Was Finsternisse über Spinnenpulsare verraten
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik astronews.com
8. Februar 2023
Mithilfe des NASA-Weltraumteleskops Fermi wurden
sieben seltene Doppelsternsysteme identifiziert, in denen ein Neutronenstern von
seinem Begleitstern verfinstert wird. Das erlaubte es, die Masse der
Neutronensterne zu bestimmen. Dies ist für das bessere Verständnis von Materie
unter extremen Bedingungen von Bedeutung.

Künstlerische Darstellung einer beginnenden
Verfinsterung eines Pulsars durch einen Begleitstern. Pulsare
sind schnell rotierende, superdichte Sternenreste. Der Pulsar
sendet Lichtstrahlen bei vielen Wellenlängen aus, die in die
Sichtlinie hinein- und herausschwenken. Die dem Pulsar
zugewandte Sternseite wird aufgeheizt, Material weggeblasen
und der Stern wird abgetragen.
Bild:
NASA / Sonoma State University, Aurore Simonnet [Großansicht] |
"Wir haben sieben Doppelsternsysteme gefunden, in denen ein Gammapulsar von
seinem Begleitstern verfinstert wird. Damit können wir die Massen von fünf
dieser Pulsare genau bestimmen", sagt Colin Clark, Gruppenleiter am
Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut) in
Hannover. "Dies wurde erst jetzt durch die sorgfältige Analyse von Daten des
Fermi Gamma-ray Space Telescope der NASA möglich. Jede einzelne
Massenbestimmung ist ein wichtiger Datenpunkt für die Fundamentalphysik."
Neutronensterne sind kompakte Überreste von Supernova-Explosionen und
bestehen aus exotischer, extrem dichter Materie. Sie haben einen Durchmesser von
etwa 20 Kilometern und mehr Masse als unsere Sonne. Aufgrund ihrer starken
Magnetfelder und ihrer schnellen Rotation senden sie Radiowellen und
energiereiche Gammastrahlen aus – ähnlich einem kosmischen Leuchtturm. Wenn
diese Strahlenkegel während der Rotation des Neutronensterns auf die Erde
gerichtet sind, wird er als pulsierende Radio- oder Gammastrahlenquelle
sichtbar: als Radio- oder Gammapulsar.
Die sogenannten "Spinnenpulsare" sind sehr selten: Weniger als 100 der fast
3200 bekannten Pulsare gehören zu dieser außergewöhnlichen Spezies im Pulsarzoo.
Sie bestehen aus einem Pulsar in einem Doppelsternsystem mit einem
leichtgewichtigen Begleiter. Der Pulsar verdampft seinen Begleitstern mit seiner
Strahlung und einem Teilchenwind und zerstört ihn mit der Zeit vollständig.
Diese "Schwarze Witwe"- oder "Redback"-Pulsare sind nach Spinnen benannt, deren
Weibchen dafür bekannt sind, ihre leichteren Partner zu töten. Das vom Begleiter
weggeblasene Material füllt das Doppelsternsystem mit Plasma, das für
Radiowellen undurchdringlich ist. Die energiereiche Gammastrahlung des Pulsars
durchdringt das Plasma und kann vom Large Area Telescope (LAT) an Bord
des Fermi Gamma-ray Space Telescope der NASA beobachtet werden.
Fermis LAT spürt einzelne Gammaphotonen von diesen Pulsaren auf. Durch
Beobachtungen über viele Jahre hinweg lässt sich ein genaues Bild der
Bahnbewegung des Pulsars zeichnen. Zusammen mit optischen Messungen der Bewegung
des Begleiters ermöglicht dies den Forschenden, die Massen beider Objekte im
System zu ermitteln. In dieser Abbildung beginnt ein Stern seinen Partner, einen
Pulsar, zu verfinstern. Pulsare sind schnell rotierende, superdichte
Sternenreste. Der Pulsar sendet Lichtstrahlen bei vielen Wellenlängen aus, die
in die Sichtlinie hinein- und herausschwenken. Die dem Pulsar zugewandte
Sternseite wird aufgeheizt, Material weggeblasen und der Stern wird abgetragen.
Die Massenschätzungen hängen jedoch stark von einer unbekannten Größe ab: der
"Inklination", dem Neigungswinkel unter dem wir auf die Umlaufbahn des
Doppelsternsystems blicken: "Wir können nur die Vorwärts- und
Rückwärtsgeschwindigkeit eines Sterns messen, nicht aber seine Geschwindigkeit
von einer Seite zur anderen. So können wir nicht zwischen einer großen
Umlaufbahn, die wir von vorne sehen, und einer kleineren Umlaufbahn, die wir von
der Seite sehen, unterscheiden", erklärt Clark.
Die Inklination lässt sich mithilfe optischer Beobachtungen des Begleiters
ermitteln. Dessen scheinbare Helligkeit verändert sich während eines Umlaufs, je
nachdem, welche Seite der Erde zugewandt ist. Der Pulsar heizt eine Seite des
Begleiters auf, die dann heller und bläulicher erscheint. Der Begleiter wird
außerdem durch die Anziehungskraft des Pulsars verformt, wodurch sich seine
scheinbare Größe während des Umlaufs ändert. Diese Beobachtungen werden mit
astrophysikalischen Modellen des Systems kombiniert, was eine Messung der
Inklination ermöglicht. "Leider scheinen die Modelle in einigen Fällen nicht die
komplizierte Realität abzubilden, wie heiß der Begleiter auf welchem Teil seiner
Oberfläche ist. Wir haben gesehen, dass diese Temperaturverteilung auch über die
Zeit variieren kann", sagt Rene Breton, Professor für Astrophysik an der
Universität Manchester und Koautor der Veröffentlichung. "Da die Realität viel
komplexer ist als die Modelle, sind Massenschätzungen, die auf optischen
Beobachtungen beruhen, nicht immer ganz vertrauenswürdig." Aber es gibt eine
mögliche Lösung für dieses Problem: "Beobachtet man ein System, in dem der
Begleiter den Pulsar verfinstert, dann weiß man unmittelbar, dass wir das
Doppelsternsystem fast genau von der Seite – in der Bahnebene – beobachten",
erklärt Clark. "Mit den Finsternisbeobachtungen können wir die Inklination
sicher bestimmen."
Das Forschungsteam untersuchte die Daten aus mehr als elf Jahren
Fermi-LAT-Beobachtungen, um Pulsare eines besonders seltenen Typs zu entdecken:
Spinnenpulsare, bei denen der Begleitstern den Gammapulsar verfinstert. Die
Astronominnen und Astronomen analysierten die Fermi-LAT-Beobachtungen von 49
Spinnenpulsar-Systemen und entdeckten bei sieben von ihnen Finsternisse. Die
Dauer der entdeckten Finsternisse ermöglichte es den Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftlern, die Neigung der Umlaufbahn unabhängig zu bestimmen. Wenn eine
Finsternis beobachtet und die Bahnbewegungen des Begleiters und des Pulsars
gemessen werden, lässt sich mithilfe der Mindestdauer der Finsternis eine
Obergrenze für die Masse des Pulsars bestimmen. Aus dem Ausbleiben einer
Finsternis kann auf eine Untergrenze für die Pulsarmasse geschlossen werden.
Bei zwei der sieben entdeckten Doppelsysteme mit Finsternissen steht die
Bestätigung des Neutronensterns als Pulsar noch aus. So konnte bei ihnen die
Bahnbewegung des vermuteten Pulsars nicht ermittelt werden und eine
Massenbestimmung war nicht möglich. Bei vier der verbleibenden fünf
Doppelsternsysteme stimmen die neuen unabhängigen Messungen der Neigungswinkel
und damit die Massenschätzungen mit früheren Ergebnissen überein, die auf
optischen Beobachtungen und der Modellierung des Begleiters beruhen.
Ein System – der erste jemals entdeckte Spinnenpulsar – hielt für das Team
eine Überraschung bereit. Um die beobachteten Finsternisse zu erklären, kann die
Neigung seiner Bahnebene um höchstens sechs Grad von der Sichtlinie des
Weltraumteleskops Fermi abweichen. Das wiederum bedeutet, dass der
Pulsar nicht mehr als das 1,8-fache unserer Sonne wiegen kann. Frühere optische
Beobachtungen und Modellierungen deuteten auf eine außergewöhnlich hohe
Pulsarmasse von 2,4 Sonnenmassen hin. Der neue niedrigere Wert stimmt besser mit
den höchsten präzise gemessenen Neutronensternmassen überein.
Die Forschenden weisen darauf hin, dass die von ihnen identifizierten
Gammapulsare mit Verfinsterungen noch einen weiteren, exotischeren Effekt
aufweisen könnten, der bislang noch nie beobachtet wurde. Wenn der Begleiter den
Pulsar verfinstert, muss der Pulsar selbst eine halbe Umlaufbahn später vor
seinem Begleitstern vorbeiziehen. "Aus Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie
wissen wir, dass die starke Schwerkraft des Neutronensterns das Licht des
Begleiters wie eine Linse ablenkt und dass dies dessen scheinbare Helligkeit
vorübergehend erhöht", sagt Clark. Die Beobachtung dieses Effekts würde eine
weitere unabhängige Messung der Pulsarmasse ermöglichen. Man geht jedoch davon
aus, dass er zu klein ist, um ihn leicht nachzuweisen. "Um den
Gravitationslinseneffekt des Neutronensterns aus den Beobachtungen
herauszukitzeln, sind extrem empfindliche Beobachtungen und eine sorgfältige
Analyse erforderlich. Aber es könnte an der Grenze dessen liegen, was mit der
derzeitigen Technologie machbar ist, obwohl wir im Prinzip wissen, wie man das
macht", fügt Clark hinzu.
Über ihre Ergebnisse berichtet das Team in einem Fachartikel,
der in der
Zeitschrift Nature Astronomy erschienen ist.
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