Eindeutig keine Chance für sterile Neutrinos
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Kernphysik astronews.com
12. Januar 2023
Nach mehreren Jahren Betrieb hat die STEREO-Kollaboration
die finalen Ergebnisse ihrer Antineutrino-Studie veröffentlicht: Anhand der
vorliegenden Daten konnte die Existenz von sterilen Neutrinos, ein zusätzlicher
Neutrino-Zustand, der in vielen Theorien erwartet wird, ausgeschlossen und das
bisherige Standardmodell bestätigt werden.
Anordnung des STEREO-Detektors nahe dem
Reaktorkern in Grenoble.
Bild: MPIK [Großansicht] |
In der modernen Teilchenphysik werden alle bekannten Elementarteilchen und
ihre Wechselwirkungen im sogenannten Standardmodell der Teilchenphysik
beschrieben. Das Modell umfasst auch Neutrinos, Teilchen, die 1930 von Wolfgang
Pauli postuliert wurden, um die universellen Energieerhaltungssätze zu erfüllen.
Neutrinos sind sehr leicht, elektrisch neutral und wechselwirken nur über die
elektroschwache Kraft. Daher sind sie extrem schwer nachzuweisen, ein direkter
experimenteller Nachweis gelang erst 1956.
Heute sind drei verschiedene Arten von Neutrinos bekannt. Diese Neutrinos
können aufgrund ihrer sehr kleinen, aber von Null verschiedenen Masse ihre
Identität zwischen diesen verschiedenen Zuständen wechseln. Diese sogenannten
Neutrino-Oszillationen wurden vor etwa zwei Jahrzehnten nachgewiesen. Im Jahr
2011 wurde mit erhöhter Präzision eine Anomalie zwischen dem beobachteten und
dem vorhergesagten Antineutrinofluss festgestellt, der in Kernreaktoren
entsteht. Daraufhin wurde die Hypothese aufgestellt, dass es einen zusätzlichen
Neutrino-Zustand gibt, der steril ist, d. h. nicht über die schwache
Wechselwirkung wechselwirkt. Dieses Teilchen könnte dann möglicherweise auch
weitere physikalische Phänomene erklären, die bisher nicht vollständig
verstanden sind, wie etwa Dunkle Materie.
Um die Hypothese der sterilen Neutrinos eindeutig zu testen und ihre
Eigenschaften zu erforschen, wurde das STEREO-Experiment konzipiert und 2017 am
Kernforschungsreaktor des ILL Grenoble in Betrieb genommen. Ein aus sechs
identischen Elementen bestehender Detektor wurde nur zehn Meter vom Reaktorkern
entfernt aufgestellt. Das Projekt profitierte dabei von den Erfahrungen, die in
mehreren Generationen von Reaktorneutrinoexperimenten gesammelt wurden.
Abgeschirmt von der äußeren Umgebung waren die Zellen des Detektors ideal
positioniert, um mit beispielloser Präzision nach der Signatur steriler
Neutrinos zu suchen: Es sollten dafür in kurzer Entfernung vom Reaktor
positionsabhängige Verzerrungen in ihrer Energieverteilung auftreten. Nun hat
die STEREO-Kollaboration, bestehend aus Forscherinnen und Forschern des
Max-Planck-Instituts für Kernphysik (MPIK) in Heidelberg und den französischen
Instituten CEA Saclay, CNRS, den Universitäten Grenoble Alpes und Savoie Mont
Blanc sowie dem Institut Laue-Langevin (ILL) ihre neuesten Ergebnisse
veröffentlicht, die den gesamten Datensatz kombinieren: Die Physikerinnen und
Physiker bestätigten eine messbare Anomalie im Neutrinofluss, der von
Kernreaktoren emittiert wird, schließen jedoch sterile Neutrinos als Ursache
dafür aus.
"Wir konnten in den Jahren 2017 bis 2020 insgesamt mehr als 100.000 Neutrinos
beobachten, aber keine Spur von möglichen sterilen Neutrinos in diesen Messungen
feststellen", erklärt Christian Buck, einer der leitenden Forscher des
Experiments vom MPIK. "Höchstwahrscheinlich resultieren die beobachteten
Anomalien aus unterschätzten Unsicherheiten in den Kerndaten aus den
radioaktiven Zerfällen, die für die Flussvorhersage verwendet wurden, und nicht
aus den Neutrinoexperimenten selbst."
Während dieses Ergebnis die Hypothese der sterilen Neutrinos deutlich
zurückweist, dient es als weitere Unterstützung für die Theorie des
Standardmodells und die dort beschriebenen Neutrinos. Neben der Suche nach
sterilen Neutrinos liefert das STEREO-Experiment auch die bisher genaueste
Messung des Antineutrinospektrums aus der Spaltung von Uran-235. Es soll als
Referenzspektrum für künftige Hochpräzisionsreaktorexperimente dienen, etwa für
die Bestimmung der Massenhierarchie von Neutrinos oder die Überprüfung des
Standardmodells bei niedrigen Energien.
Darüber hinaus könnten Präzisionsmessungen dieser Art dazu beitragen, die
Phänomene, die beispielsweise während einer Reaktorabschaltung auftreten, besser
zu verstehen. Die Forscher am MPIK haben sowohl beim Bau des STEREO-Detektors
als auch bei der Auswertung der Daten wichtige Beiträge geleistet. So wurden
beispielsweise die speziellen Flüssigkeiten im Detektor am MPIK entwickelt,
hergestellt und charakterisiert. Insbesondere der mit Gadolinium beladene
Flüssigszintillator, der das Herzstück des Detektors bildet, stammt vom MPIK.
Ein weiterer wesentlicher Beitrag sind die sehr speziellen Füllsysteme und
die Lichtsensoren zur Messung der Lichtsignale nach der Neutrinoreaktion im
Detektor. Im Bereich der Analyse war die MPIK-Gruppe in den Bereichen
Energierekonstruktion, Effizienzbestimmung und Analysekoordination tätig.
Die Ergebnisse wurde jetzt in der Fachzeitschrift Nature
veröffentlicht.
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