Ende der kosmischen Dämmerung bestimmt
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Institut für Astronomie astronews.com
10. Juni 2022
Zwei Jahrzehnte wurde diskutiert, wann genau die Epoche der
Reionisation im frühen Universum endete und damit die "kosmische Dämmerung". Aus
den Strahlungssignaturen von 67 Quasaren konnte ein Team nun den Zeitpunkt
bestimmen: auf etwa 1,1 Milliarden Jahre nach dem Urknall. Damit sollten sich auch
die ionisierenden Quellen besser identifizieren lassen.

Schematische Darstellung des Blicks in die
kosmische Geschichte, der das helle Licht von
fernen Quasaren ermöglicht. Die Beobachtung mit
einem Teleskop (unten links) erlaubt es,
Informationen über die so genannte
Reionisierungsepoche ("Blasen" oben rechts) zu
gewinnen, die auf die Urknallphase folgte (oben
rechts).
Bild: Carnegie Institution for Science / MPIA [Großansicht] |
Das Universum hat von seinen Anfängen bis zu seinem heutigen Zustand
verschiedene Phasen durchlaufen. In den ersten 380.000 Jahren nach dem Urknall
war es ein heißes und dichtes ionisiertes Plasma. Danach kühlte es so weit ab,
dass sich die Protonen und Elektronen, die das Universum erfüllten, zu neutralen
Wasserstoffatomen verbinden konnten. Während der meisten Zeit während dieses
"dunklen Zeitalters" gab es im Universum keine sichtbaren Lichtquellen.
Mit dem Auftauchen der ersten Sterne und Galaxien etwa 100 Millionen Jahre
später wurde dieses Gas durch die ultraviolette (UV) Strahlung der Sterne
allmählich wieder ionisiert. Bei diesem Prozess werden die Elektronen von den
Protonen getrennt, so dass sie als freie Teilchen übrigbleiben. Diese Epoche
wird gemeinhin als "kosmische Dämmerung" bezeichnet. Heute ist der gesamte
Wasserstoff, der sich zwischen den Galaxien ausbreitet, das intergalaktische
Gas, vollständig ionisiert. Wann dies geschah, ist jedoch ein heftig
diskutiertes Thema unter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und ein hart
umkämpftes Forschungsgebiet.
Ein internationales Team von Astronominnen und Astronomen unter der Leitung
von Sarah Bosman vom Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg hat nun
das Ende der Reionisationsepoche auf 1,1 Milliarden Jahre nach dem Urknall genau
datiert. "Ich bin fasziniert von der Vorstellung der verschiedenen Phasen, die
das Universum bis zur Entstehung von Sonne und Erde durchlaufen hat. Es ist ein
großes Privileg, ein neues kleines Stück zu unserem Wissen über die kosmische
Geschichte beizutragen", freut sich Bosman.
"Bis vor ein paar Jahren war die vorherrschende Meinung, dass die
Reionisierung fast 200 Millionen Jahre früher abgeschlossen war", blickt
Frederick Davies vom Max-Planck-Institut für Astronomie zurück. "Hier haben wir
nun den bisher stärksten Beweis dafür, dass der Prozess viel später endete,
während einer kosmischen Epoche, die mit den Beobachtungseinrichtungen der
heutigen Generation leichter zu beobachten ist."
Diese Zeitkorrektur mag angesichts der Milliarden von Jahren seit dem Urknall
marginal erscheinen. Ein paar hundert Millionen Jahre mehr reichten jedoch aus,
um mehrere Dutzend Sterngenerationen in der frühen kosmischen Entwicklung
hervorzubringen. Der Zeitpunkt der "kosmischen Dämmerung" gibt Aufschluss über
die Art und die Lebensdauer der ionisierenden Quellen, die während der Hunderte
von Millionen Jahren, die sie dauerte, vorhanden waren.
Dieser indirekte Ansatz ist derzeit die einzige Möglichkeit, die Objekte zu
charakterisieren, die den Prozess der Reionisation vorangetrieben haben. Die
direkte Beobachtung dieser ersten Sterne und Galaxien übersteigt die
Möglichkeiten der heutigen Teleskope. Sie sind einfach zu lichtschwach, um
innerhalb eines angemessenen Zeitraums brauchbare Daten zu erhalten. Selbst
Einrichtungen der nächsten Generation wie das Extremely Large Telescope
(ELT) der ESO oder das James Webb Space Telescope täten sich mit einer
solchen Aufgabe schwer.
Um zu untersuchen, wann das Universum vollständig ionisiert war, wendet die
Wissenschaft verschiedene Methoden an. Eine davon besteht darin, die Emission
von neutralem Wasserstoffgas in der berühmten 21-Zentimeter-Spektrallinie zu
messen. Bosman und ihre Kollegen analysierten stattdessen das von starken
Hintergrundquellen empfangene Licht. Sie untersuchten 67 Quasare, die hellen
Scheiben aus heißem Gas, die die zentralen massereichen Schwarzen Löcher in weit
entfernten aktiven Galaxien umgeben. Bei der Betrachtung eines Quasarspektrums,
das die Intensität des Lichts über die beobachteten Wellenlängen verteilt
darstellt, findet man Muster, in denen das Licht zu fehlen scheint - sogenannte
Absorptionslinien.
Neutrales Wasserstoffgas absorbiert diesen Teil des Lichts auf seinem Weg von
der Quelle zum Teleskop. Die Spektren dieser 67 Quasare sind von einer noch nie
dagewesenen Qualität, was für den Erfolg dieser Studie entscheidend war. Bei der
Methode wird eine Spektrallinie untersucht, die einer Wellenlänge von 121,6
Nanometern entspricht (ein Nanometer ist ein Milliardstel eines Meters). Diese
Wellenlänge gehört zum UV-Bereich und ist die stärkste Spektrallinie des
Wasserstoffs. Durch die kosmische Expansion verschiebt sich das Quasarspektrum
jedoch zu größeren Wellenlängen, je weiter sich das Licht ausbreitet. Daher kann
die Rotverschiebung der beobachteten UV-Absorptionslinie in eine Entfernung von
der Erde umgerechnet werden.
In der jetzt vorgestellten Studie hatte der Effekt die UV-Linie in den
Infrarotbereich verschoben, als sie das Teleskop erreichte. Je nach dem
Verhältnis zwischen neutralem und ionisiertem Wasserstoffgas erreicht der
Absorptionsgrad bzw. umgekehrt die Durchlässigkeit durch eine solche Wolke einen
bestimmten Wert. Wenn das Licht auf eine Region mit einem hohen Anteil an
ionisiertem Gas trifft, kann es die UV-Strahlung nicht so effizient absorbieren.
Genau nach dieser Eigenschaft hat das Team gesucht.
Das Quasarlicht durchläuft auf seinem Weg viele Wasserstoffwolken in
unterschiedlichen Entfernungen, die jeweils bei kleineren Rotverschiebungen vom
UV-Bereich ihren Abdruck hinterlassen. Theoretisch sollte die Analyse der
Änderung der Durchlässigkeit pro rotverschobener Linie den Zeitpunkt oder die
Entfernung ergeben, zu der das Wasserstoffgas vollständig ionisiert war.
Leider ist die Sachlage noch komplizierter. Seit dem Ende der Reionisation
ist nur der intergalaktische Raum vollständig ionisiert. Es gibt ein Netz aus
teilweise neutraler Materie, das Galaxien und Galaxienhaufen miteinander
verbindet, das sogenannte "kosmische Netz". Wo der Wasserstoff neutral ist,
hinterlässt er im Quasarlicht ebenfalls seine Spuren. Um diese Einflüsse zu
unterscheiden zu können, wandte das Team ein physikalisches Modell an, das
Veränderungen im Licht reproduziert, die in einer viel späteren Epoche gemessen
wurden, als das intergalaktische Gas bereits vollständig ionisiert war.
Als sie das Modell mit ihren Ergebnissen verglichen, entdeckten sie eine
Abweichung bei einer Wellenlänge, bei der die 121,6-Nanometer-Linie um einen
Faktor von 5,3 verschoben war, was einem kosmischen Alter von 1,1 Milliarden
Jahren entspricht. Dieser Übergang zeigt den Zeitpunkt an, an dem Veränderungen
im gemessenen Quasarlicht nicht mehr mit den Fluktuationen des kosmischen Netzes
allein vereinbar sind. Das war also der späteste Zeitraum, in dem neutrales
Wasserstoffgas im intergalaktischen Raum vorhanden gewesen sein muss und
anschließend ionisiert wurde. Das war das Ende der "kosmischen Dämmerung".
"Dieser neue Datensatz ist ein entscheidender Prüfstein, an dem sich
numerische Simulationen der ersten Milliarden Jahre des Universums in den
kommenden Jahren messen lassen werden", sagt Davies. Sie werden helfen, die
ionisierenden Quellen, die allerersten Generationen von Sternen, zu
charakterisieren. "Die aufregendste Richtung für unsere weitere Arbeit ist die
Ausweitung auf noch frühere Zeiten, auf die Mitte des Reionisationsprozesses",
unterstreicht Bosman. "Leider bedeuten größere Entfernungen, dass diese früheren
Quasare deutlich schwächer sind. Daher wird die größere Sammelfläche von
Teleskopen der nächsten Generation wie dem ELT entscheidend sein."
Über ihre Beobachtungen berichtet das Team in einem Fachartikel, der in der
Zeitschrift Monthly Notices of the Royal Astronomical Society erschienen
ist.
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