Die Geschichte eines Planeten, den es nicht geben sollte
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung astronews.com
3. Juli 2023
Im Sternbild des Kleinen Bären findet sich ein Planet, den
es nicht geben dürfte: In viel zu geringem Abstand kreist die ferne Welt um
einen roten Riesenstern, der ihn eigentlich hätte verschlucken müssen. Ein
internationales Forschungsteam hat dieses ungewöhnliche Paar nun näher
untersucht und dabei festgestellt: Der Planet war vermutlich nie in Gefahr.
Der Planet Halla könnte einst zwei Sterne umkreist haben,
die, wie hier dargestellt, durch Massentransfer
miteinander wechselwirkten. Durch die
letztendliche Verschmelzung der Sterne wurde
Halla nicht verschluckt, sondern konnte in der
Nähe eines heliumverbrennenden Riesensterns
weiter existieren. Bild: W.
M. Keck Observatory / Adam Makarenko [Großansicht] |
Wenn Sterne, die ähnlich massereich sind wie die Sonne, das Ende ihrer
Lebenszeit erreichen, vollzieht sich eine spektakuläre Verwandlung: Die Fusion
von Wasserstoffatomen in ihrem Kern kommt zum Erliegen und der Stern sackt
zunächst in sich selbst zusammen. Durch den gewaltigen Druck und die Hitze, die
so im Kern entstehen, setzt die Heliumfusion ein. Der nun als Roter Riese
bezeichnete Stern bläht sich auf das bis zu Hundertfache seiner ursprünglichen
Größe auf, bevor er wieder ein wenig zusammenschrumpft. Planeten, die dem
enormen Wachstumsdrang ihres Sterns in die Quere kommen, haben keine Chance. Sie
werden vertilgt. Auch die Erde dürfte dieses Schicksal in ferner Zukunft
ereilen.
Allein der Rote Riese 8 Ursae Minoris, auch Baekdu genannt, und sein Halla
getaufter Planet scheinen dieser gängigen Vorstellung zu trotzen. Dabei war der
Exoplanet bei seiner Entdeckung vor acht Jahren durch ein südkoreanisches
Forscherteam zunächst keineswegs als bemerkenswert aufgefallen. Da die damaligen
Messungen am Bohyunsan Optical Astronomy Observatory nicht erlaubten,
den Entwicklungszustand des Sterns mit Sicherheit zu bestimmen, überraschte die
enge Umlaufbahn Hallas nicht. Schließlich hätte es sich bei Baekdu auch um einen
Stern in der mittleren Lebensphase – und somit von deutlich überschaubarer Größe
– handeln können.
Erst als das Weltraumteleskop TESS (Transiting Survey Satellite) der
amerikanischen Weltraumagentur NASA zwischen 2019 und 2022 genauer hinsah, wurde
es möglich, weitere Eigenschaften des Sterns und seines Begleiters zu bestimmen.
Und auch das W.-M.-Keck-Observatorium und das Canada-France-Hawaii-Teleskop auf
dem hawaiianischen Vulkan Mauna Kea richteten ihren Blick auf den Sonderling.
Die Auswertungen dieser Daten zeichnen das Bild eines ungewöhnlichen Paars. Der
Stern Baekdu, der im Sternbild Kleiner Bär zu den lichtschwächeren Objekten
zählt und anders als etwa sein "Nachbar" der Polarstern nicht mit bloßem Auge
auszumachen ist, dürfte etwa 1,5-mal so massereich sein wie die Sonne und das
Rote Riesen-Stadium erreicht haben.
Aus diesen und anderen Eigenschaften folgt, dass er zum Höhepunkt seiner
Ausdehnung einen Radius von etwas mehr als hundert Millionen Kilometern erreicht
hat. Danach sackte er wieder etwas zusammen. Sein planetarer Begleiter Halla ist
etwa eineinhalbmal so massereich wie der Jupiter. Auf einer nahezu kreisförmigen
Bahn wandert er in einem Abstand von etwa 75 Millionen Kilometern um seinen
Stern – eigentlich eine Unmöglichkeit.
"Natürlich wollten wir verstehen, wie dieses merkwürdige Planetensystem
entstehen konnte", so Dr. Chen Jiang vom Max-Planck-Instituts für
Sonnensystemforschung (MPS), der an der Studie beteiligt war. Wie konnte der
Planet in solcher Nähe zu einem Roten Riesen überleben? In umfangreichen
Simulationen wogen die Forscherinnen und Forscher verschiedene Möglichkeiten ab.
Wie sich herausstellte, ist die wahrscheinlichste Erklärung, dass es zu einer
überraschenden Wendung der Ereignisse kam – und Halle nie in unmittelbarer
Gefahr war, von ihrem Wirtsstern verschlungen zu werden.
"Wir glauben, dass Baekdu einst ein Doppelstern war", so Jiang. "Wenn sich
ein Partner eines Doppelsterns gegen Ende seiner Lebensdauer ausdehnt, können
beide Sterne verschmelzen. Eine weitere Ausdehnung wird dadurch gestoppt“, fügt
er hinzu. In diesem Fall hätte sich der Rote Riese womöglich gar nicht bis zur
Umlaufbahn seines Planeten aufgebläht. Dieses Szenario stellte das Team am
Computer nach. Dabei modellierten die Forschenden nicht nur den Werdegang beider
Sterne, sondern auch, wie sich dieser Prozess auf umlaufende Planeten auswirken
würde.
Ihre Rechnungen zeigen, dass der neu entstandene Stern Baekdu eine deutlich
geringere Größe erreicht hätte. Den Planeten Halla hätte die Verwandlung seiner
Muttersterne völlig kalt gelassen; auf unveränderter Umlaufbahn würde er weiter
seine Kreise ziehen. Ebenfalls denkbar wäre, dass Halla die Verschmelzung des
Doppelsterns gar nicht miterlebte, sondern durch diesen Prozess erst entstand.
Bei der Vereinigung zweier Sterne können sich rotierende Scheiben aus Staub um
den neuen Stern bilden. Wie im frühen Sonnensystem ballt sich dieser Staub nach
und nach zu Planeten zusammen.
Doppelsterne sind keine Seltenheit. Im Gegenteil: Die meisten Sterne sind
Teil einer solchen Sternenpartnerschaft. Und auch zahlreiche Exoplaneten, die um
Doppelsterne kreisen, sind bereits bekannt. "Es ist anzunehmen, dass Planeten in
engem Abstand um Rote Riese nicht so außergewöhnlich sind, wie gedacht",
schlussfolgert Jiang. Es ist durchaus möglich, dass künftige Weltraummissionen
noch viele solcher Welten entdecken.
Über die Ergebnisse berichtet das Team in einem Fachartikel, der jetzt in der
Zeitschrift Nature erschienen ist.
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