Wanderung von Sub-Neptunen könnte Exoplaneten-Lücke erklären
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Astronomie astronews.com
12. Februar 2024
Die ominöse Lücke in der Größenverteilung von Exoplaneten
bei etwa zwei Erdradien könnte sich durch die Wanderung von eisigen, sogenannten
Sub-Neptunen in die Innenbereiche ihrer Planetensysteme und den Verlust der
Gashülle von kleineren Gesteinsplaneten erklären. Das ergaben jetzt neue,
detailliertere Computersimulationen.
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Künstlerische Darstellung eines Exoplaneten,
dessen Wassereis an der Oberfläche während seiner Annäherung
an den Zentralstern des Planetensystems zunehmend verdampft
und eine Atmosphäre ausbildet. Dadurch erhöht sich der
gemessene Planetenradius gegenüber dem Wert, den der Planet an
seinem Entstehungsort hätte.
Bild: Thomas Müller (MPIA) [Großansicht] |
Gewöhnlich befinden sich Planeten in entwickelten Planetensystemen, wie dem
Sonnensystem, auf stabilen Bahnen um ihren Zentralstern. Viele Anzeichen lassen
jedoch vermuten, dass einige von ihnen in ihren frühen Entwicklungsphasen ihre
Geburtsstätten verlassen und nach innen und außen wandern können. Diese
Migration von Planeten könnte zudem eine Beobachtung erklären, die Forschende
seit einigen Jahren beschäftigt: die vergleichsweise geringe Anzahl von
Exoplaneten mit Größen von etwa zwei Erdradien. Dieses Phänomen wird als
Radiuslücke bezeichnet. Vergleichsweise viele Exoplaneten fallen dagegen
entweder kleiner oder größer aus.
"Die Neuauswertung der Daten des Weltraumteleskops Kepler vor sechs
Jahren ergaben einen Mangel an Exoplaneten mit Größen von rund zwei Erdradien",
schildert Remo Burn, Exoplanetenforscher am Max-Planck-Institut für Astronomie
(MPIA) in Heidelberg. "Tatsächlich haben wir – wie auch andere Forschungsgruppen
– auf Grundlage unserer Berechnungen schon vor dieser Beobachtung vorausgesagt,
dass es solch eine Lücke geben muss", erläutert Christoph Mordasini, Mitglied
des Nationalen Forschungsschwerpunkts (NFS) PlanetS in der Schweiz und Leiter
der Abteilung für Weltraumforschung und Planetologie an der Universität Bern.
Diese Vorhersage stammt aus seiner Zeit als Wissenschaftler am MPIA, das bereits
viele Jahre lang gemeinsam mit der Universität Bern auf diesem Feld forscht.
Der am häufigsten genannte Mechanismus, der die Entstehung einer solchen
Lücke erklären könnte, beruht darauf, dass Planeten durch die Einstrahlung des
Zentralsterns einen Teil ihrer ursprünglichen Atmosphäre verlieren können –
darunter besonders flüchtige Gase wie Wasserstoff und Helium. "Allerdings
vernachlässigt diese Vorstellung den Einfluss der Migration von Planeten",
wendet Burn ein. Dass sich Planeten unter bestimmten Bedingungen im Laufe der
Zeit durch Planetensysteme nach innen und außen bewegen können, ist bereits seit
etwa 40 Jahren etabliert. Die Effektivität der Migration und ihr Einfluss auf
die Entwicklung von Planetensystemen bestimmen die Ausbildung dieser
Radiuslücke.
Der Größenbereich rund um die Lücke wird von zwei verschiedenen Arten von
Exoplaneten bevölkert. Einerseits gibt es Gesteinsplaneten, die massereicher als
die Erde sein können und deswegen Super-Erden genannt werden. Andererseits
finden Astronominnen und Astronomen in fernen Planetensystemen vermehrt
sogenannte Sub-Neptune (auch Mini-Neptune), die im Durchschnitt etwas größer als
die Super-Erden sind. "Diesen Planetentypen kennen wir im Sonnensystem
allerdings nicht", erläutert Burn. "Auch deswegen wissen wir selbst heute nicht
genau, wie sie aufgebaut sind und woraus sie bestehen." Allenfalls ist allgemein
akzeptiert, dass diese Planeten deutlich ausgedehntere Atmosphären als die
Gesteinsplaneten besitzen. Dementsprechend unsicher war bisher die Vorstellung
darüber, inwiefern die Eigenschaften dieser Sub-Neptune zur Radiuslücke
betragen. Wäre die Lücke sogar ein Hinweis dafür, dass die beiden Planetentypen
auf unterschiedliche Weise entstehen?
"Auf der Grundlage von Simulationen, die wir bereits 2020
veröffentlicht haben, zeigen und bestätigen die neuesten Ergebnisse, dass
stattdessen die Entwicklung von Sub-Neptunen nach ihrer Geburt erheblich zu der
beobachteten Radiuslücke beiträgt", folgert Julia Venturini von der Universität
Genf. Sie ist Mitglied der oben erwähnten PlanetS-Kollaboration und leitete die
2020er-Studie. In den eisigen Regionen ihrer Geburtsorte, in denen die Planeten
nur wenig wärmende Strahlung vom Stern erhalten, sollten die Sub-Neptune
tatsächlich Größen aufweisen, die in der beobachteten Verteilung fehlen.
Wenn diese vermutlich vereisten Planeten näher an den Stern heranrücken, taut
das Eis auf und bildet schließlich eine dicke Wasserdampfatmosphäre. Dieser
Prozess führt zu einer Verschiebung der Planetenradien zu größeren Werten. Denn
die Beobachtungen, die zur Messung der Planetenradien verwendet werden, können
nicht unterscheiden, ob die ermittelte Größe allein auf den festen Teil des
Planeten oder zusätzlich auf eine dichte Atmosphäre zurückzuführen ist.
Gleichzeitig "schrumpfen" Gesteinsplaneten, wie bereits in der bisherigen
Vorstellung angedeutet, durch den Verlust ihrer Atmosphäre. Insgesamt führen
also beide Mechanismen zu einem Mangel an Planeten mit Größen um zwei Erdradien.
"Die theoretische Forschung der Bern-Heidelberg-Gruppe hat bereits in der
Vergangenheit maßgeblich das Verständnis über die Bildung und Zusammensetzung
von Planetensystemen vorangebracht", erläutert MPIA-Direktor Thomas Henning.
"Die aktuelle Studie ist daher das Ergebnis einer langjährigen gemeinsamen
Vorarbeit und ständigen Verbesserungen der physikalischen Modelle." Die
Ergebnisse folgen aus den Berechnungen physikalischer Modelle, die sowohl die
Entstehung von Planeten als auch ihre nachfolgende Entwicklung nachvollziehen.
Sie beinhalten unter anderem die Vorgänge in den Scheiben aus Gas und Staub, die
die jungen Sterne umringen und neue Planeten hervorbringen. Auch die Ausbildung
von Atmosphären, die Mischung von verschiedenen Gasen darin und die Migration in
radialer Richtung sind darin erfasst.
"Von zentraler Bedeutung waren in dieser Studie die Eigenschaften von Wasser
bei Drücken und Temperaturen, wie sie im Inneren von Planeten und in deren
Atmosphären auftreten", erklärt Burn. Für die Simulationen ist es wichtig zu
wissen, wie sich das Wasser über einen großen Bereich von Drücken und
Temperaturen verhält. Diese Kenntnis existiert in ausreichender Güte erst seit
wenigen Jahren und trug in den Simulationen dazu bei, das Verhalten der
Sub-Neptune realistisch zu berechnen. Erst diese Zutat führte in den
Berechnungen zur Ausprägung von ausgedehnten Atmosphären in warmen Gefilden.
"Es ist bemerkenswert, wie, so wie in diesem Fall, physikalische
Eigenschaften auf molekularer Ebene astronomische Prozesse im großen Maßstab,
wie die Bildung von Planetenatmosphären, beeinflussen", fügt Henning hinzu.
"Würde man unsere Ergebnisse auf kühlere Regionen ausdehnen, in denen Wasser
flüssig ist, könnte das auf die Existenz von Wasserwelten mit tiefen Ozeanen
hindeuten", mutmaßt Mordasini. "Solche Planeten könnten also Leben beherbergen
und wären wegen ihrer Größe vergleichsweise einfache Ziele, um nach Biomarkern
zu suchen."
Allerdings ist die aktuelle Arbeit nur ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg
zur Klärung des Rätsels: Obwohl nämlich die simulierte Größenverteilung der
beobachteten sehr nahe kommt und die Radiuslücke an der richtigen Stelle hat,
weisen die Details noch einige Ungereimtheiten auf. So landen in den
Berechnungen zu viele von diesen Eisplaneten zu nahe am Zentralstern. Die
Forschenden begreifen diesem Umstand jedoch keineswegs als Nachteil, sondern
hoffen, auf diese Weise mehr über die Wanderung der Planeten zu lernen.
Helfen können dabei auch Beobachtungen mit Teleskopen wie dem
Weltraumteleskop James Webb oder dem im Bau befindlichen Extremely
Large Telescope (ELT). Sie wären in der Lage, die Zusammensetzung der
Planeten abhängig von ihrer Größe zu ermitteln und somit einen Test für die hier
beschriebenen Simulationen zu liefern.
Die Ergebnisse der Simulationen wurden in einem Fachartikel veröffentlicht,
der in Nature Astronomy erschienen ist.
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