Was Antihelium-Kerne über Dunkle Materie verraten können
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung des Exzellenzclusters Origins astronews.com
14. Dezember 2022
Einem Forschungsteam ist es nun gelungen, die Überlebensrate
von Antihelium-Kernen aus den Tiefen der Galaxis zu bestimmen – eine notwendige
Voraussetzung für die indirekte Suche nach Dunkler Materie. Die Ergebnisse sind
für die Suche nach Antimaterie im All an Bord der Internationalen Raumstation
ISS und für künftige Ballonexperimente von Bedeutung.
Schematische Darstellung der
Antihelium-Vernichtung im Material des
ALICE-Detektors am CERN sowie im Universum.
Bild: ORIGINS Cluster / S. Kwauka [Großansicht] |
Hinweise auf Dunkle Materie gibt es viele. Daraus, wie sich Galaxien in
Galaxienhaufen bewegen, oder wie schnell Sterne um das Zentrum einer Galaxie
kreisen, lässt sich errechnen, dass sehr viel mehr Masse vorhanden sein muss als
jene, die sichtbar ist. Unser Milchstraßensystem beispielsweise besteht zu rund
85 Prozent aus einer Substanz, die nicht sichtbar ist und sich nur durch ihre
Gravitationswirkung bemerkbar macht. Ein direkter Nachweis dieser Materie ist
bis heute noch nicht gelungen.
Mehrere theoretische Modelle für Dunkle Materie gehen davon aus, dass sie aus
Teilchen bestehen könnte, die schwach untereinander wechselwirken. Dabei
entstehen Antihelium-3- Kerne, die aus zwei Antiprotonen und einem Antineutron
bestehen. Auch bei hochenergetischen Kollisionen zwischen kosmischer Strahlung
und gewöhnlicher Materie wie Wasserstoff und Helium entstehen diese Kerne –
allerdings mit anderen Energien, als es bei der Wechselwirkung
Dunkler-Materie-Teilchen der Fall sein müsste. Bei beiden Prozessen haben die
Antiteilchen ihren Ursprung in den Tiefen der Galaxis, mehrere 10.000 Lichtjahre
entfernt von uns.
Nach ihrer Entstehung macht sich ein Teil von ihnen auf den Weg zu uns. Wie
viele der Teilchen diese Reise unbeschadet überstehen und als Boten ihres
Entstehungsprozesses in die Nähe der Erde gelangen, wird über die
Durchlässigkeit oder Transparenz der Milchstraße für Antihelium-Kerne bestimmt.
Bislang konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler diesen Wert nur
grob abschätzen. Eine bessere Eingrenzung der Transparenz, ein Maß für die
Anzahl und Energien von Antikernen, ist allerdings wichtig für die
Interpretation zukünftiger Antihelium-Messungen.
Forschende der ALICE-Kollaboration führten nun Messungen durch, mit denen sie
die Transparenz erstmals genauer festlegen konnten. ALICE steht für A Large
Ion Collider Experiment und ist eines der größten Experimente der Welt, um
die Physik auf den kleinsten Längenskalen zu erforschen. ALICE ist Teil des
Large Hadron Colliders (LHC) am CERN. Am LHC lassen sich große Mengen an
leichten Antikernen wie Antihelium erzeugen. Zu diesem Zweck werden jeweils
Protonen und Blei-Atome auf Kollisionskurs gebracht. Bei den Zusammenstößen
entstehen Teilchenschauer, die der Detektor des ALICE-Experiments aufzeichnet.
Dank mehrerer Teilsysteme des Detektors können die Forschenden dann die
entstandenen Antihelium-3-Kerne nachweisen und ihre Spur im Detektormaterial
verfolgen. So lässt sich quantifizieren, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein
Antihelium-3-Kern mit dem Detektormaterial wechselwirkt und verschwindet.
Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen der TUM und des Exzellenzclusters
ORIGINS haben maßgeblich zur Analyse der experimentellen Daten beigetragen.
Mithilfe von Simulationen konnten die Forschenden die Ergebnisse aus dem
ALICE-Experiment auf die gesamte Galaxis übertragen. Das Resultat: Etwa die
Hälfte der Antihelium-3-Kerne, die bei der Wechselwirkung von Teilchen der
Dunklen Materie entstehen soll, würde die erdnahe Umgebung erreichen. Unsere
Milchstraße ist somit zu 50 Prozent durchlässig für diese Antikerne. Für
Antikerne, die durch Kollisionen von kosmischer Strahlung mit dem interstellaren
Medium entstehen, variiert die erhaltene Transparenz von 25 bis 90 Prozent mit
zunehmendem Antihelium-3-Impuls. Diese Antikerne lassen sich jedoch von jenen,
die aus Dunkler Materie entstehen, aufgrund ihrer höheren Energie unterscheiden.
"Dies ist ein hervorragendes Beispiel für eine interdisziplinäre Analyse, die
zeigt, wie Messungen an Beschleunigern direkt mit der Untersuchung der
kosmischen Strahlung im Weltraum verbunden werden können", sagt
ORIGINS-Wissenschaftlerin Prof. Laura Fabbietti von der TUM School of
Natural Sciences. Die Ergebnisse vom ALICE-Experiment am LHC sind von
großer Bedeutung für die Suche nach Antimaterie im Weltraum mit dem AMS-02 Modul
(Alpha Magnetic Spectrometer) auf der internationalen Raumstation ISS. Ab 2025
wird dann das GAPS-Ballonexperiment über der Arktis die ankommende kosmische
Strahlung auf Antihelium-3 untersuchen.
Über ihre Ergebnisse berichtet das Team in einem Fachartikel, der in der
Zeitschrift
Nature Physics erschienen ist.
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