Cyanobakterien für Lebenserhaltungssysteme auf dem Mars
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung des Zentrums für angewandte Raumfahrttechnologie und
Mikrogravitation (ZARM) astronews.com
15. August 2022
Wie lassen sich vor Ort vorhandene Rohstoffe nutzen, um auf
dem Mars Sauerstoff und Nahrung für Astronautinnen und Astronauten zu erzeugen?
Eine Antwort könnten Blaualgen sein: Ein internationales Forschungsteam hat nun
eine Cyanobakterien-Unterart identifiziert, die für den Einsatz in einem
biologischen Lebenserhaltungssystem am besten geeignet zu sein scheint.
Illustration eines Photobioreaktors auf
Basis von Cyanobakterien als Teil eines
biologischen Lebenserhaltungssystems einer
Mars-Station.
Bild: Joris Wegner / ZARM, Universität Bremen [Großansicht] |
Die karge Umgebung des Roten Planeten scheint auf den ersten Blick wenig
nutzbare Ressourcen für ein Lebenserhaltungssystem oder die Produktion von
Nahrungsmitteln bereitzuhalten. Doch die kohlenstoffreiche (95 %),
stickstoffhaltige Atmosphäre und der rote Regolithboden – reich an Eisen,
anderen Metallen und Mineralien – sind für genau solche Bioprozesse geeignet;
und der Schlüssel dazu sind Cyanobakterien: Während sie auf der Erde häufig als
lästige Blaualgen in Erscheinung treten und uns das Badevergnügen im Sommer
verderben, sind sie mit Blick auf den Mars als wahre Lebenskünstler zu bewerten.
Gefüttert mit Marsstaub und Marsatmosphäre und durch ihre Fähigkeit zur
Photosynthese, sind Cyanobakterien in der Lage, Sauerstoff zu produzieren und
Biomasse zu bilden, was in der astronautischen Exploration verschiedensten
Zwecken dienen könnte – wie zum Beispiel der Herstellung von Nahrungsmitteln.
"Damit Menschen auf dem Mars überleben können, muss ihnen eine große Menge an
Versorgungsgütern zur Verfügung stehen: Nahrungsmittel, Wasser, Sauerstoff, aber
auch andere Dinge wie Medikamente. Für einen dauerhaften und nachhaltigen
Aufenthalt dort kann der lebenswichtige Nachschub jedoch nicht fortlaufend von
der Erde kommen, die Transportkosten und -risiken zum Mars sind einfach zu
groß", so Dr. Cyprien Verseux, Leiter des Laboratory of Applied Space
Microbiology am Zentrum für angewandte Raumfahrttechnologie und
Mikrogravitation der Universität Bremen.
Der Ansatz, auf Basis von Cyanobakterien ein Lebenserhaltungssystem zu
konzipieren, ist in der Explorationsforschung nicht neu. Dennoch stockte der
Fortschritt auf dem Gebiet bislang durch das Fehlen eines gemeinsamen
Modellbakteriums – der Stamm der Cyanobakterien zählt nämlich viele Tausend
Arten. Verseux und seinen Wissenschaftskolleginnen und -kollegen ist es jetzt
gelungen, die Cyanobakterien-Art der Anabaena sp. PCC 7938 als
vielversprechendste für ein Lebenserhaltungssystem auf dem Mars zu
identifizieren. So schlagen sie diese Unterart auch als allgemeines
Modellbakterium für das Forschungsfeld vor.
Wie sie zu dem Ergebnis gekommen sind, erklärt Verseux: "Auf Grundlage
bereits vorhandener Studien haben wir zunächst eine kleine Vorauswahl von
Cyanobakterien-Stämmen getroffen. Anschließend nahmen wir ihre DNA in den Blick
und haben sie anhand von Laborexperimenten verglichen. Kurz gefasst waren dabei
zwei Kriterien entscheidend: Erstens, wie gut gedeihen die Bakterien auf Basis
der Ressourcen, die auf dem Mars zu finden sind. Zweitens, können sie als
Nährstoffgrundlage für andere Organismen fungieren und beispielsweise die
Anzucht von essbaren Pflanzen oder anderen Bakterien unterstützen, die nicht die
Fähigkeit besitzen, Marsstaub und Marsatmosphäre direkt zu verwerten."
Bezogen auf Letzteres ist dem Forschungsteam die erfolgreiche Anzucht von
Entengrütze als höheres, nährstoffreiches Pflanzengewächs gelungen; Bestandteile
der Biomasse der Anabaena sp. PCC 7938 wurde dabei als einziges Ausgangsmaterial
verwendet. "Diese Pflanze wächst extrem schnell und ist vollständig essbart,
erläutert Tiago Ramalho, ebenfalls ZARM-Wissenschaftler und Erstautor der
Studie, "was sie zu einem erstklassigen Kandidaten für einen
'landwirtschaftlichen' Anbau auf dem Mars macht". Was ihn besonders freut: "Die
Entengrütze, die wir in unserem Anzuchtversuch verwendet haben, stammt
ursprünglich aus einem Bach im Bremer Stadtpark."
Das Wissenschaftsteam möchte mit den gewonnenen Erkenntnissen, der
Erforschung der sogenannten In-Situ Verfahren für den Mars – also der
Nutzbarmachung von vor Ort auf dem Roten Planeten vorhanden Ressourcen – neue
Schubkraft verleihen. Die Perspektive für Verseux ist klar: "Unsere Arbeit und
auch die unserer Fachkolleginnen und -kollegen deuten stark darauf hin, dass das
Konzept an sich machbar ist. Es erscheint möglich, dass sich Cyanobakterien von
Mars-Ressourcen ernähren können und die Fähigkeit besitzen, andere, wichtige
Bioprozesse in Gang zu setzen. Aber zu wissen, dass dieses System grundsätzlich
funktionieren könnte, reicht nicht aus. Wir müssen es verbessern und
herausfinden, ob es tatsächlich effizient genug für einen Einsatz bei
Marsmissionen ist – und wenn ja, wie würden praktikable Lösungen, einschließlich
der Technologie und notwendigen Verfahren, aussehen?"
Auch wollen Verseux und sein Team die biologischen Mechanismen besser
verstehen, die den ausgewählten Bakterienstamm der Anabaena sp. PCC 7938 als so
gut geeignet erscheinen lassen. "Wir stehen folglich noch ganz am Anfang und der
Berg an noch verbleibendender Forschungsarbeit könnte entmutigend sein.
Glücklicherweise entwickelt sich das Wissenschaftsfeld insgesamt in Richtung
einer intensiven Zusammenarbeit: Die Zahl der Teams, die sich mit
Lebenserhaltungssystemen auf der Basis von Cyanobakterien beschäftigen, wächst",
so Verseux aus. Das ZARM-Team hofft, dass sein entdeckter Modell-Bakterienstamm
zu einer besseren Vergleichbarkeit der Ergebnisse beiträgt und sich die
Forschungsarbeiten so einfacher und stärker ergänzen können.
Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift Applied and Environmental
Microbiology veröffentlicht.
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