Gekrümmte Raumzeit im Labor
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der Universität Heidelberg astronews.com
17. Januar 2023
Raum und Zeit sind nach Einsteins Allgemeiner
Relativitätstheorie untrennbar miteinander verbunden. Nun ist es Forschenden
gelungen, in einem Laborexperiment eine effektive Raumzeit zu realisieren, die
sich manipulieren lässt. Auf diese Weise können sie eine ganze Familie
gekrümmter Universen simulieren, um verschiedene kosmologische Szenarien zu
untersuchen.
Das Hubble eXtreme Deep Field, ein tiefer
Blick ins All im Bereich des Sternbilds
Chemischer Ofen.
Bild: NASA, ESA, G. Illingworth, D. Magee und
P. Oesch (University of California, Santa Cruz),
R. Bouwens (Leiden University) und das
HUDF09-Team [Großansicht] |
Raum und Zeit sind nach Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie untrennbar
miteinander verbunden. In unserem Universum – es ist kaum messbar gekrümmt – ist
die Struktur dieser Raumzeit vorgegeben. Die Entstehung von Raum und Zeit auf
kosmischen Zeitskalen vom Urknall bis in die Gegenwart ist Gegenstand aktueller
Forschung, die sich jedoch nur auf die Beobachtung unseres einen Universums
berufen kann. Wesentlicher Bestandteil kosmologischer Modelle sind die Expansion
und Krümmung des Raumes. In einem flachen Raum wie unserem heutigen Universum
ist die kürzeste Strecke zwischen zwei Punkten immer eine Gerade.
"Es ist allerdings denkbar, dass unser Universum in seiner Anfangsphase
gekrümmt war. Die Folgen einer gekrümmten Raumzeit zu untersuchen ist daher eine
drängende Forschungsfrage", sagt Prof. Dr. Markus Oberthaler, Wissenschaftler am
Kirchhoff-Institut für Physik der Universität Heidelberg. Mit seiner
Forschungsgruppe "Synthetische Quantensysteme" hat er dafür einen
Quantenfeldsimulator entwickelt. Der im Labor realisierte Quantenfeldsimulator
besteht aus einer Wolke von Kalium-Atomen, die bis auf einige Nanokelvin über
dem absoluten Temperaturnullpunkt abgekühlt wurde. Dabei entsteht ein
Bose-Einstein-Kondensat – ein spezieller quantenmechanischer Zustand des
atomaren Gases, der bei sehr kalten Temperaturen erreicht wird.
Dieses Bose-Einstein-Kondensat, so Oberthaler, würde als idealer Hintergrund
wirken, auf dem kleinste Anregungen, das heißt Änderungen des Energiezustandes
der Atome, sichtbar werden. Die Form der Atomwolke bestimmt dabei die
Dimensionalität und die Eigenschaften der Raumzeit, auf der sich diese
Anregungen wellenartig bewegen. Im Universum sind es drei Dimensionen des Raumes
und eine vierte – die der Zeit. In dem Experiment der Heidelberger Physikerinnen
und Physiker sind die Atome in einer dünnen Schicht gefangen. So können sich
Anregungen nur in zwei Raumrichtungen ausbreiten – der Raum ist zweidimensional.
Gleichzeitig lässt sich die Atomwolke in den verbleibenden zwei Dimensionen fast
beliebig formen, womit es möglich ist, auch gekrümmte Raumzeiten zu realisieren.
Die Wechselwirkung zwischen den Atomen kann durch ein Magnetfeld präzise
eingestellt werden, wodurch sich die Ausbreitungsgeschwindigkeit der
wellenartigen Anregungen auf dem Bose-Einstein-Kondensat ändert. "Für die Wellen
auf dem Kondensat ist die Ausbreitungsgeschwindigkeit abhängig von der Dichte
und der Wechselwirkung der Atome. Das gibt uns die Möglichkeit, Bedingungen wie
in einem expandierenden Universum zu schaffen", erklärt Prof. Dr. Stefan
Flörchinger, zuvor Wissenschaftler an der Universität Heidelberg und seit Anfang
dieses Jahres an der Universität Jena. Er hat das quantenfeldtheoretische Modell
ausgearbeitet, mit dem die experimentellen Ergebnisse quantitativ abgeglichen
wurden.
Mit dem Quantenfeldsimulator können kosmische Phänomene, beispielsweise die
Produktion von Teilchen aufgrund der Expansion des Raumes, und die
Raumzeitkrümmung selbst messbar gemacht werden. "Kosmologische Fragestellungen
laufen normalerweise auf unvorstellbar großen Skalen ab. Diese ganz konkret im
Labor untersuchen zu können, eröffnet ganz neue Möglichkeiten der Forschung,
indem wir neue theoretische Modelle experimentell testen können", sagt
Team-Mitglied Celia Viermann. "Das Wechselspiel von gekrümmter Raumzeit und
quantenmechanischen Zuständen im Labor zu erforschen, wird uns noch einige Zeit
beschäftigen", so Oberthaler, der mit seiner Forschungsgruppe Mitglied im
Exzellenzcluster STRUCTURES der Universität Heidelberg ist.
Über ihre Ergebnisse berichtete das Team Ende vergangenen Jahres in der
Fachzeitschrift Nature.
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