Die Sternentstehung im Zentrum der Milchstraße
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Astronomie astronews.com
17. Dezember 2019
Astronominnen und Astronomen ist es gelungen, die Geschichte
der Sternentstehung im Zentrum der Milchstraße zu rekonstruieren. Bisher war man
davon ausgegangen, dass sich hier in den letzten Milliarden Jahren
kontinuierlich Sterne gebildet haben. Neue Beobachtungen weisen nun aber auf
zwei deutlich unterscheidbare Phasen der Sternentstehung hin.

Aufnahme der Zentralregion der Milchstraße mit
einer Auflösung von 0,2 Bogensekunden, aus Daten
des HAWK-I-Instruments am Very Large Telescope
der ESO.
Bild: ESO/Nogueras-Lara
et al. [Großansicht] |
Astronomen haben erstmals die Geschichte der Sternentstehung im Zentrum
unserer Milchstraße rekonstruiert. Ihre Arbeit zeigt, dass sich die
fraglichen Sterne in zwei Wellen bildeten: Mehr als 90 Prozent der Sterne
entstanden vor mindestens acht Milliarden Jahren. Eine zweite, kurze Phase
intensiver Sternentstehung, die für etwa 5 Prozent der Sterne verantwortlich
ist, fand vor rund einer Milliarde Jahren statt. Zwischen diesen beiden
Phasen entstanden kaum neue Sterne.
Die betreffenden Sterne gehören zu einer dichten, scheibenförmigen Region mit
einem Durchmesser von etwa 1000 Lichtjahren (rund ein Prozent des
Durchmessers der majestätischen Sternenscheibe der Milchstraße), der
sogenannten zentralen Scheibe, die den zentralen Sternhaufen der Milchstraße
umschließt. Ganz in der Mitte sitzt das supermassereiche Schwarze Loch
unserer Milchstraße.
Die zwei intensiven Episoden der Sternentstehung schreiben einen Teil der
Geschichte unserer Heimatgalaxie um. Bisher war allgemein angenommen worden,
dass sich die Sterne in den Zentralregionen der Milchstraße über die letzten
Milliarden von Jahren hinweg allmählich gebildet hätten. Dass stattdessen
zwei Phasen intensiver Sternentstehung in größerem Abstand aufeinander
folgten, zwingt die Astronomen jetzt, auch andere Eigenschaften unserer
Galaxie zu überdenken.
Für die Entstehung neuer Sterne und für das Wachstum des zentralen Schwarzen
Lochs unserer Galaxie müssen dieselben Voraussetzungen erfüllt sein: Gas muss
von außen in die zentralen Bereiche unserer Galaxie einströmen. Die neu
rekonstruierte Sternentstehungsgeschichte legt daher nahe, dass auch unser
zentrales Schwarzes Loch den größten Teil seiner heutigen Masse bereits vor
acht Milliarden Jahren erreicht hat und seither nur sehr zaghaft gewachsen
ist. Der kurze, aber intensive Ausbruch von Sternentstehungsaktivität vor
rund einer Milliarde Jahren dürfte eines der energetischsten Ereignisse in
der Geschichte unserer Galaxie gewesen sein. Hunderttausende von neu
gebildeten massereichen Sternen werden zu jener Zeit innerhalb von Millionen
von Jahren als Supernovae explodiert sein.
Die Ergebnisse zwingen die Astronomen auch dazu, ein weiteres grundlegendes
Merkmal unserer Galaxie zu überdenken. Die Milchstraße ist eine sogenannte
Balkenspiralgalaxie: Ihre großen Spiralarme setzen an einem zentralen Balken
an, einem langgestreckten Bereich mit vielen jüngeren Sternen, dessen Länge
auf zwischen 3000 und 15.000 Lichtjahre geschätzt wird. Ein solcher Balken
gilt eigentlich als sehr effizienter Mechanismus, um Gas in die
Zentralregionen einer Galaxie zu leiten, was dort wiederum zur Bildung neuer
Sterne führt.
Dass in der zentralen Scheibe zwischendurch Milliarden Jahre ohne
nennenswerte Sternbildung verging, zwingt die Astronomen, Eigenschaften oder
Geschichte des Balkens zu überdenken. In diesen ruhigen Jahren wurde
schließlich offenbar nicht genügend Gas in das galaktische Zentrum geleitet.
"Entweder ist der galaktische Balken erst vor relativ kurzer Zeit entstanden,
oder solche Balkenstrukturen sind bei weitem nicht so effizient darin, Gas
ins Zentrum zu leiten, wie allgemein angenommen", erläutert Francisco
Nogueras Lara vom Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg, zuvor am
Instituto de Astrofísica de Andalucía. "Im letzteren Fall müsste die
Sternentstehungsepisode vor rund einer Milliarde Jahren durch ein besonderes
Ereignis ausgelöst worden sein, etwa einem Beinahe-Zusammenstoß mit einer
Zwerggalaxie."
Für ihre Rekonstruktion der Geschichte der Sternentstehung in der zentralen
Scheibe nutzten die Forscher astronomisches Grundlagenwissen. Sterne leben
nur für eine bestimmte Zeitspanne, die von ihrer Masse und chemischen
Zusammensetzung abhängt. Wann immer zahlreiche Sterne gleichzeitig geboren
wurden, was durchaus häufig vorkommt, können Astronomen die Eigenschaften der
betreffenden Gruppe von Sternen statistisch auswerten, indem sie Helligkeiten
und Farben der Sterne gegeneinander auftragen (in einem sogenannten
Farben-Helligkeits-Diagramm).
Aus den Eigenschaften des dabei entstehenden Diagramms lässt sich schließen,
wie lange die Entstehung jener Sterngruppe her ist. Einer von mehreren
Altersindikatoren ist dabei der "red clump", wörtlich der rote Klumpen von
Sternen im rötlichen Farbbereich. Das sind Sterne, die bereits begonnen
haben, Helium in ihren Kernregionen zu verschmelzen. Unter Benutzung von
Simulationsrechnungen zur Sternentwicklung kann man aus der
durchschnittlichen Helligkeit der Sterne im "red clump" auf das Alter der
gleichzeitig entstandenen Sterne schließen.
Aber es gibt bei dieser Art von Auswertung einen Haken: Sie erfordern die
Auswertung der Eigenschaften von zahlreichen Einzelsternen. Für die
Zentralregionen der Milchstraße ist das gar nicht so einfach. Das fängt damit
an, dass jene Regionen von der Erde aus gesehen hinter riesigen Staubwolken
verborgen sind. Man muss schon in den Infrarotbereich ausweichen, um durch
diese Wolken "hindurchschauen" zu können.
Gelingt der Blick durch die Wolken, stößt man gleich auf das nächste Problem:
Die entsprechenden Beobachtungen zeigen eine unübersichtliche Menge von
Sternen im Zentrum der Milchstraße. Die Zentralbereiche sind extrem
sternreich, mit zwischen tausend und hunderttausend Sternen in einem Würfel
mit einer Seitenlänge von einem Lichtjahr. Beobachten Astronomen sehr dichte
Sternfelder dieser Art, dann überlappen sich diese Sternscheiben im
Teleskopbild. Die Trennung solcher Felder in separate Sterne ist schwierig –
aber notwendig, wenn man die Entstehungsgeschichte des galaktischen Zentrums
rekonstruieren will.
Als Rainer Schödel vom Instituto de Astrofísica de Andalucía, der leitende
Wissenschaftler der GALACTICNUCLEUS-Durchmusterung, Nadine Neumayer vom
Max-Planck-Institut für Astronomie und ihre Kollegen Ende 2014 begannen, ihr
Projekt zur Rekonstruktion der Geschichte der Zentralregionen unserer
Milchstraße zu planen, wussten sie, dass sie das richtige Instrument für
diese schwierige Aufgabe finden mussten. "Wir benötigten ein
Nahinfrarot-Instrument mit großem Sichtfeld, das die zentrale Region der
Milchstraße am Südhimmel beobachten konnte", so Neumayer. "Das
HAWK-I-Instrument der ESO war ideal für unsere Durchmusterung."
HAWK-I ist eine Infrarotkamera am 8-Meter-Teleskop Very Large Telescope am
Paranal-Observatorium der Europäischen Südsternwarte (ESO) in Chile. Für ihre
GALACTICNUCLEUS-Durchmusterung beobachteten die Astronomen mit HAWK-I 16
Nächte lang das galaktische Zentrum und konnten so genaue
Helligkeitsmessungen für mehr als drei Millionen Sterne erhalten. Mit einer
speziellen Technik, der sogenannten holografischen Bildgebung, konnten die
Astronomen Sterne im Abstand von nur 0,2 Bogensekunden unterscheiden. Mit
solcher Auflösung kann man auf acht Kilometer Entfernung zwei direkt
nebeneinander liegende Ein-Cent-Münzen auseinanderhalten.
Zwei deutlich sichtbare "rote Klumpen" im resultierenden
Farben-Helligkeits-Diagramm ermöglichten die Rekonstruktion der
Entstehungsgeschichte der zentralen Scheibe mit ihren zwei Phasen aktiver
Sternentstehung. In einem nächsten Schritt untersuchen die Astronomen nun den
Einfluss von Staub auf ihre Beobachtungen (Extinktion und Rötung). Die
Berücksichtigung dieses Einflusses soll dann eine noch genauere
Rekonstruktion der Geschichte der zentralen Regionen unserer Galaxie
ermöglichen.
Über die Beobachtungen und ihre Analysen berichtet das Team in einem Fachartikel, der in
der Zeitschrift Nature Astronomy veröffentlicht wurde.
|