Quantenelektrodynamik erneut auf dem Prüfstand
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Kernphysik astronews.com
5. Oktober 2023
Zwar gilt die Quantenelektrodynamik als die am besten
getestete Theorie der gesamten Physik, doch fehlten bislang Messungen unter
extremen Bedingungen. Nun wurde mit dem Experiment Alphatrap der g-Faktor des Elektrons in wasserstoffartigem Zinn
gemessen und damit das
Standardmodell der Teilchenphysik unter extrem hohen elektrischen Feldstärken
bestätigt.
Die ALPHATRAP-Ionenfalle. Foto: MPI für
Kernohysik [Großansicht] |
Die Quantenelektrodynamik ist die am besten getestete Theorie der gesamten
Physik. Sie beschreibt alle elektrischen und magnetischen Wechselwirkungen von
Licht und Materie. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des
Max-Planck-Instituts für Kernphysik in Heidelberg (MPIK) haben jetzt mit
Präzisionsmessungen an ihrem Experiment Alphatrap die magnetischen
Eigenschaften von Elektronen untersucht, die an hochgradig ionisierte Zinn-Atome
gebunden waren. Solche Tests ermöglichen Einblicke in das Verhalten von Teilchen
unter extremen Feldstärken. Außerdem dienen sie als Plattform für die Suche nach
neuer Physik.
Wie die anderen geladenen Elementarteilchen besitzt auch das Elektron ein
magnetisches Moment. Dessen genauer Betrag ist einer der am präzisesten
bekannten Messwerte und befindet sich in hervorragendem Einklang mit den
theoretischen Vorhersagen der Quantenelektrodynamik. Theorie und Experiment sind
zu mehr als zehn Nachkommastellen in Einklang. Allerdings gelten diese Werte nur
für das "freie" Elektron, das keinen externen Feldern unterliegt. Gerade bei
sehr starken Feldern, wie sie in unmittelbarer Nähe von Atomkernen vorliegen,
könnten jedoch neue Faktoren ins Spiel kommen – etwa bislang unbekannte
Elementarteilchen oder Abweichungen von den bekannten Naturgesetzen. Ein
Forschungsteam aus mehreren Arbeitsgruppen am MPIK hat hier nun einen wichtigen
Meilenstein erzielt.
"Es ist uns gelungen, wasserstoffartige Zinn-Ionen zu erzeugen und monatelang
in unserer Alphatrap-Ionenfalle zu speichern", sagt Jonathan Morgner, Doktorand
der Forschungsgruppe von Professor Klaus Blaum. Geleitet wird das Experiment von
Sven Sturm, die Theoriegruppe um Zoltán Harman aus der Abteilung von Christoph
Keitel hat die Berechnungen durchgeführt. Morgner fährt fort: "Dank der langen
Speicherdauer konnten wir das magnetische Moment mit bisher unerreichter
Genauigkeit vermessen."
Wasserstoffartiges Zinn besitzt lediglich ein Elektron in der Hülle – genau
wie herkömmlicher Wasserstoff. Der Atomkern von Zinn weist jedoch 50 Protonen
auf, so dass dieses Element normalerweise auch 50 Elektronen in der Schale hat.
"Wir mussten also zunächst 49 Elektronen entfernen", sagt Morgner. "Dazu haben
wir unsere Elektronenstrahl-Ionenfalle genutzt, die Heidelberg-EBIT, eine Falle
zur Erzeugung hochgeladener Ionen, die von José Crespo López-Urrutia aus der
Abteilung von Thomas Pfeifer entwickelt wurde." In dieser Anlage wird eine Wolke
aus rund 100.000 Zinn-Ionen mit hochenergetischen Elektronen beschossen. Dabei
verlieren die Ionen sukzessive ihre Elektronen. Ein Filtersystem separiert aus
diesen Ionen dann die wenigen aus, die nur noch ein Elektron in der Hülle haben,
und speist diese in die Teilchenfalle des Alphatrap-Experiments ein. Dort werden
dann die magnetischen Eigenschaften der Elektronen vermessen.
Alphatrap ist ein Hochpräzisions-Experiment, dessen Herzstück eine
Penning-Falle ist, in dieser werden geladene Teilchen mit elektromagnetischen
Feldern festgehalten. Außerdem besitzt sie ein kryogenes Vakuumsystem, das
mithilfe tiefer Temperaturen ein extrem gutes Vakuum erzeugt. Das ist notwendig,
weil die hochgeladenen Zinn-Ionen etwaigen Fremdatomen sofort Elektronen
entreißen. Das würde längerfristige Messreihen unmöglich machen. Zudem ist die
Präparation wasserstoffartigen Zinns sehr aufwändig. An den gefangenen
Zinn-Ionen konnten die Forscherinnen und Forscher dann mithilfe eingestrahlter
Mikrowellen den sogenannten g-Faktor des Elektrons messen.
Bei der passenden Frequenz machen die Elektronen in dem angelegten Magnetfeld
in der Falle sogenannte Spin-Flips – also Umorientierung ihrer "Magnetnadel".
Dieser Effekt erlaubt hochgenaue Messungen des g-Faktors, auch "gyromagnetischer
Faktor" genannt. Dies ist ein Maß dafür, wie stark das Magnetfeld des Elektrons
ist. Der dimensionslose Wert des g-Faktors ist ungefähr 2. Der genaue Wert kann
von der Quantenelektrodynamik vorhergesagt werden, und hängt vom Umfeld des
Elektrons ab. Und hier kommen die hochgeladenen Zinn-Ionen ins Spiel. Da sie nur
ein Elektron besitzen, lassen sie sich von der Theorie her ähnlich wie ein
Wasserstoffatom beschreiben. Das vereinfacht die Berechnungen enorm. Allerdings
liegen auf der engen Bahn des Elektrons um den Atomkern aufgrund der hohen
Ladung des Zinnkerns extrem hohe elektrische Felder von rund 1015 Volt pro
Zentimeter vor. Derartige Feldstärken sind um Größenordnungen stärker als das,
was sich heute selbst mit den stärksten Lasersystemen in solchen Experimenten
realisieren lässt.
Damit eignen sich derartige Atomkerne hervorragend, um die
Vorhersagen der Quantenelektrodynamik auch im Hochfeld-Regime, d. h. unter
extremen Bedingungen, zu überprüfen. Die komplizierten Berechnungen zum
Theoriewert des g-Faktors bei starken Feldern liefern etwas weniger präzise
Vorhersagen als beim freien Elektron, aufgrund der zusätzlichen Interaktion mit
dem Atomkern. Der g-Faktor sollte laut Theorie g_theo = 1,910 561 821 (299)
betragen. Der in der Alphatrap-Ionenfalle gemessene experimentelle Wert hat eine
wesentlich höhere Genauigkeit und beträgt g_exp = 1,910 562 059 (1). "Die beiden
Werte sind in sehr guter Übereinstimmung, das ist also eine ausgezeichnete
Bestätigung der Quantenelektrodynamik", so Morgner. "Unser bisheriges
Verständnis von Physik funktioniert also auch bei solch extremen Feldern."
Bislang waren vergleichbare Messungen des g-Faktors von Elektronen nur bei
deutlich leichteren Elementen wie Silizium durchgeführt worden. Dank der
geglückten Messungen tut sich nun die Möglichkeit auf, auch mit noch schwereren
Ionen zu arbeiten. Wasserstoffartiges Blei oder Uran weisen nochmals ein
wesentlich höheres elektrisches Feld auf als Zinn. Die Heidelberger Anlage wird
deshalb bereits modernisiert, um weitere und noch stärkere fundamentale Tests
der Quantenelektrodynamik zu ermöglichen.
Über die Ergebnisse berichtet das Team in einem Fachartikel, der in der
Zeitschrift Nature erschienen ist.
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