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Einblicke in die Sternentstehung im Zentrum der Milchstraße
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Astronomie astronews.com
29. August 2022
Dank detaillierter Beobachtungen mit dem Very Large
Telescope der europäischen Südsternwarte ESO in Chile ist erstmals eine
repräsentative Untersuchung zahlreicher junger Sterne in den zentralen Regionen
der Milchstraße gelungen. Die Ergebnisse könnten auch Rückschlüsse auf die
Vorgänge in anderen Galaxien erlauben, in denen mit hoher Rate neue Sterne
entstehen.
Falschfarbenbild der Region Sagittarius B1
als Teil der GALACTICNUCLEUS-Durchmusterung. Anhand der Daten,
die diesem Bild zugrunde liegen, konnten Francisco Nogueras-Lara
und sein Team drei Millionen Sterne im galaktischen Zentrum
identifizieren und wichtige Eigenschaften der hochproduktiven
Sternentstehung in dieser Region unserer Heimatgalaxie
bestimmen. Bild:
F. Nogueras-Lara et al. / MPIA [Großansicht] |
In der zentralen Region der Milchstraße sind die Sterne deutlich dichter
gedrängt als in anderen Bereichen unserer Galaxie. In der Astronomie hegt man
bereits länger die Hoffnung, diese Regionen unserer Heimatgalaxie als eine Art
Labor zur Untersuchung besonders schneller und produktiver Sternentstehung
nutzen zu können. Ein solches Phänomen tritt in zahlreichen anderen Galaxien
auf, insbesondere in den ersten Milliarden Jahren der kosmischen Geschichte.
Bislang stand dem allerdings entgegen, dass es gerade aufgrund der großen Anzahl
von Sternen im galaktischen Zentrum schwierig ist, jene Sterne systematisch zu
untersuchen.
Eine neue Analyse auf der Grundlage einer hochaufgelösten
Infrarotdurchmusterung liefert nun eine erste repräsentative Rekonstruktion der
Sternentstehungsgeschichte in der galaktischen Zentralregion. Sie zeigt
außerdem, dass die meisten jungen Sterne im galaktischen Zentrum nicht in
massereichen, durch die gegenseitige Schwerkraft eng gebundenen Sternhaufen
entstanden sein dürften, sondern in deutlich weniger stark gebundenen
Sternassoziationen, deren Sterne sich im Laufe der vergangenen Millionen von
Jahren zerstreut haben.
Unsere Milchstraße ist keine sehr produktive Galaxie. Die neuen Sterne, die
in einem Jahr in unserer Heimatgalaxie entstehen, machen zusammengenommen nicht
mehr als ein paar Sonnenmassen aus. Sogenannte "Starburst-Galaxien" sind
deutlich effektiver: Während kurzer Episoden, die nur einige Millionen Jahre
dauern, entstehen jedes Jahr Dutzende oder gar Hunderte von Sonnenmassen an
neuen Sternen! Vor zehn Milliarden Jahren scheint diese Art von hoher Aktivität
der Sternentstehung, bei der jedes Jahr Dutzende von Sonnenmassen an neuen
Sternen produziert werden, sogar die Norm für Galaxien gewesen zu sein.
Für Astronom*innen ist unsere Milchstraße nicht nur für sich genommen
interessant, sondern immer auch ein Werkzeug, mit dessen Hilfe sich etwas über
die Eigenschaften von Galaxien im Allgemeinen lernen lässt. Schließlich ist die
Milchstraße die einzige Galaxie, die wir aus unmittelbarer Nähe untersuchen
können! In Anbetracht der geringen Sternentstehungsaktivität unserer
Heimatgalaxie könnte man meinen, dass sie uns allerdings nicht beim besseren
Verständnis von Starbursts und anderen Phasen hochproduktiver Sternentstehung
helfen kann. Das wäre aber ein Fehlschluss: In den zentralen Regionen der
Milchstraße, bis zu Abständen von rund 1300 Lichtjahren vom zentralen Schwarzen
Loch unserer Galaxie, waren die Sternentstehungsraten in den letzten 100
Millionen Jahren zehnmal höher als im Durchschnitt. Die Kernregion unserer
Galaxie ist so produktiv wie eine Starburst-Galaxie oder wie die
hyperproduktiven Galaxien von vor zehn Milliarden Jahren.
Allerdings ist es gar nicht so einfach, diese Zentralregionen genauer zu
untersuchen. Zunächst einmal sind sie von der Erde aus gesehen hinter großen
Mengen von Staub verborgen. Doch zumindest dieses Problem lässt sich leicht
lösen, wenn man die Beobachtungen mit Infrarot-, Millimeterwellen- oder
Radiostrahlung durchführt. Allerdings ist das nicht das einzige Problem. Gerade
weil die Sterne im galaktischen Zentrum so dicht gedrängt sind, sind
systematische Untersuchungen an jenen Sternen eine Herausforderung. Es ist
nämlich alles andere als einfach, in so einer dichtgedrängten Menge überhaupt
einen Stern vom nächsten zu unterscheiden. Einzige Ausnahme sind vereinzelte,
sehr helle Riesensterne, die besonders leuchtstark sind, auf diese Weise aus der
Masse herausragen und daher vergleichsweise leicht vom Rest zu unterscheiden
sind.
Das Problem, in diesem Gewimmel einzelne Sterne zu studieren,
beschäftigt die Astronomie bereits seit einigen Jahren. Dass es in jenen
Regionen in den letzten ein bis zehn Millionen Jahren hochproduktive
Sternentstehung gegeben hat, steht außer Frage – das Vorhandensein von
Wasserstoffgas, das durch UV-Licht von heißen, jungen Sternen in seine
Bestandteile aufgespalten wird, sowie Röntgenstrahlung, die für bestimmte
Arten von jungen, sehr massereichen Sternen charakteristisch ist, belegen dies.
Aber die Frage "...wo sind dann die resultierenden jungen Sterne?" blieb offen.
Bislang kannte man nur rund 10 Prozent der erwarteten Gesamtsternmasse im
galaktischen Zentrum – in zwei massereichen Sternhaufen sowie in Form einiger
isolierter junger Sterne. Wo waren all die anderen Sterne, und welche
Eigenschaften hatten sie?
Das war die Ausgangsfrage für die Autorinnen
und Autoren der jetzt veröffentlichten Studie. Francisco Nogueras-Lara,
unabhängiger Humboldt-Forschungsstipendiat in der Lise-Meitner- Gruppe von
Nadine Neumayer am Max-Planck-Institut für Astronomie, und ihr Kollege Rainer
Schödel vom Instituto de Astrofísica de Andalucía im spanischen
Granada, waren dabei in einer besonders guten Ausgangsposition für die Suche
nach den fehlenden jungen Sternen im galaktischen Zentrum: Schödel ist Leiter
von GALACTICNUCLEUS. Im Rahmen dieser Durchmusterung wurden mit der
Infrarotkamera HAWK-I am Very Large Telescope (VLT) der europäischen
Südsternwarte ESO fast 150 Bilder (in den Infrarotbändern J, H und Ks) von der
Zentralregion der Milchstraße angefertigt. Die Bilder decken insgesamt ein
Gebiet von 64.000 Quadratlichtjahren rund um das galaktische Zentrum ab.
Unter der Leitung von Nogueras-Lara begann dann die Suche nach den fehlenden
jungen Sternen. Um einzelne Sterne in einer solcherart überfüllten
Himmelsregion zu identifizieren, ist eine hohe Auflösung erforderlich. Mit dem
VLT gelang es, die Zielregion viel feiner als je zuvor zu kartieren (mit einer
Auflösung von 0,2 Bogensekunden). Wo zuvor nur eine Handvoll Sterne kartiert
werden konnte, lieferte GALACTICNUCLEUS individuelle Daten für drei Millionen
Sterne.
Als sich die Forschenden die (Falschfarben-)Bilder der
GALACTICNUCLEUS-Durchmusterung anschauten, fiel ihnen sofort die als Sagittarius
B1 bekannte Region im galaktischen Zentrum ins Auge. Diese Region enthält
wesentlich mehr junge Sterne, die das umgebende Gas ionisieren, als andere
Regionen – das ist auf Bildern der Region deutlich zu erkennen. Diese
Besonderheit der Region kam nicht überraschend: Frühere Beobachtungen,
insbesondere von Licht, das charakteristisch für Wasserstoffgas ist, was von
heißen Sternen ionisiert wird, hatten das bereits gezeigt. Aber mit den
hochaufgelösten GALACTICNUCLEUS-Daten waren Nogueras-Lara und sein Team nun
erstmals in der Lage, die Sterne in dieser Region im Detail zu untersuchen.
Selbst mit ihrer hochaufgelösten Durchmusterung konnten die Astronominnen
und Astronomen zwar nur Riesensterne individuell untersuchen (keine sogenannten
Hauptreihensterne wie unsere Sonne), aber die Daten der drei Millionen Sterne,
die sie separat untersuchen konnten, enthielten bereits eine Fülle von
Informationen. Insbesondere konnte die Helligkeit jedes einzelnen Sterns
abgeleitet werden. Dafür musste die Abschwächung des Sternenlichts durch den
Staub zwischen uns und dem betreffenden Stern dokumentiert und herausgerechnet
werden. Alle Sterne in Sagittarius B1 sind etwa gleich weit von der Erde
entfernt, und die Entfernung von der Erde zum galaktischen Zentrum ist bekannt.
Mit diesen Informationen konnten die Leuchtkraft jedes Sterns rekonstruiert
werden.
Besonders interessant ist dabei die statistische Verteilung der
Leuchtkraft dieser Sterne. Bei Sternen, die gleichzeitig geboren wurden, ändert
sich diese Helligkeitsverteilung im Laufe der Zeit auf regelmäßige und
vorhersehbare Weise. Im Umkehrschluss lässt sich aus solch einer
Helligkeitsverteilung zumindest eine grobe Geschichte der Sternentstehung
ableiten: Wie viele Sterne sind vor mehr als sieben Milliarden Jahren
entstanden? Wie viele etwa in der Zeit zwischen zwei und sieben Milliarden
Jahren? Wie viele in jüngerer Zeit? Die Leuchtkraftverteilung liefert zumindest
eine statistische Antwort auf diese Fragen.
Als Nogueras-Lara, Neumayer
und Schödel die Leuchtkraftverteilung analysierten, stellten sie fest, dass es
in Sagittarius B1 tatsächlich mehrere Phasen der Sternentstehung gegeben hatte:
eine ältere Population von Sternen, die sich vor zwei bis sieben Milliarden
Jahren gebildet hatten, und eine große Population deutlich jüngerer Sterne, die
nur zehn Millionen Jahre alt oder sogar noch jünger waren. "Das ist ein
beachtlicher Fortschritt bei der Suche nach jungen Sternen im galaktischen
Zentrum", so Nogueras-Lara. "Die jungen Sterne, die wir gefunden haben, haben
eine Gesamtmasse von mehr als 400.000 Sonnenmassen. Das ist fast zehnmal so viel
wie die kombinierte Masse der beiden massereichen Sternhaufen, die bisher in der
Zentralregion bekannt waren."
Die untersuchten Sterne in der Region
Sagittarius B1 sind nicht Teil eines massereichen Sternhaufens, sondern locker
verteilt. Das deutet darauf hin, dass sie in einer oder mehreren sogenannten
Sternassoziationen entstanden sind. Deren Sterne sind durch ihre wechselseitige
Schwerkraft von vornherein weniger stark aneinander gebunden. Auf ihrer
Umlaufbahn um das galaktische Zentrum würden sich solche Sternassoziationen auf
Zeitskalen von mehreren Millionen Jahren ganz auflösen – zurück bleiben
zahlreiche einzelne Sterne. Und auch wenn sich dieses Resultat erst einmal
direkt auf Sagittarius B1 bezieht, könnte es ganz allgemein erklären, warum die
jungen Sterne im galaktischen Zentrum nur durch hochauflösende Studien wie die
vorliegende Arbeit gefunden werden können: wenn ein großer Teil von ihnen
ebenso in lockeren Sternassoziationen entstanden ist, die sich inzwischen in
Einzelsterne aufgelöst haben.
Interessant ist sind auch die älteren Sternpopulationen in Sagittarius B1. In
den innersten Regionen des galaktischen Zentrums gibt es Sterne, die älter sind
als sieben Milliarden Jahre, aber praktisch keine Sterne im mittleren
Altersbereich zwischen zwei und sieben Milliarden Jahren. Das legt nahe, dass
die Sternentstehung in der Zentralregion in der innersten Region begann und sich
dann auf die äußeren Regionen ausbreitete. Bei anderen Galaxien wurde solch ein
allgemeiner räumlicher Trend bei der Sternentstehung, von innen nach außen, für
die zentralen inneren Sternscheiben bereits beobachtet. Den neuen Analysen nach
gab es in der zentralen Region unserer Heimatgalaxie einen sehr ähnlichen
räumlichen Trend.
So überzeugend die Beweise aus den Infrarotbildern bereits sind, sowohl für
die Rekonstruktion der Sternentstehungsgeschichte als auch für den Gesamttrend
der Sternentstehung, so sehr sind die Astronominnen und Astronomen bestrebt,
ihre Schlussfolgerungen auf eine noch solidere Grundlage zu stellen. Zu diesem
Zweck planen Nogueras-Lara und sein Team, ihre Beobachtungen mit dem
KMOS-Instrument am VLT weiterzuverfolgen, einem hochpräzisen Spektrografen. Die
Rückschlüsse der jetzt veröffentlichten Studie zur Sternenstehung wurden
statistisch, auf der Grundlage der Verteilung der Leuchtkräfte der
identifizierten Sterne getroffen. Spektralbeobachtungen würden es dermöglichen,
einige der sehr jungen Sterne direkt anhand des Aussehens ihrer Spektren zu
identifizieren. Das wäre eine wichtige Möglichkeit, die jetzt veröffentlichten
Ergebnisse zu überprüfen.
Darüber hinaus wollen die Astronominnen und Astronomen die Bewegungen der
neu entdeckten Sterne am Himmel verfolgen – das ist die sogenannte Eigenbewegung
jener Sterne. In der Nähe des galaktischen Zentrums bewegen sich die Sterne
vergleichsweise schnell. Obwohl sich diese Sterne in einer Entfernung von etwa
26.000 Lichtjahren von der Erde befinden, wird man deshalb durch sorgfältige
Beobachtungen im Laufe einiger Jahre ihre Positionsveränderungen am Himmel
messen können. Sterne, die in ein und demselben Sternverband entstanden sind,
zerstreuen sich im Laufe der Zeit, behalten dabei aber ungefähr eine
einheitliche Bewegungsrichtung bei. Aus den Eigenbewegungen ließen sich deswegen
Rückschlüsse ziehen, ob die Sterne in Sagittarius B1 tatsächlich in einem oder
mehreren losen Verbänden geboren wurden.
"Beide Arten von Messungen
werden hoffentlich dazu dienen, die Ergebnisse die wir veröffentlicht haben, zu
bestätigen", so Neumayer. "Auf alle Fälle werden wir unsere Analyse durch die
neuen Messungen verfeinern können. Parallel dazu werden wir und unsere
Kolleginnen und Kollegen untersuchen, was sich aus unseren neuen Erkenntnissen
zur Sternentstehung im galaktischen Zentrum über die hochproduktive
Sternentstehung in anderen Galaxien ableiten lässt."
Über ihre Ergebnisse berichtet das Team in einem Fachartikel, der in der
Zeitschrift Nature Astronomy erschienen ist.
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