Parallele Auswertung unterschiedlicher Signale einer
Neutronensternverschmelzung
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung des Universität Potsdam astronews.com
27. Dezember 2023
Ein internationales Forschungsteam hat eine Methode
entwickelt, um die meisten beobachtbaren Signale im Zusammenhang mit
Neutronensternverschmelzungen gleichzeitig zu untersuchen. Damit gelang es zum
ersten Mal alle Beobachtungen rund um das Gravitationswellenereignis vom 17.
August 2017 parallel zu modellieren und zu interpretieren.
Numerische Simulation des entstehenden
Auswurfmaterials zweier verschmelzender Neutronensterne. Rote
Farben beziehen sich auf ausgeworfenes Material mit einem
hohen Anteil an Neutronen, wohingegen blaues Material einen
hohen Anteil an Protonen enthält.
Bild: Ivan Markin / Universität Potsdam [Großansicht] |
"Unsere neue Methode wird dabei helfen, die Eigenschaften von Materie bei
extremen Dichten zu untersuchen. Außerdem ermöglicht sie ein genaueres
Verständnis davon, wie sich das Universum ausdehnt, und von der Art und Weise,
wie und in welchem Ausmaß die schweren Elemente bei Neutronensternkollisionen
entstehen", erklärt Tim Dietrich, Professor an der Universität Potsdam und
Leiter einer Max-Planck-Fellow-Gruppe am Max-Planck-Institut für
Gravitationsphysik.
Ein Neutronenstern ist ein extrem dichtes astrophysikalisches Objekt, das am
Ende der Lebensdauer massereicher Sterne bei einer Supernova-Explosion entsteht.
Ähnlich wie andere kompakte Objekte kreisen einige Neutronensterne in
Doppelsternsystemen umeinander. Durch das kontinuierliche Aussenden von
Gravitationswellen – kleinen Störungen im Gefüge der Raumzeit – verlieren sie
Energie und stoßen schließlich zusammen. Solche Verschmelzungen ermöglichen es
den Forschenden, physikalische Prinzipien unter den extremsten Bedingungen im
Universum zu untersuchen. So führen die Bedingungen dieser hochenergetischen
Kollisionen zur Entstehung schwerer Elemente, wie z. B. Gold.
Verschmelzende Neutronensterne sind tatsächlich einzigartige
Untersuchungsobjekte, um die Eigenschaften von Materie bei Dichten zu
erforschen, die weit über denen von Atomkernen liegen. Die neue Methode wurde
auf die erste und bisher einzige Beobachtung eines verschmelzenden
Doppel-Neutronensternsystems angewandt. Bei dieser am 17. August 2017 entdeckten
Verschmelzung hatten die letzten paar tausend Umläufe der Sterne umeinander die
Raumzeit so stark verwirbelt, dass Gravitationswellen entstanden, die von den
terrestrischen Gravitationswellenobservatorien Advanced LIGO und
Advanced Virgo nachgewiesen wurden.
Bei der Verschmelzung der beiden Sterne wurden neu gebildete schwere Elemente
ausgestoßen. Ein Teil dieser Elemente zerfiel radioaktiv, was zu einem Anstieg
der Temperatur führte. Ausgelöst durch diese thermische Strahlung war bis zu
zwei Wochen nach der Kollision ein elektromagnetisches Signal im optischen,
infraroten und ultravioletten Bereich zu beobachten. Außerdem wurde zusätzliches
Material durch einen Gammablitz ausgestoßen, ebenfalls ausgelöst durch die
Kollision der Neutronensterne. Durch die Reaktion der Neutronensternmaterie mit
dem umgebenden Medium wurden Röntgen- und Radiostrahlen erzeugt, die auf einer
Zeitskala von Tagen bis zu Jahren beobachtet werden konnten.
Das neue Tool zur simultanen Auswertung astrophysikalischer Daten aus
verschiedenen Quellen ermöglicht es den Forschenden, alle diese Signale
gleichzeitig zu interpretieren. Zusätzlich können Informationen aus Radio- und
Röntgenbeobachtungen von Neutronensternen (z. B. vom NICER-Teleskop der NASA),
kernphysikalische Berechnungen und sogar Daten aus
Schwerionenkollisionsexperimenten an erdgebundenen Beschleunigern miteinbezogen
werden. "Wir können nun über den bisher üblichen schrittweisen
Kombinationsprozess hinausgehen. Indem wir die Daten zusammenhängend und
gleichzeitig analysieren, erhalten wir präzisere Ergebnisse", sagt Peter T. H.
Pang, Wissenschaftler an der Universität Utrecht, der Hauptentwickler des Codes.
Um die neue Software in den kommenden Jahren weiterzuentwickeln, wurde
Dietrich 2022 mit einem European Research Council Starting Grant in
Höhe von 1,5 Millionen Euro ausgezeichnet. Derzeit führen die
Gravitationswellen-Detektoren ihren vierten wissenschaftlichen Beobachtungslauf
durch. Die nächste Entdeckung einer Verschmelzung von Neutronensternen könnte
täglich erfolgen, und die Forschenden stehen in den Startlöchern, das von ihnen
entwickelte Werkzeug erneut einsetzen zu können.
Die Forschungsergebnisse wurden jetzt in der Fachzeitschrift „Nature
Communications“ veröffentlicht.
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