Vorhersage mithilfe künstlicher Intelligenz bestätigt
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der Universität Augsburg astronews.com
19. Oktober 2022
Durch Simulationen konnte nun erstmals eine wichtige
theoretische Vorhersage der Quantenphysik bestätigt werden. Dies gelang
allerdings nur mithilfe von Methoden aus dem Bereich der künstlichen
Intelligenz. Die Studie betraf den Kibble-Zurek-Mechanismus, der ursprünglich
eingeführt worden war, um die Strukturbildung des Universums zu erklären.
Der Kibble-Zurek-Mechanismus wurde
ursprünglich eingeführt, um die Strukturbildung
des Universums zu erklären.
Bild: NASA, ESA, H. Teplitz und M. Rafelski
(IPAC/Caltech), A. Koekemoer (STScI), R.
Windhorst (Arizona State University) und Z. Levay
(STScI) [Großansicht] |
Wenn man die Bewegung einer einzelnen Billiardkugel berechnen möchte, ist das
relativ simpel: Die Bahn von unzähligen Gasteilchen in einem Gefäß
vorherzusagen, die permanent aufeinander prallen, gebremst und abgelenkt werden,
ist schon erheblich schwieriger. Doch angenommen, von jedem Gasteilchen wäre gar
nicht genau klar, wie schnell es sich bewegt? Es hätte also zu jedem Zeitpunkt
zahllose mögliche Geschwindigkeiten, die sich nur in ihrer Wahrscheinlichkeit
unterscheiden?
So ähnlich sieht es in der Welt der Quanten aus: Quantenmechanische Teilchen
können sogar alle potenziell möglichen Eigenschaften gleichzeitig innehaben. Das
macht den Zustandsraum quantenmechanischer Systeme extrem groß. Will man
simulieren, wie Quantenteilchen miteinander interagieren, muss man ihre
kompletten Zustandsräume berücksichtigen. "Und das ist extrem komplex", betont
Prof. Dr. Markus Heyl vom Institut für Physik der Universität Augsburg. "Der
Rechenaufwand steigt exponentiell mit der Anzahl der Teilchen. Bei mehr als 40
Teilchen ist er bereits so groß, dass sich selbst die schnellsten Supercomputer
daran die Zähne ausbeißen. Dies ist eine der großen Herausforderungen der
Quantenphysik."
Um dieses Problem zu vereinfachen, nutzte Heyls Gruppe Methoden aus dem
Bereich der künstlichen Intelligenz - künstliche neuronale Netze. Mit ihnen
lässt sich der quantenmechanische Zustand gewissermaßen umformulieren. "Dadurch
wird er für den Computer handhabbar", erklärt Heyl. Mit dieser Methode haben die
Wissenschaftler eine wichtige theoretische Vorhersage untersucht, die sich den
Berechnungen bislang entzog – den quantenmechanischen Kibble-Zurek-Mechanismus.
Er beschreibt das dynamische Verhalten von physikalischen Systemen an einem
sogenannten Quantenphasenübergang.
Ein Beispiel für einen Phasenübergang aus der makroskopischen, uns eher
vertrauten Welt ist der Übergang von Wasser zu Eis. Ein anderes Beispiel ist die
Demagnetisierung eines Magneten bei hohen Temperaturen. Geht man nun umgekehrten
Weg und kühlt das Material wieder ab, dann bildet sich der Magnetismus unterhalb
einer bestimmten kritischen Temperatur wieder aus. Allerdings geschieht das
nicht gleichmäßig über das gesamte Material. Stattdessen entstehen gleichzeitig
viele kleine Magnete mit unterschiedlich ausgerichteten Nord- und Südpolen. Der
entstehende Magnet ist also ein Mosaik vieler verschiedener kleinerer Magnete.
Physiker sagen auch: er enthält Defekte.
Der Kibble-Zurek-Mechanismus sagt voraus, wie viele dieser Defekte zu
erwarten sind (anders gesagt: aus wie vielen Minimagneten sich das Material
schließlich zusammensetzt). Was dabei besonders interessant ist: Die Anzahl
dieser Defekte ist universell und damit unabhängig von mikroskopischen Details.
Demnach verhalten sich viele verschiedene Materialien, auch wenn komplett
unterschiedlich zusammengesetzt, exakt identisch.
Der Kibble-Zurek-Mechanismus wurde ursprünglich eingeführt, um die
Strukturbildung des Universums zu erklären. Das Universum war nach dem Big Bang
anfänglich komplett homogen, das heißt, die Materie in ihm war völlig
gleichmäßig verteilt. Lange wusste man nicht, wie sich daraus Galaxien, Sonnen
oder Planeten bilden konnten. Eine Erklärung hierfür ist, dass bei der Abkühlung
des Universums ähnlich wie beim Magneten Defekte entstanden. Diese Prozesse sind
inzwischen gut verstanden. Es gibt aber eine Sorte von Phasenübergängen, für die
man die Gültigkeit des Mechanismus noch nicht überprüfen konnte – nämlich die
schon erwähnten Quantenphasenübergänge.
"Sie existieren nur am absoluten Temperatur-Nullpunkt von -273 Grad Celsius",
erklärt Heyl. "Der Phasenübergang findet also nicht bei Abkühlung statt, sondern
durch Änderungen der Wechselwirkungs-Energie - bildlich könnte man vielleicht
sagen: des Drucks." Die Wissenschaftler haben nun einen solchen
Quantenphasenübergang am Supercomputer simuliert. Dabei konnten sie erstmals
zeigen, dass der Kibble-Zurek-Mechanismus auch in der Quantenwelt gilt. "Das war
zuvor keineswegs ausgemacht", betont der Augsburger Physiker. "Unsere Studie
erlaubt es, die Dynamik quantenmechanischer Systeme vieler Teilchen besser zu
beschreiben und damit die Regeln genauer zu verstehen, die in dieser exotischen
Welt herrschen."
Die Studie wurde nun in der Zeitschrift Science Advances
veröffentlicht.
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