Zweite Verschmelzung von Neutronensternen?
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik astronews.com
10. Januar 2020
Mit zwei Gravitationswellen-Detektoren wurde
vermutlich das zweite Signal von verschmelzenden Neutronensternen beobachtet. Es
wurde am 25. April 2019 registriert und stammt aus einer Entfernung von etwa 520 Millionen
Lichtjahren. Bei Nachbeobachtungen fand sich keine Quelle des Signals, was auch
an der großen Ungenauigkeit bei der Bestimmung der Ursprungsregion liegen
dürfte.

Numerisch-relativistische Simulation der
Verschmelzung zweier Neutronensterne, die zu dem
am 25. April 2019 gemessenen
Gravitationswellenereignis (GW190425) führte. Das
Bild zeigt das Gravitationswellensignal in den
Farben von rot, gelb, grün, blau mit zunehmender
Stärke und die Dichte der Neutronensterne von
hell bis dunkelblau zwischen 200.000 und 600
Millionen Tonnen pro Kubikzentimeter.
Bild: T. Dietrich (Nikhef), S. Ossokine,
A. Buonanno (Max-Planck-Institut für
Gravitationsphysik), W. Tichy (Florida Atlantic
University) und die CoRe-Kollaboration [Großansicht] |
Das internationale Netzwerk der Gravitationswellen-Detektoren hat
höchstwahrscheinlich sein zweites Signal von verschmelzenden Neutronensternen
beobachtet. Der LIGO-Livingston- und der Virgo-Detektor identifizierten das
Signal mit der Bezeichnung GW190425 am 25. April 2019 als hoch signifikantes
Ereignis. Das Signal kommt aus einer Entfernung von etwa 520 Millionen
Lichtjahren, viermal weiter entfernt als die erste Gravitationswelle von einer
Neutronensternverschmelzung im August 2017. Es wurden keine zur
Gravitationswelle passenden Signale von anderen astronomischen Observatorien
gefunden.
Verschmelzende Neutronensterne sind wahrscheinlichste Erklärung, doch die
Gesamtmasse des Systems ist – verglichen mit bekannten Doppelneutronensternen –
überraschend hoch. Dies könnte an besonderen Entstehungsumständen des Systems
liegen. Es ist auch möglich, dass ein oder beide Objekte leichte Schwarze Löcher
sind, wie man sie zuvor nicht beobachtet hat.
"Verschmelzungen von Doppelneutronensternen gehören zu den interessantesten
Quellen für die Gravitationswellenastronomie", sagt Alessandra Buonanno,
Direktorin am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert
Einstein-Institut, AEI) in Potsdam. "Je mehr solche Ereignisse wir beobachten
und untersuchen, desto mehr erfahren wir über die bisher nur wenig verstandene
innere Struktur und Zusammensetzung von Neutronensternen und über ihre Masse und
wie schnell sie rotieren."
Um 8:18:05 UTC am 25. April 2019 beobachteten sowohl der
LIGO-Livingston-Detektor als auch der Virgo-Detektor das
Gravitationswellensignal GW190425. Der LIGO-Hanford Detektor war zu diesem
Zeitpunkt nicht im Messbetrieb. Eine Echtzeit-Analyse identifizierte das Signal
in den LIGO-Livingston-Daten als lautes Ereignis und ordnete es mit höchster
Wahrscheinlichkeit der Verschmelzung zweier Neutronensterne zu. Eine
Folgeanalyse fand das Ereignis auch als schwaches Signal in den Virgo-Daten.
Der Unterschied in der Stärke der in beiden Detektoren beobachteten
Gravitationswelle ergibt sich aus deren unterschiedlicher Empfindlichkeit: LIGO
Livingston hört jede Neutronensternverschmelzung dreimal so laut wie Virgo. Aus
der Echtzeit-Suchmethode ergab sich, dass ein solches Signal rein zufällig im
Detektorrauschen etwa einmal in 69.000 Jahren entsteht. Das macht die
Wahrscheinlichkeit, dass es sich um ein nicht-astrophysikalisches
Zufallsereignis handelt, sehr gering.
Weitere Analysen bestätigten, dass GW190425 ein Signal mit hoher Signifikanz
ist, das viel lauter ist als alle zufälligen Ereignisse. Innerhalb von 43
Minuten nach dem Ereignis wurde ein öffentlicher Beobachtungshinweis
einschließlich einer vorläufigen Himmelskarte herausgegeben. Da das Signal
hauptsächlich in LIGO-Livingston-Daten und nur schwach in Virgo-Daten
nachgewiesen wurde, ließ sich die Himmelsposition lediglich auf etwa ein Fünftel
des Himmels einschränken (verglichen mit 0,07% des Himmels beim Ereignis im
August 2017). Dennoch wurden fast 120 Nachbeobachtungen durch astronomische
Observatorien durchgeführt. Bis heute hat keine von ihnen ein Gegenstück
identifiziert, wahrscheinlich aufgrund der großen Entfernung zur Quelle und der
unsicheren Himmelsposition.
Wie heute veröffentlicht wurde, zeigte eine weitere tiefergehende Analyse der
LIGO-Livingston- und Virgo-Daten, dass das Signal aus einer Entfernung von
zwischen 290 bis 740 Millionen Lichtjahren stammt und damit zwei bis sechs Mal
weiter entfernt als GW170817 (die erste Beobachtung einer Verschmelzung von zwei
Neutronensternen) ist. Die Masse der einzelnen Komponenten sind mit denen
bekannter Neutronensterne vergleichbar. Die Gesamtmasse des Systems jedoch liegt
zwischen 3,3 und 3,7 Sonnenmassen: im Vergleich zur Population der anderen
bekannten Doppelneutronensterne ist das erstaunlich viel.
AEI-Forscherinnen und -Forscher haben auch bei dieser Entdeckung zu den
Methoden zum Nachweis und zur Analyse von GW190425 beigetragen. Sie haben genaue
Modelle der Gravitationswellen erstellt, die von verschmelzenden
Neutronensternen erwartet werden. Sie beschrieben wie Struktur und
Zusammensetzung der Neutronensterne die Form der Gravitationswellen
beeinflussen, um damit wiederum Informationen über die Eigenschaften der Quelle
zu gewinnen.
GW190425 wurde höchstwahrscheinlich von einem verschmelzender Paar
massereicher Neutronensterne abgestrahlt, aber die Beobachtung von
Gravitationswellen allein kann eine andere Erklärung nicht ausschließen: eines
oder beide der Objekte könnten noch nie zuvor beobachtete Schwarze Löcher
geringer Masse gewesen sein. Diese könnten primordiale Schwarze Löcher sein, die
sich im frühen Universum gebildet haben könnten, schlagen LIGO- und Virgo-Forscherinnen
und -Forscher als exotischere Erklärungsmöglichkeit vor.
"GW190425 könnte der erste Hinweis auf eine neue Population von
Doppelneutronensternen sein, die in extrem engen, kurzperiodischen Systemen
entstehen. Einige theoretische Modelle sagen ihre Existenz vorher, doch für
Radioteleskope, die nach Pulsaren in solchen Systemen suchen, wären sie
praktisch nicht nachweisbar", sagt Frank Ohme, Leiter einer unabhängigen
Max-Planck-Forschungsgruppe am AEI Hannover. Alternativ kann sich das System
auch gebildet haben, wenn in einer engen Sternenbegegnung ein Neutronenstern den
Platz mit einem normalen Stern, der einen Neutronenstern umkreist, getauscht
hat. Eine weitere mögliche Erklärung wäre die Verzerrung des Signals von einem
weit entfernten Doppelneutronensternsystem mit normaler Masse durch eine
Gravitationslinse.
Unter der Annahme, dass GW190425 die zweite Gravitationswellenbeobachtung
einer Neutronensternverschmelzung ist, können die Wissenschaftler*innen ihre
Schätzung dafür aktualisieren, wie oft diese Ereignisse im Universum
stattfinden: Zwischen 250 und 2810 solcher Verschmelzungen finden danach pro
Jahr in einem würfelförmigen Ausschnitt des Universums statt, der 3,3 Milliarden
Lichtjahre an jeder Seite misst.
Diese Entdeckung ist die erste, die aus dem dritten Beobachtungslauf (O3) des
internationalen Netzwerks der Gravitationswellen-Detektoren publiziert wird.
Forschende der drei großen Detektoren (an beiden LIGO-Standorten und bei Virgo)
haben die Detektortechnologie an mehreren Stellen verbessert. "Die großen
Detektoren verwenden nun alle gequetschtes Licht, das in einer Pionierleistung
am deutsch-britischen Detektor GEO600 entwickelt und erprobt wurde", erklärt
Karsten Danzmann, Direktor am AEI Hannover. "Die Upgrades umfassen außerdem eine
Erhöhung der Laserleistung, den Austausch der Endspiegel und die Reduzierung von
Streulicht, was zu erhöhten Messempfindlichkeiten der Detektoren führte."
Diese Verbesserungen haben den durchschnittlichen Abstand, in dem die
Detektoren Neutronensternverschmelzungen beobachten können, deutlich erhöht: von
260 auf 350 Millionen Lichtjahren bei LIGO Hanford, von 330 auf 430 Millionen
Lichtjahren bei LIGO Livingston und von 80 auf 150 Millionen Lichtjahren bei
Virgo. Einzelne Signale können auch in größeren Abständen nachgewiesen werden,
wenn die Quellen günstiger relativ zu den Detektoren ausgerichtet sind.
Das Detektornetzwerk hat in der ersten Hälfte von O3 (1. April bis 30.
September 2019) insgesamt 31 Gravitationswellen-Kandidaten identifiziert. Der
vierte von ihnen ist GW190425. Während die zweite Hälfte des Beobachtungslaufs
am 1. November begonnen hat, untersuchen gleichzeitig LIGO- und Virgo-Wissenschaftlerinnen
und -Wissenschaftler alle Kandidaten.
Die Entdeckung wurde bei der Fachzeitschrift The Astrophysical Journal
eingereicht und Forschende der LIGO-Scientific- und Virgo-Kollaboration
haben gerade in Vorträgen auf dem 235. Treffen der American Astronomical Society
in Honolulu darüber berichtet.
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