hochmodernen Wellenformmodellen. "Die Modelle berücksichtigen eine Reihe relativistischer Effekte, um sicherzustellen, dass das resultierende Signalmodell so realistisch und umfassend wie möglich ist, was den Vergleich mit Beobachtungsdaten erleichtert“, sagt Héctor Estellés Estrella, ein Postdoktorand im Team des AEI Potsdam, der eines der Modelle entwickelt hat. "Unter anderem kann unser Wellenformmodell Schwarze Löcher genau beschreiben, die mit einem Bruchteil der Lichtgeschwindigkeit in der Raumzeit herumwirbeln und dabei Gravitationswellen über mehrere Harmonische aussenden", fügt Lorenzo Pompili hinzu, ein Doktorand am AEI Potsdam, der das Modell mitentwickelt hat.

GW230529 stammt aus der Verschmelzung eines kompakten Objekts mit der 1,3- bis 2,1-fachen Masse unserer Sonne mit einem weiteren kompakten Objekt mit der 2,6- bis 4,7-fachen Sonnenmasse. Ob es sich bei den beteiligten kompakten Objekten um Neutronensterne oder Schwarze Löcher handelt, lässt sich allein aus der Gravitationswellen-Analyse nicht mit Sicherheit ableiten. Aufgrund aller bekannten Eigenschaften des Doppelsystems geht das LVK-Team jedoch davon aus, dass das leichtere Objekt ein Neutronenstern und das schwerere ein Schwarzes Loch ist. Die Masse des schwereren Objekts liegt damit sicher in der Massenlücke, die bisher als weitgehend leer galt. Bei keinem der bisherigen Kandidaten für Objekte in diesem Massenbereich waren sich die Forschenden dessen so sicher.

Von den bislang beobachteten Verschmelzungen von Neutronensternen mit Schwarzen Löchern ist GW230529 diejenige, bei der sich die Massen der beiden Objekte am wenigsten unterscheiden. Tim Dietrich, Professor an der Universität Potsdam und Leiter einer Max-Planck-Fellow-Gruppe am AEI Potsdam erklärt: "Falls das Schwarze Loch deutlich schwerer als der Neutronenstern ist, bleibt nach der Verschmelzung keine Materie außerhalb des Schwarzen Lochs zurück, und es wird keine elektromagnetische Strahlung ausgesandt. Leichtere Schwarze Löcher dagegen können den Neutronenstern mit ihren stärkeren Gezeitenkräften zerreißen und dabei Materie herausschleudern, die als Kilonova oder Gammastrahlenblitz aufleuchten kann."

Die Beobachtung eines so ungewöhnlichen Systems kurz nach dem Beginn von O4 lässt auch weitere Beobachtungen ähnlicher Signale erwarten. Die LVK-Forschenden haben berechnet, wie häufig solche Paare miteinander verschmelzen und fanden, dass diese Ereignisse mindestens so häufig auftreten wie die bisher beobachteten Verschmelzungen von Neutronensternen mit schwereren Schwarzen Löchern. Daher sollte auch ein Nachleuchten im elektromagnetischen Spektrum häufiger zu beobachten sein als bisher angenommen.

Wie das schwerere kompakte Objekt – höchstwahrscheinlich ein leichtes Schwarzes Loch – im Doppelsystem, das GW230529 ausgesendet hat, entstanden ist, können die LVK-Forschenden nur vermuten. Für ein direktes Produkt einer Supernova ist es zu leicht. Denkbar – aber unwahrscheinlich – ist, dass es bei einer Supernova entstanden ist, bei der in der Explosion herausgeschleudertes und dann zurückfallendes Material das neu entstandene Schwarze Loch wachsen lässt. Noch unwahrscheinlicher ist es, dass das Schwarze Loch durch die Verschmelzung zweier Neutronensterne entstanden ist. Auch ein Ursprung als primordiales Schwarzes Loch in der Frühzeit des Universums ist möglich, aber nicht sehr wahrscheinlich. Nicht ganz ausschließen können die Forschenden allerdings, dass es sich bei dem schwereren Objekt nicht um ein leichtes Schwarzen Loch, sondern um einen extrem schweren Neutronenstern handelt.

Bislang wurden in O4a, der ersten Hälfte des vierten Beobachtungslaufs, insgesamt 81 wahrscheinliche Signale identifiziert. GW230529 ist das erste davon, das nun nach eingehender Untersuchung veröffentlicht wurde. Nach einer mehrwöchigen Unterbrechung von O4 für Installations- und Inbetriebnahmearbeiten und einen anschließenden Testlauf beginnt am 10. April, O4b, die zweite Hälfte von O4. Beide LIGO-Detektoren, Virgo und GEO600 werden ab sofort an O4b teilnehmen.

Während der Beobachtungslauf weitergeht, werten die LVK-Forschenden bereits alle in O4a gewonnenen Beobachtungsdaten aus und überprüfen die verbleibenden 80 bereits identifizierten Signalkandidaten. Die Empfindlichkeit der Detektoren sollte nach der Unterbrechung noch einmal leicht höher sein. Bis zum Ende des vierten Beobachtungslaufs im Februar 2025 wird daher voraussichtlich eine ähnliche Anzahl neuer Kandidaten hinzukommen und die Gesamtzahl der beobachteten Gravitationswellen-Signale bald 200 überschreiten.

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Gravitationswellen durch Verschmelzung von Neutronenstern mit mit sehr massearmen Schwarzen Loch? Diskutieren Sie mit anderen Lesern im astronews.com Forum.
siehe auch
Gravitationswellen: Neuer Beobachtungslauf mit empfindlicheren Detektoren vor dem Start - 19. Mai 2023
Links im WWW
The LIGO Scientific Collaboration, the Virgo Collaboration, the KAGRA Collaboration (2024): Observation of Gravitational Waves from the Coalescence of a 2.5 - 4.5 M_sun Compact Object and a Neutron Star, arXiv.org-Preprint
Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik
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