Scheiben wachsen von innen nach außen
Redaktion
/ Pressemitteilung des Leibniz-Instituts für Astrophysik Potsdam (AIP) astronews.com
29. April 2015
Mithilfe von Computersimulationen glauben Astronomen ein
Rätsel um die Entwicklung von Scheibengalaxien gelöst zu haben. Danach besteht
die sogenannte dicke Scheibe dieser Galaxien nicht nur aus alten Sternen,
sondern auch aus jüngeren Sonnen. Die Scheibe wird zusätzlich durch Kollisionen
mit Satellitengalaxien gestört, was schließlich zur beobachteten Struktur führt.
Die der Milchstraße ähnliche Galaxie NGC 891.
Die farbigen Linien zeigen das Alter der
ausgeweiteten Komponenten der Scheibe
unterschiedlicher Sterngenerationen. Zusammen
ergeben sie eine Scheibe mit konstanter Dicke,
hier markiert durch die weißen Linien.
Bild: Adam
Block, Mt. Lemmon SkyCenter, University of
Arizona / Ivan Minchev, AIP [Großansicht] |
Ein Team von Astronomen unter der Leitung von Ivan Minchev, Wissenschaftler
am Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam (AIP), glaubt mithilfe hochmoderner
theoretischer Modelle das Rätsel um die Entwicklung der Galaxienscheiben gelöst
zu haben. In einer jetzt veröffentlichten Studie zeigen die Wissenschaftler,
dass sich Sternpopulationen gleichen Alters durch Galaxienkollisionen nach außen
hin ausweiten. Ähnlich wie die Blütenblätter einer Rose reichern sich diese
Populationen schichtweise in der Galaxie an und formen so allmählich die
sogenannte "dicke Scheibe".
"Wir können nun zum ersten Mal zeigen, dass dicke Scheiben nicht nur aus
alten Sterngenerationen bestehen, sondern - in einem größeren Abstand zum
Galaxienzentrum - auch junge Sterne enthalten," erklärt Minchev. "Die Verteilung
in den Außenregionen, die wir für Sterne gleichen Alters sehen, wird durch ein
Bombardement von kleineren Satellitengalaxien verursacht. Diese schlagen
vorwiegend in den äußeren Bereichen Sterne aus der Scheibenebene heraus, so dass
die Scheibe insgesamt nach außen ausgeweitet erscheint."
Um zu dieser Erkenntnis zu gelangen führten die Astronomen numerische
Simulationen auf leistungsfähigen Computern durch und untersuchten die Struktur
simulierter Galaxien. Dazu betrachteten die Wissenschaftler Sterne gleichen
Alters und verglichen ihre Verteilung. Dabei zeigte sich, dass jede
Sternengeneration in der Tat eine sich nach außen öffnende Struktur, ähnlich der
Öffnung einer Trompete, bildet. Verursacht wird diese Strukturbildung durch
Kollisionen mit kleineren Galaxien.
Da die ältesten Sterne in den inneren Regionen von Galaxien entstehen, findet
die Ausweitung für sie näher am Zentrum statt, während der Effekt sich für
jüngere Sterne eher in äußere galaktische Regionen verlagert. In der Beobachtung
erscheinen die ineinander geschachtelten Ausdehnungen aller Sterngenerationen
dann als dicke galaktische Scheibe.
Galaxien können über ihre Sterne in zwei Komponenten unterteilt werden: in
eine dünne Scheibe, die von einer dickeren Scheibe umhüllt wird. Bisher
herrschte die Überzeugung vor, dass die Sterne in der dicken Scheibe die
ältesten sind. Beobachtungen der Milchstraße zeigen jedoch auch ältere Sterne
näher am Zentrum und junge Sterne in den äußeren Regionen.
Wissenschaftler stimmen überein, dass diese Zusammensetzung auf ein
Entstehungs-Szenario zurückgeht, bei dem in der Milchstraße Sterne zuerst im
Zentrum und später in den äußeren Regionen entstanden - ähnlich wie auch Städte
radial nach außen wachsen: beginnend von einem mittelalterlichen Stadtkern hin
zu modernen Vororten.
Die genaue Erfassung der Struktur der Milchstraße ist schwierig, da unser
Sonnensystem sich in der Scheibenebene, ungefähr auf halber Strecke vom Zentrum,
befindet. Um dieser eingeschränkten Perspektive Rechnung zu tragen, leiten
Astronomen ihre Modelle basierend auf Sternen in unserer Umgebung ab.
Nichtsdestotrotz: wenn die Milchstraße ähnlich wie andere Galaxien ist und
ihre dicke Scheibe nur aus alten zentral konzentrierten Sternen aufgebaut ist,
wäre die dicke Scheibe kürzer als ihre dünne. Allerdings beobachten wir in
anderen Galaxien dicke Scheiben, die genauso ausgedehnt sind wie die Galaxien
selbst.
Minchevs Ergebnisse lösen diesen Widerspruch: "Zum ersten Mal verstehen wir
den Ursprung der dünnen und dicken Scheibenstruktur und wie sich Galaxien wie
unsere Milchstraße bilden", unterstreicht Minchev. "Unsere Vorhersagen werden
bald mit Daten der Gaia-Mission und hoch präzisen Instrumenten, wie
MUSE am Very Large Telescope, getestet."
Über ihre Resultate berichteten die Wissenschaftler in der vergangenen Woche
in der Fachzeitschrift
The Astrophysical Journal Letters.
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