Der erste Blick auf Sagittarius A*
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Radioastronomie astronews.com
12. Mai 2022
Das Team des Event-Horizon-Teleskops, einer
Zusammenschaltung von Radioteleskopen auf der ganzen Welt, hat heute die erste
Ansicht des supermassereichen Schwarzen Lochs im Zentrum der Milchstraße
vorgestellt. Das Bild ist ein weiterer eindrucksvoller Beweis dafür, dass es
sich bei dem Objekt Sgr A* im Milchstraßenzentrum tatsächlich um ein Schwarzes
Loch handelt.

Die erste Ansicht des supermassereichen
Schwarzem Loch im Zentrum der Milchstraße,
basierend auf Daten des Event-Horizon-Teleskops.
Bild: EHT Collaboration [Großansicht] |
Das heute vorgestellte Bild stellt einen lang erwarteten direkten Blick auf
das massereiche Objekt im Zentrum unserer Galaxie dar, das unter dem Namen
Sagittarius A* (kurz: Sgr A*) bekannt ist. Wissenschaftler hatten zuvor bereits
Sterne untersucht, die um ein unsichtbares, kompaktes und sehr massereiches
Objekt im Zentrum der Milchstraße kreisen. Diese Arbeit wurde mit dem Nobelpreis
für Physik im Jahr 2020 ausgezeichnet. "Unsere Entdeckung zeigt, dass es sich
bei diesem kompakten, massereichen Objekt im galaktischen Zentrum tatsächlich um
ein Schwarzes Loch handelt", unterstreicht Anton Zensus, Direktor am
Max-Planck-Institut für Radioastronomie (MPIfR) und Gründungsvorsitzender des
Aufsichtsrats des Event Horizon Telescope (EHT), mit dem die Beobachtungen
gemacht wurden. "Das heutige Bild liefert den ersten direkten visuellen Beweis
dafür - zum ersten Mal können wir einen Blick auf das Schwarze Loch im Zentrum
unserer eigenen Galaxie werfen."
Obwohl wir das Schwarze Loch selbst nicht sehen können, weil es keine
Strahlung aussendet, zeigt das glühende Gas drumherum eine verräterische
Signatur: eine dunkle zentrale Region (ein sogenannter "Schatten"), die von
einer hellen ringartigen Struktur umgeben ist. Diese neue Ansicht fängt das
Licht ein, das durch die immense Gravitation des Schwarzen Lochs, über vier
Millionen Mal massereicher als unsere Sonne, gebeugt wird. "Wir waren verblüfft,
wie gut die Größe des beobachteten Rings mit den Vorhersagen der Allgemeinen
Relativitätstheorie von Einstein übereinstimmt", sagt EHT-Projektwissenschaftler
Geoffrey Bower vom Institut für Astronomie und Astrophysik der Academia Sinica
in Taipeh. "Die neuen Beobachtungen haben unser Verständnis der physikalischen
Prozesse in den Zentren von Galaxien erheblich verbessert und bieten neue
Erkenntnisse darüber, wie solch riesige Schwarzen Löcher mit ihrer Umgebung in
Wechselwirkung stehen."
Da das Schwarze Loch im Zentrum der Milchstraße etwa 27.000 Lichtjahre
von der Erde entfernt ist, erscheint es uns am Himmel etwa so groß wie ein Donut
auf dem Mond. Um es abzubilden, schuf das Team das leistungsstarke EHT, das acht
bestehende Radioobservatorien auf der ganzen Welt zu einem einzigen virtuellen
Teleskop von Erdgröße verbindet. Das EHT beobachtete Sgr A* in mehreren Nächten
und sammelte viele Stunden am Stück Daten, ähnlich wie bei einer langen
Belichtungszeit einer Kamera. Dieses virtuelle Teleskop wird durch den Einsatz
eines Hochleistungsrechners, eines so genannten Korrelators, ermöglicht, der die
Daten abspielt und verarbeitet.
Mit dem Korrelator am Max-Planck-Institut für Radioastronomie wurde die
Hälfte der Daten der Beobachtungskampagne von 2017 analysiert. "Es ist
großartig, dass unser APEX-Teleskop eine so wichtige Rolle bei der Entwicklung
des EHT spielen und auch an diesen aktuellen Beobachtungen von Sgr A* teilnehmen
konnte", sagt Karl Menten, Direktor am MPIfR, der Projektleiter für das
APEX-Teleskop. "Sein Beitrag ist sogar essentiell, um eine perfekte Kalibrierung
der sich verändernden Helligkeit der Quelle zu erreichen und den endgültigen
Beweis für den Schatten des Schwarzen Lochs in unserem galaktischen Zentrum zu
erbringen", fügt er hinzu.
Der neuerliche Durchbruch folgt auf die bereits im Jahr 2019 von der
EHT-Kollaboration veröffentlichte erste Aufnahme eines Schwarzen Lochs, genannt
M87*, im Zentrum der Galaxie Messier 87 in wesentlich größerer Entfernung. Die
beiden Schwarzen Löcher sehen sich bemerkenswert ähnlich, obwohl das Schwarze
Loch im Zentrum unserer Milchstraße mehr als tausendmal kleiner und weniger
massereich ist als M87*.
"Wir haben zwei völlig unterschiedliche Arten von Galaxien und zwei sehr
unterschiedliche Massen von Schwarzen Löchern, aber in der Nähe des Randes
dieser Schwarzen Löcher sehen sie sich verblüffend ähnlich", sagt Sera Markoff,
Ko-Vorsitzende des EHT-Wissenschaftsrats und Professorin für theoretische
Astrophysik an der Universität von Amsterdam in den Niederlanden. "Das zeigt
uns, dass die Allgemeine Relativitätstheorie diese Objekte aus der Nähe
definiert und dass alle Unterschiede, die wir in größerem Abstand vom Zentrum
sehen, auf Unterschiede in der Materie zurückzuführen sind, das die Schwarzen
Löcher umgibt."
Die Auswertung der Daten war wesentlich schwieriger als bei M87*, obwohl Sgr
A* in viel geringerem Abstand liegt. "Das Gas in der Nähe der Schwarzen Löcher
bewegt sich mit der gleichen Geschwindigkeit - fast so schnell wie das Licht -
um Sgr A* und M87*", beschreibt der EHT-Wissenschaftler Chi-kwan Chan vom
Steward Observatory und dem Department of Astronomy und dem
Data Science Institute der University of Arizona die
Schwierigkeiten. "Doch während das Gas Tage bis Wochen braucht, um das größere
Objekt M87* zu umkreisen, vollendet es bei dem viel kleineren Sgr A* seine
Umlaufbahn in nur wenigen Minuten. Das bedeutet, dass sich die Helligkeit und
das Erscheinungsbild des Gases um Sgr A* während der Beobachtung durch die
EHT-Kollaboration schnell änderten - ein bisschen so, als würde man versuchen,
ein scharfes Bild von einem Welpen aufzunehmen, der unentwegt mit seinem Schwanz
vor der Kamera wedelt."
Die Forscher mussten ausgeklügelte neue Methoden entwickeln, um die
Gasbewegungen um Sgr A* erklären zu können. Während M87* ein einfacheres,
stabileres Ziel darstellte, bei dem fast alle Bilder gleich aussahen, war dies
bei Sgr A* definitiv nicht der Fall. Das Bild des Schwarzen Lochs Sgr A* ist ein
Mittelwert von verschiedenen Bildern, die das Team aus den Daten extrahiert hat.
Das trägt nun dazu bei, das gewaltige Objekt im Zentrum unserer Galaxie zum
ersten Mal direkt zu zeigen.
Das heute vorgestellte Ergebnis wurde durch den Einfallsreichtum von
mehr als 300 Forschern aus 80 Instituten in aller Welt ermöglicht, die zusammen
die EHT-Kollaboration bilden. Neben der Entwicklung komplexer Instrumente zur
Bewältigung der Herausforderungen für die Erstellung der Abbildung von Sgr A*
hat das Team fünf Jahre lang hart gearbeitet und Supercomputer eingesetzt, um
die Daten zu kombinieren und zu analysieren, während es gleichzeitig eine noch
nie dagewesene Bibliothek von numerisch simulierte Schwarzen Löchern zum
Vergleich mit den Beobachtungen zusammenstellte.
Michael Kramer, Direktor am MPIfR und einer der Projektleiter des "Black Hole
Cam"-Projekts, weist darauf hin, dass die Aufnahme von M87 zwar einen großen
Erfolg darstellte, aber nur begrenzt für die Überprüfung von Theorien der
Gravitation geeignet ist. "Bei Messier 87 hatten wir keine verlässlichen
Vorkenntnisse über die Masse des Schwarzen Lochs", so Kramer. "Im aktuellen Fall
ist das ganz anders. Dank vorhergehender Messungen wie denen von Reinhard Genzel
kennen wir sowohl die Entfernung als auch die Masse von Sgr A* sehr genau, so
dass wir die erwartete Schattengröße berechnen können, um sie mit den
Beobachtungen zu vergleichen. Und sie passt sehr gut!"
Die Wissenschaftler sind besonders erfreut darüber, dass sie endlich Bilder
von zwei Schwarzen Löchern ganz unterschiedlicher Größe haben, wodurch sie
untersuchen können, wie sich beide Objekte ähneln und wodurch sie sich
unterscheiden. Sie haben auch begonnen, mit den neuen Daten Theorien und Modelle
darüber zu testen, wie sich Gas in der Umgebung von supermassereichen Schwarzen
Löchern verhält. Dieser Prozess ist noch nicht vollständig geklärt, aber es wird
angenommen, dass er eine Schlüsselrolle bei der Entstehung und Entwicklung von
Galaxien spielt.
"Jetzt ist es möglich, die Unterschiede zwischen diesen beiden
supermassereichen Schwarzen Löchern untersuchen, um wertvolle neue Erkenntnisse
darüber zu gewinnen, wie dieser wichtige Prozess funktioniert", sagt
EHT-Wissenschaftler Keiichi Asada vom Institut für Astronomie und Astrophysik
der Academia Sinica in Taipeh. "Wir haben Bilder von zwei Schwarzen Löchern
erhalten - eines am großen und eines am kleinen Ende des Massenspektrums für
supermassereiche Schwarze Löcher im Universum - so dass wir bei der
Untersuchung, wie sich die Schwerkraft in diesen extremen Umgebungen verhält,
viel weiter gehen können als jemals zuvor."
Die Ergebnisse des EHT-Teams werden heute in einer Serie von
Veröffentlichungen in einer Sonderausgabe der Fachzeitschrift The
Astrophysical Journal Letters vorgestellt.
|