ALPS II beginnt mit empfindlichster Suche nach Axionen
Redaktion
/ Pressemitteilung des Deutschen Elektronen-Synchrotrons astronews.com
25. Mai 2023
Mit einem "Licht-durch-die-Wand-Experiment" ist bei DESY in
Hamburg gestern das weltweit empfindlichste modellunabhängige Experiment für die
Suche nach besonders leichten Teilchen in Betrieb gegangen. Aus diesen
sogenannten Axionen könnte die Dunkle Materie bestehen, deren Partikel sich
bislang jedem experimentellen Nachweis entzogen haben.

Magnetreihe des ALPS-Experiments im HERA-Tunnel: In dieser
Hälfte der Magnete wird intensives Laserlicht
hin- und hergespiegelt, aus dem sich Axionen
formen sollen.
Foto: Marta Mayer / DESY [Großansicht] |
Das rund 250 Meter lange Experiment ALPS (Any Light Particle Search) ist auf
der Suche nach einer besonders leichten Sorte von neuartigen Elementarteilchen.
Mit der Hilfe von vierundzwanzig recycelten supraleitenden Magneten aus dem
HERA-Beschleuniger, intensivem Laserlicht, Präzisionsinterferometrie und
hochempfindlichen Detektoren will das internationale Forschungsteam nach diesen
sogenannten Axionen oder axionartigen Teilchen fahnden.
Diese Teilchen sollen nur extrem schwach mit bekannter Materie reagieren, so
dass sie an Beschleunigerexperimenten nicht gefunden werden können. Daher
verwendet ALPS ein völlig anderes Messprinzip: In einem starken Magnetfeld
könnten sich Lichtteilchen – Photonen– in diese geheimnisumwitterten Teilchen
und wieder zurück in Licht umwandeln. "Die Idee für ein Experiment wie ALPS
existiert schon seit über 30 Jahren. Durch die Nutzung von Komponenten und der
Infrastruktur des ehemaligen HERA-Beschleunigers in Verbindung mit modernsten
Technologien sind wir jetzt erstmals in der Lage, ALPS II in einer
internationalen Kollaboration zu realisieren", sagt Beate Heinemann, Direktorin
für Teilchenphysik bei DESY. Helmut Dosch, Vorsitzender des DESY-Direktoriums,
ergänzt: "DESY hat sich zur Aufgabe gemacht, die Materie in ihrer ganzen
Vielfalt zu entschlüsseln. ALPS II passt damit perfekt in unsere
Forschungsstrategie und stößt dabei vielleicht die Tür zur Dunklen Materie auf."
In einem rund 120 Meter langen Vakuumrohr, das von zwölf in gerader Reihe
aufgestellten HERA-Magneten umschlossen wird, spiegelt das ALPS-Team
hochintensives Laserlicht in einem sogenannten optischen Resonator hin und her.
Sollte sich in dem starken Magnetfeld ein Photon in ein Axion verwandeln, könnte
dieses eine lichtdichte Wand durchqueren, die am Ende dieser Magnetreihe steht.
Hinter dieser Wand steht eine fast gleich aufgebaute Magnetstrecke. In ihr
könnte sich dieses Axion wieder in Licht zurückverwandeln, das durch den
Detektor am Ende aufgefangen wird. Ein zweiter optischer Resonator, der hier
aufgebaut ist, erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass aus einem Axion wieder ein
Lichtteilchen wird, um den Faktor 10.000. Sieht man jetzt also Licht hinter der
Wand, so muss es zwischendurch ein Axion gewesen sein.
"Die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein Photon in ein Axion und wieder
zurückverwandelt, ist allerdings trotz all unserer Techniktricks sehr klein –
vergleichbar damit, dass man gleichzeitig mit 33 Würfeln einen Pasch wirft",
sagt DESY-Forscher Axel Lindner, Projektleiter und Sprecher der
ALPS-Kollaboration. Damit die Messung funktioniert, haben die Forschenden alle
Komponenten des Experiments zur Höchstleistung getrieben. Der Lichtdetektor ist
so empfindlich, dass er ein einzelnes Lichtteilchen pro Tag nachweisen kann.
Auch die Präzision des Spiegelsystems für das Licht ist rekordverdächtig: der
Spiegelabstand darf relativ zur Wellenlänge des Laserlichts höchstens um den
Bruchteil eines Atomdurchmessers variieren. Und die jeweils neun Meter langen
supraleitenden Magnete erzeugen in dem Vakuumrohr ein Magnetfeld von 5,3 Tesla,
mehr als dem 100 000-fachen des Erdmagnetfelds.
Die Magnete stammen aus dem 6,3 Kilometer langen Protonenring des
HERA-Beschleunigers und erfuhren für das ALPS-Projekt ein Upcycling. Das Innere
der ursprünglich gebogenen Magnete wurde extra für das Experiment geradegebogen,
damit mehr Laserlicht in ihnen gespeichert werden kann, die
Sicherheitseinrichtungen für den supraleitenden Betrieb bei minus 269 Grad
Celsius wurden komplett überarbeitet. Vorgeschlagen wurde das Experiment ALPS
von DESY-Theoretiker Andreas Ringwald. Er untermauerte mit seinen Berechnungen
zur Erweiterung des Standardmodells auch die theoretische Motivation für das
Experiment.
"Für ALPS haben Forschende aus der Experimentalphysik und der Theorie sehr
eng zusammengearbeitet", so Ringwald. "Das Ergebnis ist ein Experiment mit einem
einzigartigen Entdeckungspotenzial für Axionen, mit dem wir später vielleicht
sogar nach hochfrequenten Gravitationswellen suchen können."
Die Suche nach den Axionen beginnt zunächst in einem reduzierten
Betriebsmodus, in dem die Suche nach "Untergrundlicht", welches die Anwesenheit
von Axionen vortäuschen könnte, vereinfacht wird. In der zweiten Jahreshälfte
2023 soll das Experiment die volle Sensitivität erreichen. Für 2024 ist dann
eine Verbesserung des Spiegelsystems vorgesehen, außerdem kann später ein
alternatives Lichtdetektorsystem installiert werden. Mit ersten
Veröffentlichungen der Ergebnisse aus ALPS-Messungen rechnen die Forschenden für
das Jahr 2024.
"Selbst wenn wir mit ALPS keine leichten Teilchen finden sollten, werden wir
mit dem Experiment die Ausschlussgrenzen für superleichte Teilchen um den Faktor
1000 verschieben", ist Lindner überzeugt. Insgesamt etwa 30 Forschende haben
sich in der internationalen ALPS-Kollaboration zusammengefunden; sie kommen von
sieben Forschungseinrichtungen: Neben DESY sind das Max-Planck-Institut für
Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut) und das Institut für
Gravitationsphysik der Leibniz Universität in Hannover, die Cardiff University
(Großbritannien), die University of Florida (Gainesville, Florida, USA), die
Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz, die Universität Hamburg und die
University of Southern Denmark (Odense) beteiligt.
Auch für die Zeit nach der Axionensuche haben die Forschenden schon Pläne.
Sie wollen mit ALPS beispielsweise herausfinden, ob ein Magnetfeld die
Ausbreitung des Lichts in Vakuum beeinflusst, wie vor Jahrzehnten von Euler und
Heisenberg vorhergesagt. Und auch zum Nachweis von hochfrequenten
Gravitationswellen wollen die Forschenden den experimentellen Aufbau
weiterverwenden.
Bei den mit ALPS gesuchten Axionen handelt es sich um hypothetische Teilchen,
die zu einem physikalischen Mechanismus gehören, den der Theoretiker Roberto
Peccei zusammen mit seiner Kollegin Helen Quinn 1977 vorgeschlagen hat, um ein
Problem der starken Wechselwirkung – einer der vier Grundkräfte der Natur – zu
lösen. 1978 haben die Theoretiker Frank Wilczek und Steven Weinberg ein neues
Teilchen mit diesem Peccei-Quinn-Mechanismus in Verbindung gebracht. Da dieses
Teilchen die Theorie "bereinigen" würde, nannte Wilczek es nach einem
Waschmittel "Axion".
Axionen oder Axion-ähnliche Teilchen werden von verschiedenen Erweiterungen
des Standardmodells der Teilchenphysik vorhergesagt. Gäbe es sie, würden sie
gleich eine ganze Reihe von heutzutage rätselhaften physikalischen Problemen
lösen, unter anderem sind sie Kandidaten für die Bausteine der Dunklen Materie.
Diese sollte nach aktuellen Berechnungen rund fünfmal so häufig im Universum
vorkommen wie normale Materie.
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