Erstmals Neutrinos aus einem Teilchenbeschleuniger beobachtet
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der Universität Bonn astronews.com
21. März 2023
Neutrinos gehören zu den am häufigsten vorkommenden Teilchen
im Kosmos, geben Forschenden jedoch nach wie vor viele Rätsel auf. Ein
internationales Team hat jetzt zum ersten Mal Neutrinos direkt beobachtet, die
in einem Teilchenbeschleuniger erzeugt wurden. Sie erhoffen sich, durch ihre
neue Entdeckung die Natur dieser fast masselose Elementarteilchen besser
verstehen zu können.

Der FASER-Teilchendetektor, der sich tief
unter der Erde am Large Hadron Collider des CERN befindet.
Foto:
CERN [Großansicht] |
Neutrinos wurden 1956 erstmalig entdeckt und spielen unter anderem eine
Schlüsselrolle bei dem Prozess, der Sterne brennen lässt. Wissenschaftlerinnen
und Wissenschaftler erhoffen sich durch die Erforschung der Neutrinos neue
Erkenntnisse über energiereiche Objekte im Universum. "Neutrinos sind Teilchen,
von denen wir wissen, dass sie existieren", sagt Prof. Dr. Florian Bernlochner
vom Physikalischen Institut der Universität Bonn. "Sie waren sehr wichtig für
die Entwicklung des Standardmodells der Teilchenphysik. Aber bisher wurde kein
Neutrino, das an einem Teilchenbeschleuniger erzeugt wurde, jemals durch ein
Experiment direkt nachgewiesen."
In der aktuellen Studie entdeckten Bernlochner und seine Kollegen jetzt die
Neutrinos aus einer ganz neuen Quelle – aus Teilchenbeschleunigern, in denen
zwei Teilchenstrahlen mit extrem hoher Energie zusammenstoßen, um die Neutrinos
zu erzeugen. Es ist das jüngste Ergebnis des Forward Search Experiments,
kurz FASER genannt. Dabei handelt es sich um einen Teilchendetektor, der am
Kernforschungszentrum CERN in Genf installiert ist. FASER spürt dort Teilchen
auf, die vom Large Hadron Collider (LHC) des CERN erzeugt werden. Im
Vergleich zu typischen Teilchendetektoren zeichnet sich FASER dadurch aus, dass
der Aufbau relativ klein ist – er passt in einen kleinen Seitentunnel am CERN.
Beschleuniger wie der LHC produzieren reichlich Neutrinos und Antineutrinos
aller Arten – auch bei sehr hohen Energien, wo Neutrino-Wechselwirkungen noch
nicht beobachtet werden konnten. Ein Grund, warum Beschleuniger-Neutrinos bisher
unentdeckt blieben, ist ihre extrem schwache Wechselwirkung. Außerdem werden die
Neutrinos mit der höchsten Energie, bei denen die
Wechselwirkungswahrscheinlichkeit am größten ist, vorwiegend parallel zur
Strahlachse produziert. Dort haben die Beschleuniger-Detektoren typischerweise
Löcher, um die kollidierenden Teilchenstrahlen passieren zu lassen.
Für die aktuelle Studie wurden 153 Neutrino-Ereignisse in LHC-Kollisionsdaten
nachgewiesen, die zwischen Juli und November 2022 aufgezeichnet wurden. Die
nachgewiesenen Neutrinos wechselwirken mit einem sogenannten Emulsionsdetektor
mit Wolframplatten und verwandeln sich dabei in Myonen, also andere
Elementarteilchen. Diese können wiederum mit dem FASER-Detektor und dessen
Spektrometer nachgewiesen werden. Die meisten bisher von Physikerinnen und
Physikern untersuchten Neutrinos sind niederenergetisch.
"Die von FASER entdeckten Neutrinos sind jedoch die energiereichsten, die
jemals in einem Labor erzeugt wurden, und ähneln den Neutrinos, die man findet,
wenn Teilchen aus dem Weltraum in unserer Atmosphäre sogenannte Teilchenschauer
auslösen", sagt Bernlochner. Diese sehr hochenergetischen Neutrinos im LHC seien
wichtig, um rätselhafte Beobachtungen in der Teilchenastrophysik zu verstehen.
"Sie können uns etwas über den Weltraum verraten, was wir auf andere Weise nicht
erfahren können", erläutert Tobias Böckh vom Physikalischen Institut der
Universität Bonn, der im Rahmen seiner Doktorarbeit an der Studie beteiligt war.
Die Arbeit könnte auch Licht auf kosmische Neutrinos werfen, die große
Entfernungen zurücklegen und mit der Erde kollidieren. In Folgestudien wollen
die Forschenden nun weitere Eigenschaften der Neutrinos untersuchen. Sie sollen
neue Erkenntnisse über die Wechselwirkungen der geisterhaften Teilchen bei hohen
Energien liefern.
Die Ergebnisse wurden am vergangenen Wochenende bei der 57. Moriond-Konferenz
in Italien vorgestellt und werden demnächst in der Fachzeitschrift Physical
Review Letters zur wissenschaftlichen Begutachtung eingereicht.
|