GALAXIEN
RAVE
erforscht Geschichte der Milchstraße
Redaktion
astronews.com
4. Juni 2003
Wie entstanden
eigentlich die Galaxien im jungen Universum? Ein internationales Astronomenteam will
diese Frage jetzt mit Hilfe unserer Heimatgalaxie beantworten. In einem RAVE
genannten Projekt wollen die Forscher die wichtigsten Daten der 50 Millionen
hellsten Sterne der Milchstraße sammeln, um daraus ihre Geschichte zu
rekonstruieren.
Momentaufnahmen aus einer Simulation, die die Entstehung einer
Milchstraßen-ähnlichen Galaxie zeigen. Die Galaxie entsteht aus
der Akkretion vieler Satellitengalaxien. Bilder /Simulation:
Matthias Steinmetz / AIP
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Hinweise zur Beantwortung der Frage, wie sich Galaxien im frühen Universum
bildeten, findet man in unserer direkten Umgebung - in unserer Milchstraße.
Viele Astronomen glauben, dass unsere Galaxie sich aus einer Zusammenballung (Akkretion)
von hineinstürzenden Satellitengalaxien formte. Auch die theoretischen Modelle
zur Galaxienentstehung unterstützen dieses Szenario. Aber längst nicht alle
Astronomen sind davon überzeugt, das Thema ist nach wie vor kontrovers.
Jetzt haben Wissenschaftler aus elf Ländern mit RAVE ein ambitioniertes Projekt
begonnen, mit dem die Geschichte unserer Galaxie durch die Zusammenstellung von
Schlüsseldaten zur Geschwindigkeit und chemischen Zusammensetzung von ihren
hellsten 50 Millionen Sternen rekonstruiert werden soll.
Das vor wenigen Wochen gestartete RAVE-Projekt (RAdial Velocity
Experiment) ist eine komplette spektroskopische Durchmusterung des Sternhimmels
mit Hilfe des 1,2m-UK Schmidt Teleskops im Osten Australiens.
Bislang haben ähnliche Unternehmungen wie Hipparcos und Tycho die Positionen
und Sterngeschwindigkeiten von mehr als 2,5 Millionen Objekten vermessen. Um
aber ein komplettes Bild der Sternbewegungen zu bekommen, mit dem es möglich
sein wird, die Struktur und Gestalt unserer Galaxie nachzuzeichnen, benötigt
man auch die Vermessung der Radialgeschwindigkeit - die Bewegung des Sternes in
Blickrichtung des Beobachters. Vor dem Beginn von RAVE enthielten die
astronomischen Archive weltweit nur 20.000 gemessene Radialgeschwindigkeiten.
RAVE wird in der Lage sein, Geschwindigkeiten mit einer Genauigkeit von 2
Kilometern pro Sekunde
zu messen. Das ist eine Genauigkeit von 1 Prozent verglichen mit der
Geschwindigkeit, mit der Sterne durch die Milchstraße ziehen. "Mit dieser
Genauigkeit und dieser Anzahl der Radialgeschwindigkeiten werden wir in der Lage
sein, Dutzende, wenn nicht sogar Hunderte von Gezeitenschweifen in der
Sonnenumgebung zu identifizieren. Diese aus Sternen bestehende "Schweife" sind
die Rückstände von auseinander gerissenen alten Satellitengalaxien, die nun in
unserer Milchstraße aufgegangen sind", erläutert Matthias Steinmetz, Direktor am
Astrophysikalischen Institut Potsdam und Leiter des RAVE-Teams.
Sogar nach dem Eintauchen in die Muttergalaxie hören die Sterne der
Satellitengalaxien nicht auf, sich als geschlossene Gruppe zu bewegen, ein
Umstand der ermöglicht, ihre ursprüngliche Zusammengehörigkeit auch nach
Milliarden von Jahren durch die Messung ihrer Geschwindigkeit zu identifizieren.
Bislang konnten jedoch erst wenige dieser auseinander gerissenen Satelliten
ausgemacht werden.
RAVE will zusätzlich die chemische Zusammensetzung der Sterne aufzeichnen.
Dadurch wird ersichtlich, welche weit voneinander entfernten Objekte an einem
Ort gebildet wurden und hilft zu entscheiden, ob diese Sterne vor oder nach dem
"Galaxiencrash" entstanden.
"RAVE wird uns bei der Entscheidung helfen, welches der widerstreitenden Modelle
für die Bildung der verschiedenen Galaxienstrukturen zutreffend ist, wie die "dünne"
und die "dicke Scheibe", so Steinmetz.
"Viel wichtiger als Spiegelgröße ist für eine Untersuchung wie diese die
Größe des Messfeldes. Das UK-Schmidt-Teleskop ist ein perfektes Instrument
dafür", sagt Brian Boyle, Direktor des Anglo-Australischen Observatoriums,
welches dieses Gerät betreibt. Das Gesichtsfeld dieses Instruments kann einen
Bereich abdecken, der 100 Mal größer ist als der des Vollmonds.
RAVEs Pilotphase startet mit dem 6dF (sechs Grad Gesichtsfeld) Instrument des
UK-Schmidt, das von dem Anglo-Australischen Observatorium entwickelt und gebaut
wurde. Wichtigstes Bauteil ist die computergesteuerte Robotik, mit deren Hilfe
die 150 Lichtleiter in die gewünschte Position gesetzt werden.
Mit 6dF sind die Wissenschaftler in der Lage, Nacht für Nacht bis zu 600
stellare Spektren aufzunehmen. Bis zum Jahr 2005 soll die Technik so weit
verbessert sein, dass insgesamt 100.000 Sternspektren gewonnen werden - fünfmal
mehr als die Gesamtzahl aller Radialgeschwindigkeiten, die sich seit der ersten
Messung von Radialgeschwindigkeiten durch Hermann Carl Vogel 1888 am
Astrophysikalischen Observatorium in Potsdam vor 125 Jahren in den Archiven weltweit angesammelt haben.
Vom Jahr 2006 an wird die Datenmenge noch weiter durch den Ersatz von 6dF durch
ein radikal neues Instrument gesteigert werden: UKidna benutzt 2250 Glasfasern,
die auf unabhängig voneinander bewegbaren Stacheln befestigt sind. "Mit UKidna
nehmen wir bis zu 22.000 Spektren in jeder klaren Nacht auf", freut sich der
Direktor der AAO, Brian Boyle.
"Damit werden wir so weit sein, über unsere lokale galaktische Nachbarschaft in
die entferntesten Ecken unserer Milchstraße hinaus zu blicken ," erklärt Rosie
Wyse von der Johns-Hopkins Universität in Baltimore/USA.
Neben der Rekonstruktion der Geschichte unserer Milchstraße, wird durch RAVE das
bei weitem umfassendste Datenarchiv für Sternspektren zusammengestellt. "Es
wird eine reiche Quelle sein für alle Arbeiten zu den Eigenschaften und zur
Entstehung von Sternen", kommentiert Ulisse Munari vom Padua Observatorium in
Asiago/Italien.
Mit den durch RAVE gesammelten Daten steht auch für die Ausarbeitung von
zukünftigen Weltraummissionen wie GAIA, eine der Cornerstone-Missionen der
Europäischen Weltraumbehörde ESA, eine ideale
Trainings- und Testbasis zur Verfügung. Der astrometrische Satellit GAIA soll
versuchen, Positionen und Geschwindigkeiten von über einer Milliarde Sternen
der Milchstraße zu messen.
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RAVE,
Webseite am Astrophysikalischen Institut Potsdam |
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