Präzisionsexperiment schließt bislang unerforschten Parameterbereich aus
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der Universität Bern astronews.com
11. November 2022
Was macht die Dunkle Materie aus? Bei der Suche nach einer
Antwort auf diese Frage ist ein internationales Forschungsteam nun einen Schritt
vorangekommen: Mithilfe eines Präzisionsexperiments konnte der Spielraum für
die Existenz von Dunkler Materie deutlich eingeschränkt werden. Die Suche nach
den Partikeln der Dunklen Materie geht aber weiter.
Teil der experimentellen Apparatur im Labor
in Bern mit Doktorand Ivo Schulthess.
Foto: zvg [Großansicht] |
Die kosmologischen Beobachtungen der Bahnen von Sternen und Galaxien erlauben
eindeutige Rückschlüsse darauf, welche anziehenden Gravitationskräfte zwischen
den Himmelskörpern wirken. Die erstaunliche Erkenntnis lautet: Die sichtbare
Materie reicht bei Weitem nicht aus, um die Entwicklung und Bewegungen der
Galaxien zu erklären. Dies legt die Vermutung nahe, dass es dort eine andere,
bisher unbekannte Form von Masse gibt.
Bereits 1933 schloss deshalb der Astronom Fritz Zwicky auf die Existenz von
sogenannter Dunkler Materie. Dunkle Materie ist eine postulierte Form von
Materie, die nicht direkt sichtbar ist, aber über die Gravitation wechselwirkt
und dabei etwa fünfmal mehr Masse umfasst als die uns bekannte Materie. Nun ist
es einem internationalen Forschungsteam dank eines am Albert Einstein Center
for Fundamental Physics (AEC) der Universität Bern entwickelten
Präzisionsexperiments gelungen, den Spielraum für die Existenz von Dunkler
Materie deutlich einzuschränken. Das AEC mit seinen über 100 Mitgliedern ist
eine der international führenden Forschungseinrichtungen auf dem Gebiet der
Teilchenphysik.
"Woraus Dunkle Materie besteht, ist noch völlig unklar", erläutert Ivo
Schulthess, Doktorand am AEC und Erstautor der jetzt vorgestellten Studie.
Sicher sei aber, dass sie nicht aus denselben Teilchen aufgebaut ist, aus denen
die Sterne, unsere Erde oder wir selbst bestehen. Weltweit wird mit immer
sensitiveren Experimenten und Methoden nach möglichen dunklen Materieteilchen
gesucht – bis heute jedoch ohne Erfolg. Eine vielversprechende Kategorie von
Kandidaten für dunkle Materieteilchen bilden bestimmte hypothetische
Elementarteilchen, die sogenannten Axionen. Ein wichtiger Vorteil dieser extrem
leichten Teilchen ist, dass sie gleichzeitig weitere wichtige, bisher
unverstandene Phänomene der Teilchenphysik erklären könnten.
"Unserem Team ist es gelungen, dank langjähriger Expertise eine extrem
empfindliche Messapparatur zu konzipieren und zu bauen – das Beam EDM
Experiment", erklärt Florian Piegsa, Professor für Niederenergie- und
Präzisionsphysik am AEC, der 2016 für seine Forschung an Neutronen einen der
renommierten ERC Starting Grants des Europäischen Forschungsrats erhielt. Falls
die schwer fassbaren Axionen tatsächlich existieren, so sollten sie eine
charakteristische Signatur in der Berner Messapparatur hinterlassen.
"Mit unserem Experiment lässt sich die Drehfrequenz von Neutronen-Spins
bestimmen, welche sich durch eine Überlagerung von elektrischen und magnetischen
Feldern bewegen", erklärt Schulthess. Der Spin jedes einzelnen Neutrons fungiert
dabei als eine Art Kompassnadel, welche sich aufgrund des Magnetfeldes wie der
Sekundenzeiger einer Armbanduhr dreht – allerdings fast 400.000 Mal schneller.
"Diese Drehfrequenz haben wir permanent genau gemessen und nach kleinsten
periodischen Fluktuationen untersucht, welche durch die Wechselwirkung mit den
Axionen hervorgerufen werden würden», erklärt Piegsa. Die Ergebnisse des
Experiments waren eindeutig: "Die Drehfrequenz der Neutronen blieb unverändert,
was bedeutet, dass es in unserer Messung keinen Hinweis auf Axionen gibt", so
Piegsa.
Durch diese Messungen, welche zusammen mit Forschenden aus Frankreich an der
Europäischen Forschungsneutronenquelle des Instituts Laue-Langevin durchgeführt
wurden, konnte ein bisher komplett unerforschter Parameterbereich der Axionen
experimentell ausgeschlossen werden. Dabei konnte nach hypothetischen Axionen
gesucht werden, welche mehr als 1000 Mal schwerer wären, als dies bislang mit
anderen Experimenten möglich war.
"Obwohl die Existenz dieser Teilchen auch weiterhin mysteriös bleibt, konnten
wir erfolgreich einen wichtigen Parameterraum der Dunklen Materie eingrenzen",
bilanziert Schulthess. Zukünftige Experimente können nun auf dieser Arbeit
aufbauen. "Die endgültige Beantwortung der Frage nach der Dunklen Materie würde
uns einen bedeutsamen Einblick in die Grundlagen der Natur ermöglichen und uns
einen großen Schritt näher an ein vollständiges Verständnis des Universums
bringen", so Piegsa.
Die Ergebnisse des Teams wurden in der Fachzeitschrift Physical Review
Letters veröffentlicht.
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