astronews.com
Der deutschsprachige Onlinedienst für Astronomie, Astrophysik und Raumfahrt |
Astronominnen und Astronomen ist es gelungen, die Geschichte der Sternentstehung im Zentrum der Milchstraße zu rekonstruieren. Bisher war man davon ausgegangen, dass sich hier in den letzten Milliarden Jahren kontinuierlich Sterne gebildet haben. Neue Beobachtungen weisen nun aber auf zwei deutlich unterscheidbare Phasen der Sternentstehung hin.
Astronomen haben erstmals die Geschichte der Sternentstehung im Zentrum unserer Milchstraße rekonstruiert. Ihre Arbeit zeigt, dass sich die fraglichen Sterne in zwei Wellen bildeten: Mehr als 90 Prozent der Sterne entstanden vor mindestens acht Milliarden Jahren. Eine zweite, kurze Phase intensiver Sternentstehung, die für etwa 5 Prozent der Sterne verantwortlich ist, fand vor rund einer Milliarde Jahren statt. Zwischen diesen beiden Phasen entstanden kaum neue Sterne. Die betreffenden Sterne gehören zu einer dichten, scheibenförmigen Region mit einem Durchmesser von etwa 1000 Lichtjahren (rund ein Prozent des Durchmessers der majestätischen Sternenscheibe der Milchstraße), der sogenannten zentralen Scheibe, die den zentralen Sternhaufen der Milchstraße umschließt. Ganz in der Mitte sitzt das supermassereiche Schwarze Loch unserer Milchstraße. Die zwei intensiven Episoden der Sternentstehung schreiben einen Teil der Geschichte unserer Heimatgalaxie um. Bisher war allgemein angenommen worden, dass sich die Sterne in den Zentralregionen der Milchstraße über die letzten Milliarden von Jahren hinweg allmählich gebildet hätten. Dass stattdessen zwei Phasen intensiver Sternentstehung in größerem Abstand aufeinander folgten, zwingt die Astronomen jetzt, auch andere Eigenschaften unserer Galaxie zu überdenken.
Für die Entstehung neuer Sterne und für das Wachstum des zentralen Schwarzen Lochs unserer Galaxie müssen dieselben Voraussetzungen erfüllt sein: Gas muss von außen in die zentralen Bereiche unserer Galaxie einströmen. Die neu rekonstruierte Sternentstehungsgeschichte legt daher nahe, dass auch unser zentrales Schwarzes Loch den größten Teil seiner heutigen Masse bereits vor acht Milliarden Jahren erreicht hat und seither nur sehr zaghaft gewachsen ist. Der kurze, aber intensive Ausbruch von Sternentstehungsaktivität vor rund einer Milliarde Jahren dürfte eines der energetischsten Ereignisse in der Geschichte unserer Galaxie gewesen sein. Hunderttausende von neu gebildeten massereichen Sternen werden zu jener Zeit innerhalb von Millionen von Jahren als Supernovae explodiert sein. Die Ergebnisse zwingen die Astronomen auch dazu, ein weiteres grundlegendes Merkmal unserer Galaxie zu überdenken. Die Milchstraße ist eine sogenannte Balkenspiralgalaxie: Ihre großen Spiralarme setzen an einem zentralen Balken an, einem langgestreckten Bereich mit vielen jüngeren Sternen, dessen Länge auf zwischen 3000 und 15.000 Lichtjahre geschätzt wird. Ein solcher Balken gilt eigentlich als sehr effizienter Mechanismus, um Gas in die Zentralregionen einer Galaxie zu leiten, was dort wiederum zur Bildung neuer Sterne führt. Dass in der zentralen Scheibe zwischendurch Milliarden Jahre ohne nennenswerte Sternbildung verging, zwingt die Astronomen, Eigenschaften oder Geschichte des Balkens zu überdenken. In diesen ruhigen Jahren wurde schließlich offenbar nicht genügend Gas in das galaktische Zentrum geleitet. "Entweder ist der galaktische Balken erst vor relativ kurzer Zeit entstanden, oder solche Balkenstrukturen sind bei weitem nicht so effizient darin, Gas ins Zentrum zu leiten, wie allgemein angenommen", erläutert Francisco Nogueras Lara vom Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg, zuvor am Instituto de Astrofísica de Andalucía. "Im letzteren Fall müsste die Sternentstehungsepisode vor rund einer Milliarde Jahren durch ein besonderes Ereignis ausgelöst worden sein, etwa einem Beinahe-Zusammenstoß mit einer Zwerggalaxie." Für ihre Rekonstruktion der Geschichte der Sternentstehung in der zentralen Scheibe nutzten die Forscher astronomisches Grundlagenwissen. Sterne leben nur für eine bestimmte Zeitspanne, die von ihrer Masse und chemischen Zusammensetzung abhängt. Wann immer zahlreiche Sterne gleichzeitig geboren wurden, was durchaus häufig vorkommt, können Astronomen die Eigenschaften der betreffenden Gruppe von Sternen statistisch auswerten, indem sie Helligkeiten und Farben der Sterne gegeneinander auftragen (in einem sogenannten Farben-Helligkeits-Diagramm). Aus den Eigenschaften des dabei entstehenden Diagramms lässt sich schließen, wie lange die Entstehung jener Sterngruppe her ist. Einer von mehreren Altersindikatoren ist dabei der "red clump", wörtlich der rote Klumpen von Sternen im rötlichen Farbbereich. Das sind Sterne, die bereits begonnen haben, Helium in ihren Kernregionen zu verschmelzen. Unter Benutzung von Simulationsrechnungen zur Sternentwicklung kann man aus der durchschnittlichen Helligkeit der Sterne im "red clump" auf das Alter der gleichzeitig entstandenen Sterne schließen. Aber es gibt bei dieser Art von Auswertung einen Haken: Sie erfordern die Auswertung der Eigenschaften von zahlreichen Einzelsternen. Für die Zentralregionen der Milchstraße ist das gar nicht so einfach. Das fängt damit an, dass jene Regionen von der Erde aus gesehen hinter riesigen Staubwolken verborgen sind. Man muss schon in den Infrarotbereich ausweichen, um durch diese Wolken "hindurchschauen" zu können. Gelingt der Blick durch die Wolken, stößt man gleich auf das nächste Problem: Die entsprechenden Beobachtungen zeigen eine unübersichtliche Menge von Sternen im Zentrum der Milchstraße. Die Zentralbereiche sind extrem sternreich, mit zwischen tausend und hunderttausend Sternen in einem Würfel mit einer Seitenlänge von einem Lichtjahr. Beobachten Astronomen sehr dichte Sternfelder dieser Art, dann überlappen sich diese Sternscheiben im Teleskopbild. Die Trennung solcher Felder in separate Sterne ist schwierig – aber notwendig, wenn man die Entstehungsgeschichte des galaktischen Zentrums rekonstruieren will. Als Rainer Schödel vom Instituto de Astrofísica de Andalucía, der leitende Wissenschaftler der GALACTICNUCLEUS-Durchmusterung, Nadine Neumayer vom Max-Planck-Institut für Astronomie und ihre Kollegen Ende 2014 begannen, ihr Projekt zur Rekonstruktion der Geschichte der Zentralregionen unserer Milchstraße zu planen, wussten sie, dass sie das richtige Instrument für diese schwierige Aufgabe finden mussten. "Wir benötigten ein Nahinfrarot-Instrument mit großem Sichtfeld, das die zentrale Region der Milchstraße am Südhimmel beobachten konnte", so Neumayer. "Das HAWK-I-Instrument der ESO war ideal für unsere Durchmusterung." HAWK-I ist eine Infrarotkamera am 8-Meter-Teleskop Very Large Telescope am Paranal-Observatorium der Europäischen Südsternwarte (ESO) in Chile. Für ihre GALACTICNUCLEUS-Durchmusterung beobachteten die Astronomen mit HAWK-I 16 Nächte lang das galaktische Zentrum und konnten so genaue Helligkeitsmessungen für mehr als drei Millionen Sterne erhalten. Mit einer speziellen Technik, der sogenannten holografischen Bildgebung, konnten die Astronomen Sterne im Abstand von nur 0,2 Bogensekunden unterscheiden. Mit solcher Auflösung kann man auf acht Kilometer Entfernung zwei direkt nebeneinander liegende Ein-Cent-Münzen auseinanderhalten. Zwei deutlich sichtbare "rote Klumpen" im resultierenden Farben-Helligkeits-Diagramm ermöglichten die Rekonstruktion der Entstehungsgeschichte der zentralen Scheibe mit ihren zwei Phasen aktiver Sternentstehung. In einem nächsten Schritt untersuchen die Astronomen nun den Einfluss von Staub auf ihre Beobachtungen (Extinktion und Rötung). Die Berücksichtigung dieses Einflusses soll dann eine noch genauere Rekonstruktion der Geschichte der zentralen Regionen unserer Galaxie ermöglichen. Über die Beobachtungen und ihre Analysen berichtet das Team in einem Fachartikel, der in der Zeitschrift Nature Astronomy veröffentlicht wurde.
|
|
|
^ | Copyright Stefan Deiters und/oder Lieferanten 1999-2023. Alle Rechte vorbehalten. W3C |
Diese Website wird auf einem Server in der EU gehostet. |
© astronews.com / Stefan Deiters und/oder Lieferanten 1999 - 2020 |